Entscheidungsstichwort (Thema)

Probezeitkündigung. Kündigung vor Vertragsbeginn. Maßregelung. Schriftform. Diskriminierung. Impfung. Coronavirus

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine zur Unwirksamkeit einer Probezeitkündigung führende Maßregelung (§ 612a BGB) liegt nicht vor, wenn die Rechtsausübung des Arbeitnehmers kein tragender Beweggrund des Arbeitgebers beim Kündigungsentschluss bildet. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Arbeitgeber als Ausdruck seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit die Umsetzung eines bestimmten Anforderungsprofils für alle Arbeitsplätze im Betrieb anstrebt und dieses allgemeingültige Profil mit höchstpersönlichen Entscheidungen des daraufhin gekündigten Arbeitnehmers unvereinbar ist. Dementsprechend bewirkt die vom Arbeitgeber bezweckte Durchsetzung des „2G-Modells” in einem Musicalaufführungsbetrieb keine Maßregelung einer nicht gegen das Coronavirus (SARS-Cov-2) geimpften Darstellerin.

2. Die Kündigung gegenüber einer nicht geimpften Arbeitnehmerin verstößt nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wenn die Entscheidung der Arbeitnehmerin gegen die Inanspruchnahme der Schutzimpfung allein auf medizinische Bedenken gestützt wird.

 

Normenkette

BGB §§ 612a, 623; AGG § 1

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes (Beschwerdewert) wird auf 32.646,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungen.

Die Klägerin schloss mit der Beklagten zu 1 unter dem 08./15.04.2021 einen schriftlichen Arbeitsvertrag (Kopie Anlage K 1; Bl. 10 ff. d. A.), der die befristete Beschäftigung der Klägerin vom 18.10.2021 bis 27.11.2021 als Darstellerin zum Zwecke von Proben für das Musical „Ku'damm 56” zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 5.166,00 Euro mit einer vierwöchigen Probezeit vorsah. Ferner schloss die Klägerin mit der Beklagten zu 2 einen schriftlichen Arbeitsvertrag (Kopie Anlage K 3; Bl. 18 ff. d. A.), der ihre weitere Beschäftigung als Darstellerin in dem besagten Musical ab dem 28.11.2021 bis zum Ende des Aufführungszeitraums, „d.h. voraussichtlich bis zum 24.04.2022” zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 5.716,00 Euro vorsah. Ferner heißt es in diesem Vertrag auszugsweise:

8. Vertragsdauer, Probezeit, Vertragsende

8.1 Dieser Vertrag ist bis zum Ende der Produktion fest abgeschlossen. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt. […]

8.2 DARSTELLER und VERANSTALTER vereinbaren eine Probezeit von einem Monat d.h. vom 28.11.2021 bis zum 27.12.2021 innerhalb derer beide Parteien den Vertrag einseitig ohne Angaben von Gründen jederzeit mit einer Frist von zwei Wochen kündigen können (Beispiel: Kündigung 18.10.2021, Ende des Vertragsverhältnisses 31.10.2021).

[…]

Nachdem die Beklagten erfahren hatten, dass die Klägerin nicht über eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus (SARS-CoV-2) verfügt, sprachen sie mit Schreiben vom 18.10.2021 (Kopien Anlagen K 2 und K 4; Bl. 17 und 27 d. A.) jeweils die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 01.11.2021 aus. Ob diese Schreiben jeweils eine vollständige handschriftliche Wiedergabe der Namen der beiden Geschäftsführer der Beklagten tragen, ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin hatte den Beklagten vor Ausspruch der Kündigungen unter anderem angeboten, mit Blick auf die unterbliebene Impfung täglich Testnachweise vorzulegen.

Mit einem am 08.11.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und insbesondere das Vorliegen einer unzulässigen Maßregelung gerügt, wobei wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens auf den Inhalt der Klageschrift (Bl. 3 ff. d. A.) sowie ihre Schriftsätze vom 09.12.2021 (Bl. 57 ff. d. A.) und 03.01.2022 (Bl. 67 ff. und Bl. 85 f. d. A.) Bezug genommen wird. Die Klägerin hat zudem nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 02.02.2022 (Bl. 104 ff. d. A.) weiter vorgetragen.

Die Klägerin beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten zu 1 durch die Kündigung der Beklagten zu 1 vom 18.10.2021 nicht aufgelöst worden ist;
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten zu 1 auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern unverändert zu den bisherigen Bedingungen über den 01.11.2021 hinaus fortbesteht;
  3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten zu 2 durch die Kündigung der Beklagten zu 2 vom 18.10.2021 nicht aufgelöst worden ist;
  4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten zu 2 auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern unverändert zu den bisherigen Bedingungen über den 01.11.2021 hinaus fortbesteht.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf ihre Schriftsätze vom 02.12.2021 (Bl. 43 ff. d. A.), 06.01.2022 (Bl. 89 ff. d. A.) und 01.02.2022 (Bl. 100 f. d. A.) Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

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