Die vom BAG rechtsfortbildend entwickelten Arbeitskampfregeln kommen immer wieder unter einen erheblichen Druck von Seiten internationalrechtlicher von der Bundesrepublik ratifizierter Rechtsregeln. Es ist bisher allerdings noch nicht zu einer Korrektur der höchstrichterlichen Rechtsprechung gekommen.

Normative Grundlage dieses Drucks ist besonders Art. 6 Abs. 4 der Europäischen Sozialcharta (ESC). Er lautet:

"Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, ... und anerkennen, das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen."

Der als sachverständige Stelle tätige Regierungsausschuss der Europäischen Sozialcharta hat dem für die Überwachung der Einhaltung der von der Bundesrepublik ratifizierten ESC zuständigen Ministerkomitee des Europarates einen Bericht zugeleitet, wonach es mit Art. 6 Abs. 4 ESC unvereinbar sei, dass in Deutschland alle Streiks verboten seien, die nicht auf den Abschluss eines Tarifvertrages gerichtet und von einer Gewerkschaft ausgerufen oder übernommen worden seien. Daraufhin hat das Ministerkomitee am 3. Februar 1998 mehrheitlich eine sog. individuelle Empfehlung an die deutsche Bundesregierung beschlossen, die negativen Feststellungen des Ausschusses zu berücksichtigen und in ihrem nächsten Bericht mitzuteilen, welche Maßnahmen sie daraufhin getroffen habe.[1] In dem Ausschussbericht werden als Beispiele für die Lückenhaftigkeit der deutschen Streikgarantie besonders die fehlenden Möglichkeiten der Beschäftigten genannt, in Angelegenheiten wie Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz oder Kündigungen von Arbeitnehmern zu streiken. Der Bericht des Regierungsausschusses macht auch das ganz andere Vorverständnis in vielen Ländern Europas deutlich. Sie verstehen das Streikrecht als individuelles Freiheitsrecht von Arbeitnehmern. Dies nähme dem überkommenen, relativ kalkulierbaren deutschen Arbeitskampfrecht die Grundlage. Zudem werden die Instrumentarien nicht berücksichtigt, die in dem stark verrechtlichten deutschen Arbeitsrecht zur Verfügung stehen und die Selbsthilfe durch Streik zumindest nicht zwingend erfordern. Die individuelle Empfehlung des Ministerkomitees hat bisher jedenfalls weder in der deutschen Arbeitsrechtsprechung noch in der Gesetzgebung einen greifbaren Niederschlag gefunden.

[1] AuR 1998, 156; vgl. dazu Däubler, AuR 1998, 154 ff.; Bepler, FS für Wißmann, S. 97 ff.

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