Wirtschaftspsychologie Kolumne: Spirituelles Coaching

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf. Heute: Die fragwürdigen Grundlagen von spirituellem Coaching.

Wohl kaum eine Methode der Personalentwicklung hat in den vergangenen Jahren einen so rasanten Aufstieg erlebt wie das Coaching. Schätzungen zufolge verdienen in Deutschland nicht weniger als 35.000 Menschen ihre Brötchen unter anderem als Coach. Diese unfassbar große Anzahl ist nur dadurch zu erklären, dass sich ein jeder, der hierin einen Vorteil sieht, ohne Hindernis als Coach vermarkten kann. Wer sich den Anschein der Professionalität geben möchte, lässt sich kurzerhand ein paar Visitenkarten drucken, gestaltet eine schöne Internetseite und schraubt vielleicht sogar noch ein eindrucksvolles Schild an die Tür – fertig ist der Experte für alle Lebenslagen.

Coaching treibt viele Blüten

Selbstzweiflerisch veranlagte Zeitgenossen haben zuvor noch ein bis zwei Wochenendseminare bei einem x-beliebigen Ausbilder besucht. Die einzige Schwierigkeit liegt darin, sich angesichts der unüberschaubaren Vielfalt der Angebote für eines zu entscheiden. Solle man den Sternen vertrauen und Astro-Coach werden oder lieber als Schamane, bekifft, mit Trommel und allerlei Glöckchen ausgestattet, in Trance die Seelen Verstorbener herbeitanzen? Verspricht die Kinesiologie ein gedeihlicheres Auskommen als die Organisationsaufstellung nach Hellinger? Wie verhält es sich mit Reiki, Hypnose oder Feng Shui? Oder geht man lieber den sicheren Weg und macht irgendetwas mit NLP? Das verkauft sich schließlich immer. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Warum sollte es den angehenden Coaches auch besser gehen als ihren künftigen Opfern – pardon: ihren "Klienten"?

Weiterer Trend: Sprituelles Coaching

Seit wenigen Jahren wird der Coaching-Markt  bereichert durch ein Angebot mit christlichem Wertehintergrund, dem spirituellen Coaching. Mehrere Vertreter der katholischen Kirche oder ihrer Orden wenden sich insbesondere an Führungskräfte – nicht etwa um ihnen beizubringen, wie man über das Wasser wandelt, wohl aber, um nützliche Tipps für den Führungsalltag unter das Volk zu bringen. Wer sich nun fragt, warum gerade Vertreter der katholischen Kirche mit ihrer doch sehr speziellen Führungskultur hier als Experten auftreten, mag vielleicht ein Ketzer sein, gleichwohl legt er den Finger in die richtige Wunde.

Die Lektüre der einschlägigen Werke fördert grundlegende Probleme zu Tage:

  • Den Ausgangpunkt bildet die Überzeugung, es gäbe eine überschaubare Anzahl von Werten oder Tugenden, die universell und ewig gültig seien. Diese Werte entnimmt man den christlichen Schriften und fordert Führungskräfte dazu auf, ihr Handeln danach auszurichten. Leider stimmen die Autoren keineswegs darin überein, um welche Werte oder Tugenden es sich handelt. Auch greift man gern einmal auf die griechische Philosophie zurück, während das alte Testament leider unberücksichtigt bleibt. Hier kann man sich des Eindrucks einer gewissen Beliebigkeit kaum erwehren. Die Autoren suchen sich das heraus, was ihnen passt und verleihen ihrer eigenen subjektiven Sichtweise eine Scheinautorität, in dem sie das Ganze als überirdisch legitimierte Wahrheit darstellen.
  • Es wird völlig ignoriert, dass sich die Werte der Menschen und damit auch die Ansprüche der Arbeitnehmer an ihre Führungskräfte in jeder Generation ein Stück weit verändern.
  • Die Ratsuchenden werden aufgefordert, regelmäßig christliche Zitate zu lesen, über Sinnsprüche zu meditieren oder auch zu beten. Falls all dies überhaupt eine dauerhafte Wirkung entfalten sollte, dann im Sinne einer Einstellungsänderung. Aus der umfangreichen Forschung zur Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten könnte man eigentlich wissen, dass Ersteres nur sehr begrenzt Letzteres zur Folge hat. Es ist daher kaum mit verhaltensbezogenen Wirkungen der Übungen im Arbeitsalltag zu rechnen.
  • Manche Autoren predigen einen völlig überholten Führungsansatz, dem zufolge die Persönlichkeit der Führungskraft das Wichtigste sei. Hätte man einmal einen Blick in ein beliebiges Einführungslehrbuch der Wirtschaftspsychologie geworfen, wüsste man, dass dies falsch ist.
  • Andere Aussagen, die im Kern durchaus zutreffend sind – zum Beispiel dass man sich als Führungskraft gegenüber den Mitarbeitern gerecht verhalten soll – bleiben eine hohle Geste. Mehrere Jahrzehnte Gerechtigkeitsforschung, die uns ein Verständnis dafür geben, was Mitarbeiter als gerecht erleben oder wie man als Führungskraft ein Gerechtigkeitserleben fördern kann, bleiben ausgeblendet.

In bester kirchlicher Tradition ignorieren die Protagonisten des spirituellen Coachings jedwede Forschung. Die meisten ihrer Empfehlungen bewegen sich auf einem Kontinuum zwischen den Polen "unreflektiert" und "wirkungslos". An die Stelle der Erkenntnis tritt der Glaube an die Wahrheit des Wortes heiliger Autoritäten, ganz so, als hätte die Aufklärung nie stattgefunden. Ein bemerkenswertes Ideal für Führungskräfte im 21. Jahrhundert.

Führung auf Basis eines einzigen Texts

Leider gelangt man durch die Exegese von Texten nur zu subjektiven Überzeugungen, nicht aber zu abgesicherten Erkenntnissen. Mit ein wenig Phantasie kann man aus fast jedem beliebigen Text dem Schein nach eine sinnvolle Führungsfibel basteln. Wie wäre es zum Beispiel mit Shakespeares Richard III. oder Melvills Moby Dick? Lehrt uns Richard III. nicht, dass man seine Karriere ganzheitlich-strategisch angehen muss? Ist Kapitän Ahab nicht eine charismatische Führungspersönlichkeit, die Herausforderungen besonders nachhaltig meistert? Meditieren Sie doch einfach ein klein wenig über diese Aussagen. Es wird Ihnen eben so wenig helfen, eine bessere Führungskraft zu werden, wie das spirituelle Coaching.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.