Koalitionen haben das Recht, autonom das Arbeits- und Wirtschaftsleben zu fördern.[1] Das Arbeitsleben wird im Autonomiebereich durch Tarifverträge geregelt. Sie anzustreben, ist Teil des gewährleisteten koalitionsgemäßen Verhaltens. In diesem Kontext versteht die Rechtsprechung den Arbeitskampf juristisch nicht als emanzipatorischen oder vorrevolutionären Akt. Er wird schlicht als Hilfsmittel zur sachgerechten kollektiven Regelung der Arbeitsbedingungen verstanden. Ihm wird eine Komplementärfunktion im Rahmen der Tarifautonomie zugewiesen. Im Individualvertrag ist die Vertragsparität typischerweise gestört. Es besteht eine strukturelle Ungleichgewichtslage. Im Arbeitsverhältnis sind die Möglichkeiten unterschiedlich verteilt, die eigenen Interessen bei der Vertragsgestaltung durchzusetzen. Der Tarifautonomie kommt die Aufgabe zu, die gestörte Parität im Individualverhältnis weitgehend durch eine kollektive Verhandlungsebene mit ausgewogen verteilten Durchsetzungschancen zu ersetzen. Hierfür ist auch das Recht wesentlich, notfalls kampfweise die Arbeit niederzulegen. Können beide Seiten zur Erreichung ihrer Ziele in vertretbarem Umfang Druck ausüben, können für beide Seiten angemessene Verhandlungsergebnisse erwartet werden. Aus dieser sehr stark typisierenden Sicht erklärt sich das das Arbeitskampfrecht prägende Wertungsprinzip der Kampfparität. Der den Gesetzgeber vertretenden Richter verfolgt das Gestaltungsziel, die Rechte und Pflichten im Arbeitskampf so ausgewogen zuzuordnen, dass keine Seite der anderen die dann in den einzelnen Vertragsverhältnissen geltenden Bedingungen diktieren kann.

Die hiernach für die Rechtsprechung maßgebliche Hilfsfunktion des Streiks als Mittel zur Sicherung einer ausgewogenen kollektiven Verhandlungssituation bei der Regelung der Arbeitsbedingungen führt zur ersten konkreten Grenze des Streikrechts: Streiks sind nur statthaft, die damit zusammenhängenden Verhaltensweisen von vornherein nur rechtmäßig, wenn es um zulässigerweise tarifvertraglich regelbare Regelungsziele geht. Das sind nach § 1 Abs. 1 TVG Regelungen der Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien im Verhältnis zueinander (schuldrechtlicher Teil des Tarifvertrags) und Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen (normativer Teil des Tarifvertrags).

 
Praxis-Beispiel

Kein Streikrecht zur Verhinderung von Auslagerungen oder Unternehmensschließungen

Ob unternehmerische Funktionen auf ein ausländisches Tochterunternehmen verlagert werden, ist eine reine unternehmerische Maßnahme. Man kann die Entscheidung dazu wohl nicht einer erzwingbaren tariflichen Regelung unterstellen. Ein Streik, mit dem vorrangig eine solche unternehmerische Maßnahme verhindert werden soll, ist deshalb nach der bisherigen Rechtsprechung rechtswidrig,[2] Entsprechend verhält es sich hinsichtlich der unternehmerischen Maßnahme, einen Produktionsstandort zu schließen. Allerdings kann in einem solchen Fall tariflich geregelt werden, wie und mit welchen sozialen Abfederungen die Stilllegung durchgeführt wird ("Tarifsozialplan"). Dafür kann dann auch gestreikt werden.[3]

Um welche von der streikführenden Gewerkschaft angestrebten Ziele es geht, muss grundsätzlich anhand der Forderungen ermittelt werden, welche die streikführende Gewerkschaft dem sozialen Gegenspieler im Zusammenhang mit dem Streikbeschluss übermittelt hat. Ergänzend können aber auch die sonstigen auf die verantwortliche Gewerkschaftsleitung zurückzuführenden Umstände herangezogen werden, um den Schwerpunkt des gewerkschaftlichen Forderungspakets zu ermitteln. Hier ist allerdings im Einzelnen noch manches unklar.[4]

Selbst wenn das Regelungsziel an sich thematisch zu den möglichen Regelungsinhalten eines Tarifvertrags gehört, kann ein zur Durchsetzung eines solchen Zieles durchgeführter Streik von vorneherein rechtswidrig sein. Das ist dann der Fall, wenn der angestrebte Tarifvertrag wegen des Inhalts der angestrebten Regelung rechtswidrig und deshalb unwirksam wäre.[5]

 
Praxis-Beispiel

Kein Streikrecht zur Durchsetzung von tarifvertraglichen Diskriminierungen

Ein Tarifvertrag, in dem Vergütungshöhen für bestimmte Personengruppen festgelegt werden, ist selbstverständlich rechtlich möglich und grundsätzlich statthaft. Gleichwohl ist ein Streik um einen solchen Tarifvertrag rechtswidrig, wenn mit ihm offensichtlich (etwa frauen- oder ausländer-)diskriminierende Regelungen durchgesetzt werden sollen.

Kein Streikrecht zur Überwindung der negativen Koalitionsfreiheit

Aus entsprechenden Gründen kann auch nicht für eine (firmen-)tarifvertragliche Regelung gestreikt werden, durch die tarifgebundenen Arbeitgebern der Austritt aus dem Tarifbindung vermittelnden Arbeitgeberverband untersagt wird. Abreden, die das Recht ausschließen wollen, einer Koalition fernzubleiben oder aus ihr auszutreten, sind nichtig, daraus gerichtete (Streik-)Maßnahmen rechtswidrig.[6]

Eine angestrebte an sich rechts...

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