Wie man Einfluss auf Menschen gewinnt

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Wie gewinnt man eigentlich Einfluss?

Was ist Führung? Dazu gibt es zahlreiche Definitionen und Stapel bedruckten Papiers. Doch nur eines ist sicher: Führung ist ein riesengroßer Blähbegriff. Dennoch hat sich mit der Zeit ein Minimalkonsens in der Führungsforschung herausgeschält. Er besagt in den Worten des Arbeits- und Organisationspsychologen Friedemann Nerdingers: "Führung ist die bewusste und zielbezogene Einflussnahme auf Menschen."

Bevor wir uns daher Gedanken darüber machen, wie man Menschen führt, sollten wir vielleicht den Ball flacher halten und erst einmal beantworten: Wie gewinnt man eigentlich Einfluss auf Menschen? Dazu gibt es auffallend viel neue Literatur. Besonders spannend ist das gerade erschienene Buch der Yale-Professorin Zoe Chance. Der Titel lautet im vollmundigen US-Bestseller-Sound: "Influence Is Your Superpower. The Science of Winning Hearts, Sparking Change, and Making Good Things Happen." Die deutsche Übersetzung stapelt tiefer: "Der gute Einfluss. Menschen für sich gewinnen, authentisch bleiben und Gutes bewirken".

Wann sagen Menschen "ja"?

Interessant dabei ist: Zoe Chance distanziert sich in ihrem Buch und den damit verbundenen Interviews ein Stück weit von den Lehren, die Robert Cialdini, der große alte Mann der Influence-Forschung, die letzten Jahrzehnte geprägt hat. Cialdini wollte ursprünglich wissen, was Menschen dazu bewegt, "ja zu sagen" – zu Angeboten, die man ihnen macht, zu Anweisungen, die man ihnen gibt, zu Vorschlägen, die man ihnen unterbreitet.

Gelandet ist der Psychologe bei Tipps, die im Marketing heute zum Standardvorgehen gehören. Das ist auch wenig verwunderlich, denn Cialdini hatte an der Arizona State University einen Lehrstuhl für Psychologie und Marketing inne und gründete eine darauf spezialisierte Beratung. Seine sieben Hebel, um andere zum Ja-Sagen zu bewegen, lauten:

  1. Setze auf Gegenseitigkeit ("reciprocity"): Menschen wollen zurückgeben, wenn sie etwas erhalten haben.
  2. Setze auf Verknappung ("scarcity"): Menschen wollen besitzen, was auszugehen droht.
  3. Setze auf Amtsautorität ("authority"): Menschen lassen sich von Status, Titeln und beglaubigter Expertise beeindrucken.
  4. Setze auf Prinzipientreue ("consistency"): Menschen wollen sich, ihren Idealen und Versprechungen treu bleiben.
  5. Setze auf Sympathie ("liking"): Menschen vertrauen Menschen, die sie mögen.
  6. Setze auf Gruppenverhalten ("social proof"): Menschen orientieren sich an dem, was andere Menschen machen, gut finden und empfehlen.
  7. Setze auf Zugehörigkeit ("unity"): Menschen lassen sich eher beeinflussen von jemandem, den sie "als ihresgleichen" oder "als einen von uns" wahrnehmen.

Wann folgen Menschen dauerhaft?

Zoe Chance, ihres Zeichens auch Marketing-Expertin, stellt nun klar: Es gilt zu unterscheiden, ob der erzielte Einfluss von Dauer ist oder ob er beim Gegenüber nur oberflächlich dazu führt, spontan etwas zu tun – wie "ja zu sagen" oder etwas zu kaufen. Um sich diesen Unterschied klarzumachen, kann man sich Haustürgeschäfte vorstellen.

Der eine kommt nur durch die Tür, weil er argumentative Tricks anwendet und beim Gegenüber Cialdinis Reflexe auslöst. Der anderen stehen Türen prinzipiell ein Stück weit offen, sie wird gern eingelassen und gehört. Doch wann ist letzteres der Fall? Zoe Chance stellt klar: Das gelingt nur jenen Verkäufern, die in einer echten Beziehung zum Käufer stehen ("being connected").

Damit erweisen sich Cialdinis Hebel nicht als gleichwertig. Sympathie und Zugehörigkeit sind in diesem Licht der Schlüssel, um andere dauerhaft und nachhaltig zu beeinflussen. Dazu passt, dass Cialdini selbst am Ende eines langen Forscherlebens "Unity" als einen Faktor deklariert hat, der den anderen zugrunde liegt. Doch sind die übrigen Hebel, wie Marketer "verkaufen", für Führungskräfte damit gar nicht mehr von Belang? Nein.

Zoe Chance erinnert uns zu Recht an die Erkenntnis, für die der Verhaltensökonom Daniel Kahnemann den Nobelpreis erhalten hat: Bis zu 95 Prozent unserer Zeit verbringen wir im Reiz-Reaktions-Muster, denken und handeln schnell, unbewusst und eher unüberlegt. Vor diesem Hintergrund kann es auch Führungskräften angeraten sein, ihr Anliegen dem Gegenüber mit den Tricks des Marketings nahezubringen.

"Lassen Sie uns diese letzte Chance nutzen!" (Verknappung), "Wir sollten einlösen, was wir allerorten immer versprechen" (Prinzipientreue), "Unser Vorgehen wird von allen führenden Wissenschaftlern empfohlen" ("social proof", Amtsautorität). All das sind Türöffner aus dem Werkzeugkasten Robert Cialdinis, die Menschen im Auto-Pilot-Modus öffnet.

Was sollten Menschen, die führen wollen, tun?

Wenn wir also über die "bewusste und zielbezogene Einflussnahme" reden, die von Menschen, die andere führen, geleistet werden muss, gilt für mich:

  1. Wer dauerhaft erfolgreich führen will, sollte in möglichst enger, auch emotionaler Beziehung zu denen stehen, die sie oder er für die eigenen Ziele gewinnen muss. Das ölt die Tür, die es beim Anderen zu öffnen gilt.
  2. Um in Herzen und Hirne vorzudringen, ist es statthaft, sein Anliegen mit den Tricks des Marketers für Menschen im Reiz-Reaktions-Modus schmackhaft zu machen. Das öffnet die Tür beim Anderen.
  3. Wer durch diese Tür gekommen ist, muss dennoch durch überzeugende Kommunikation und gewinnendes Auftreten dafür sorgen, dass die, die mitziehen sollen, das auch dauerhaft und aus innerer Überzeugung tun.

Anders ausgedrückt: Führung ist und bleibt fortgesetzte Kommunikation zu gemeinsamen Zielen und den Möglichkeiten, wie diese erreicht werden können - dies auf der Grundlage von Vertrauen und Vertrautheit. Ein bisschen Verkaufstalent bei der Darstellung der Ziele und Wege schadet dabei nicht.


Randolf Jessl ist Inhaber der  Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen und Organisationen, die etwas bewegen und in Führung gehen wollen.