Zahlenmystik: Vom Geburtsdatum zum Persönlichkeitsprofil

So manchen Mythos in der HR-Welt konnte Professor Uwe P. Kanning schon in seiner Kolumne aufklären. Gewohnt spitzfindig erzählt er von einer ausgefallenen Variante der Psychodiagnostik, anhand derer sich alleine vom Geburtsdatum ein glasklares Persönlichkeitsprofil ableiten lässt. Angeblich.

Ist auch an Ihrem Unternehmen die Aufklärung spurlos vorübergegangen? Befragen Ihre Manager bei wichtigen Entscheidungen zuvor die Sterne? Verbrennen Sie bei Umsatzeinbußen hin und wieder eine Hexe? Dann dürfen Sie sich freuen. Der unerschöpfliche Ideenreichtum arbeitsloser Esoteriker stellt Ihnen eine neue Variante der Psychodiagnostik zur Verfügung.

Die Methode ist nicht nur intellektuell ausgereift, menschenfreundlich und nachhaltig, sondern – und das ist das Wichtigste – vor allem praxistauglich. Als praxistauglich gelten gemeinhin all jene Methoden, die unabhängig von ihrem Nutzen möglichst wenig Arbeit bereiten und den Neocortex der Entscheidungsträger nicht allzu großer Belastung aussetzen. Unter diesen Gesichtspunkten ist die neue Methode geradezu genial.

Geburstdatum füttert Algorithmus

Alles was der erleuchtete Diagnostik-Anbieter über seinen Probanden wissen möchte, ist das Geburtsdatum (!). Mit dieser essentiellen Information wird ein professioneller Algorithmus gefüttert, der ganz unverfälscht glasklare Persönlichkeitsprofile erstellt. Kein lästiges Ausfüllen endlos langer Fragebögen, kein Rumdeuteln bei Antworten auf komplizierte Interviewfragen, einfach nur zurücklehnen und die vollends objektive Wahrheit genießen. Natürlich benötigte der Anbieter für die Entwicklung dieses einzigartigen Produktes die jahrzehntelange Forschung eines versierten Teams von Psychologen, Mathematikern und Programmieren. Wie gut, dass er dabei auf die Grundlagenforschung tibetischer Mönche zurückgreifen konnte, die schon vor rund 1.000 Jahren die geheimnisvollen Zusammenhänge zwischen Geburtsdatum und Persönlichkeit erkannt haben. An dieser Stelle noch mal herzlichen Dank an alle alten Tibeter!

Wer nun denkt, das alles wäre doch nur der 17. Aufguss der guten alten Astrologie, liegt diesmal falsch. Der Hintergrund liegt vielmehr in der Numerologie – der Lehre von der Bedeutung der Zahlen. Jeder einzelnen Ziffer wird dieser weisen Erkenntnis zufolge eine Bedeutung zugeschrieben, wobei sich aus der Abfolge der Ziffern, zum Beispiel im Geburtsdatum, eine spezifische Charakterisierung der zugehörigen Person ergibt. Wer beispielsweise am 03.05.1966 geboren wurde, hat der reinen Lehre nach eine völlig andere Persönlichkeit mit auf den Weg bekommen als jemand, der am 30.05.1966 das Licht der Welt erblickte – ganz zu Schweigen vom Erdenbewohner mit dem Code 31.10.1986 oder gar 24.12.2000. All dies erscheint schon bei der ersten Betrachtung äußerst schlüssig und bedürfte eigentlich keiner kritischen Reflexion.

Werden täglich Persönlichkeits-Klone geboren?

Unverbesserliche Erbsenzähler werden nun wahrscheinlich einwenden wollen, dass ja dann allein in Deutschland jeden Tag im Durchschnitt mehr als 2.000 Persönlichkeits-Klone geboren werden. Andere verweisen vielleicht auf die Forschung zu sogenannten "Zeitzwillingen". Dies sind Menschen, die zum gleichen Zeitpunkt geboren wurden und nachweislich leider keine größere Ähnlichkeit in der Ausprägung ihrer Persönlichkeitsmerkmale aufweisen als Menschen, die zu beliebigen Zeitpunkten geboren wurden. Aber das sind ja nur die üblichen Miesmacher.

Menschen mit offenem Herzen und unvoreingenommenem Blick halten sich da doch lieber an die Erfinderin der "Namenspsychologie". Vor dem Hintergrund der Numerologie hat sie damals jedem Buchstaben im Alphabet eine Zahl zugeordnet und anschließend die Namen von Prominenten oder Bewerbern in eine Abfolge von Ziffern umgewandelt, die dann kurzerhand gedeutet wurde. Und jetzt kommt das Beste: Die Erfinderin der Namenspsychologie interpretiert nach dieser Methode ihren eigenen Namen und siehe da, er bedeutet "Wahrheit"! Hieraus schlussfolgert sie messerscharf, dass natürlich auch die von ihr gegründete Variante der Numerologie "wahr" sein muss. Endlich ein Beweis! Danke für dieses strahlende Zeugnis intellektueller Schaffenskraft! Vielleicht ein wenig zirkulär, aber dennoch beeindruckend.

Aufwändige Potentialanalysen entfallen

Also schauen wir positiv nach vorn und denken an die vielen schönen Anwendungsfelder der unbedarften Geburtsdatendeutung im Unternehmen. In der Personalauswahl ließen sich die Kosten fast auf Null reduzieren. Aufwändige Potentialanalysen entfallen ebenso wie Internetrecherchen zur Persönlichkeit wichtiger Geschäftskunden. Alles was Sie benötigen ist das Geburtsdatum. Und wer weiß, vielleicht sind Sie ja eines Tages so mutig und tätowieren den Mitarbeitern einfach das Geburtsdatum als Strichcode auf die Stirn, dann könnte in der Kantine ein Algorithmus gleich auch noch das persönlichkeitskompatible Menü auswählen. Das Leben könnte so einfach sein.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist oder was Sprachanalysen über die Persönlichkeit aussagen können.

Haufe Online Redaktion
Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalplanung, Personalarbeit