Für Kündigungen sollen nach § 2 Abs. 4 AGG "ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz" gelten. Nach Auffassung des BAG[1] finden jedoch – entgegen dem Gesetzeswortlaut – die Diskriminierungsverbote des AGG im Rahmen des Kündigungsschutzes durchaus Anwendung. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Diskriminierungsverbote des AGG (§§ 110 AGG), so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen. Die Diskriminierungsverbote des AGG und die im AGG enthaltenden Rechtfertigungsgründe für unterschiedliche Behandlungen sind bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten, dass sie Konkretisierungen des Begriffs der Sozialwidrigkeit darstellen. Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des ersten Abschnitts des KSchG (insbesondere Kündigungen in Kleinbetrieben oder während der ersten 6 Monate eines Arbeitsverhältnisses) sind unmittelbar am Maßstab des AGG zu messen.[2] Dem steht § 2 Abs. 4 AGG nicht entgegen, da die Vorschrift lediglich das Verhältnis von AGG und KSchG und den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen regelt.

 
Wichtig

Berücksichtigung des Lebensalters

Die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG für den Bereich der Sozialauswahl vorgesehene Berücksichtigung des Lebensalters als soziales Kriterium stellt an sich eine an das Alter anknüpfende unterschiedliche Behandlung dar. Sie ist nach der Rechtsprechung des BAG jedoch nach § 10 Sätze 1 und 2 AGG gerechtfertigt.[3]

Auch die Bildung von Altersgruppen kann – so das BAG – nach § 10 Sätze 1 und 2 AGG durch legitime Ziele gerechtfertigt sein. Die betriebs- und unternehmensbezogenen Zwecke einer Altersgruppenregelung, zu denen auch die Erhaltung der Altersstruktur gehört, können legitime Ziele i. S. d. AGG sein.[4] Eine Altersgruppenbildung ist zur Erhaltung der Altersstruktur der Belegschaft nur geeignet, wenn sie dazu führt, dass die bestehende Struktur bewahrt bleibt. Dafür muss die bisherige Verteilung der Beschäftigten auf die Altersgruppen ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der in der jeweiligen Altersgruppe zu Kündigenden finden. Von einem legitimen Ziel ist regelmäßig auszugehen, wenn die Altersgruppenbildung bei Massenkündigungen aufgrund einer Betriebsänderung erfolgt.[5]

Das BAG hat klargestellt, dass regelaltersrentenberechtigte Arbeitnehmer in einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG hinsichtlich des Kriteriums Lebensalter deutlich weniger schutzwürdig sind als Arbeitnehmer, die noch keine Altersrente beanspruchen können.[6]

Krankheit und Behinderung

Die krankheitsbedingte Kündigung[7] eines längerfristig erkrankten Arbeitnehmers ist auch nach der europäischen Rahmenrichtlinie[8] möglich.

Nach der Rechtsprechung des EuGH[9] fällt eine Erkrankung als solche nicht unter das Diskriminierungsmerkmal "Behinderung". Mit der Verwendung des Begriffs "Behinderung" habe man bewusst ein Wort gewählt, das sich von dem der "Krankheit" unterscheide. Die Richtlinie enthalte keinen Hinweis darauf, dass Arbeitnehmer aufgrund des Verbots der Diskriminierung wegen einer Behinderung in den Schutzbereich der Richtlinie fallen, sobald sich irgendeine Krankheit manifestiert. Somit würden Personen, die von ihrem Arbeitgeber ausschließlich wegen Krankheit gekündigt worden sind, nicht von dem durch die Richtlinie zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen einer Behinderung geschaffenen allgemeinen Rahmen erfasst.

Schließlich vertritt der EuGH die Auffassung, dass Krankheit als solche nicht ein weiterer Grund neben denen angesehen werden kann, derentwegen Personen zu diskriminieren nach der Rahmenrichtlinie verboten ist; d. h. die 8 in § 1 AGG genannten und geschützten Merkmale sind insoweit abschließend.

 
Achtung

Krankheit kann Behinderung sein

Der EuGH hat nur die Gleichstellung der Behinderung mit "irgendeiner Krankheit" verneint. Zahlreiche Krankheiten, insbesondere chronische Erkrankungen, können durchaus eine Behinderung im Sinne des AGG und des EuGH sein. Bei der Diskriminierungsprüfung kommt es dann darauf an, ob das Fehlen der Behinderung wegen der Art der Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt.[10] Maßgebliches Unterscheidungsmerkmal ist insoweit die Dauerhaftigkeit. Wenn die Krankheit aufgrund der Dauerhaftigkeit den Grad der Behinderung erreicht, wird sie auch vom Diskriminierungsverbot erfasst.[11] Nach der Rechtsprechung des BAG ist eine symptomlose HIV-Erkrankung eine Behinderung im Sinne des AGG. Eine solche Infektion führt zu einer chronischen Erkrankung, die sich auf die Teilhabe des Arbeitnehmers an der Gesellschaft auswirkt. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern.[12]

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