Leitsatz (amtlich)

1. In Fällen, in denen die dem Sachvortrag einer Partei zugrunde liegende Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Partei oder ihre aus der EU-Grundrechte-Charta folgenden Rechte verletzt, ohne dass dies durch überwiegende Belange gerechtfertigt ist, kann ein prozessuales Verwertungsverbot bestehen. Die Verwertung des Sachvortrags durch das Gericht ist nur zulässig, wenn dies zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben erforderlich ist. Im Rahmen der danach vorzunehmenden umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Abwägung der aus Art. 7 und Art. 8 GRCh bzw. Art. 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG folgenden Rechte besteht Raum und Relevanz für die auch nach der bisherigen Rechtsprechung vorgenommene datenschutzrechtliche Vorprüfung der außerprozessualen Erkenntnisgewinnung. An den maßgeblichen Bewertungsmaßstäben hat sich durch das Inkrafttreten der unmittelbar geltenden Datenschutzgrundverordnung (Art. 288 Abs. 2 AEUV) am 25.05.2018 keine wesentliche Änderung ergeben. Die Frage der Verwertbarkeit datenschutzwidrig erlangter Informationen richtet sich nach den Bestimmungen der DS-GVO.

2. Die Arbeitgeberin kann berechtigt sein, in Erfüllung der Verpflichtung zur Kontrolle der Einhaltung von gesetzlichen Infektionsschutzregeln die ihr durch eine Arbeitnehmerin übermittelten Impfdaten mit öffentlich zugänglichen Informationen über Verfügbarkeiten von Impf-Chargen abzugleichen, um einen etwaigen Verstoß gegen die gesetzlichen Regeln über den Zutritt zum Betrieb aufzudecken.

3. Die Vorlage eines unrichtigen Impfnachweises („gefälschter Impfausweis”) kann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

 

Normenkette

GrCH Art. 8 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 3; DS-GVO Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit.e, Abs. 3 S. 1 lit. b iVm. &sect 3 BDSG; BDSG § 3; IfSG § 28b Abs. 3 S. 3; BGB § 626 Abs. 1

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert beträgt 15.224,58 EUR.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte und die Weiterbeschäftigung der Klägerin.

Die …-jährige Klägerin war seit dem 01.10.2016 als Fachbearbeiterin bei der Beklagten zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 5.074,86 EUR beschäftigt. Die vertragliche Kündigungsfrist betrug sechs Wochen zum Quartalsende. Im Beschäftigungsbetrieb waren mehr als zehn Mitarbeiter in Vollzeit beschäftigt. Die beklagte Arbeitgeberin erbringt Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung in Form von individueller Beratung von Unternehmen und auf sie zugeschnittenen Maßnahmen. Die Klägerin betreute solche Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung bei Kundenunternehmen, insbesondere auch in Pflegeeinrichtungen. Hierzu suchte sie die Unternehmen auf und stand im unmittelbaren Kontakt mit deren Mitarbeitern. Sie war einem achtköpfigen Team unter Leitung des Teamleiters … zugeordnet. Bereits in Februar 2020 war die Beklagte durch die Infektion eines Mitarbeiters massiv von der Corona-Pandemie betroffen und musste daraufhin mit Homeoffice für die Mitarbeiter reagieren. Es wurden digitale Formate mit Kunden entwickelt. Seit Mitte 2021 durften ihre Beschäftigten wieder die Einrichtungen der Pflegebranche besuchen. Allen Mitarbeitern und ihren Familienangehörigen eröffnete die Beklagte frühzeitig Impfangebote.

Am 04.10.2021 wurden alle Mitarbeiter – darunter auch die Klägerin – im Rahmen einer Institutskonferenz darüber informiert, dass ab dem 01.11.2021 nur noch vollständig geimpfte Mitarbeiter Kundentermine vor Ort wahrnehmen dürften. Die Beklagte bat darum, dass die Teamleiter im vertrauensvollen Austausch mit ihren Teammitgliedern erkunden, welche Mitarbeiter die Voraussetzungen erfüllen. Am 04. oder 05.10.2021 erklärte die Klägerin gegenüber ihrem Teamleiter, … sie sei „mittlerweile geimpft” und zum Thema Einsatz beim Kunden in Präsenz wörtlich: „Alles safe”. Die Klägerin setzte danach ihre Präsenzbesuche in den Kundenunternehmen – darunter auch Pflegeeinrichtungen für Senioren – fort. Nach dem 01.11.2021 absolvierte die Klägerin neun Außentermine, davon vier in Seniorenheimen. Nach Veröffentlichung einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes, wonach ab dem 24.11.2021 der Zutritt zum Betrieb nur noch mit gültigem 3-G-Nachweis zulässig war, informierte die Beklagte mit Email vom 22.11.2021 (Anlage …) die Belegschaft über die entsprechende Handhabe im Betrieb. Ein etwaiger Impfnachweis könne durch Screenshot des digitalen Nachweises oder durch Vorlage des Impfausweises erfolgen. Es wurde darauf hingewiesen, dass eine Kopie für die Dokumentation gefertigt werden würde.

Die Klägerin legte am 03.12.2021 ihren Impfausweis bei der Personalabteilung der Beklagten zur Erstellung einer Kopie vor. Auf Nachfrage der Personalreferentin, ob sie auch einen QR-Impfcode habe, erklärte sie, dass sie ein digitales Impfzertifikat nur auf ihrem privaten Mobiltele...

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