Vor Ergebnissen einer Evaluation schützen

Wer mag schon Evaluationen - vor allem dann, wenn sie unangenehme Erkenntnisse mit sich bringen. Wirtschaftspsychologe Uwe P. Kanning dreht den Spieß ironisch um und zeigt, wie die Evaluation von Personalauswahlverfahren, Teambildungsmaßnahmen oder Führungskräfteseminaren auf jeden Fall zum gewünschten - aber nicht zum eigentlichen - Ergebnis führt.

Evaluationen sind überaus lästig. Sie überprüfen, wie gut ein Auswahlverfahren die berufliche Leistung der neu eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter prognostizieren kann oder decken auf, ob ein Führungskräftetraining tatsächlich besseres Führungsverhalten im Berufsalltag nach sich zieht.

Evaluationen fördern unerwünschte Wahrheiten zutage

So etwas will in der Regel kaum jemand wirklich wissen – zumindest nicht diejenigen, die im Unternehmen Verantwortung für Auswahlentscheidungen tragen oder Personalentwicklungsmaßnahmen planen. Fachvorgesetzte wollen nicht erfahren, dass ihre Vorstellungsgespräche so aussagekräftig sind wie ein Münzwurf. Personaler wollen der Geschäftsführung ungern mitteilen, dass sie im vergangenen Jahr 100.000 Euro für Teambuildingmaßnahmen in den Kamin geblasen haben. Und Top-Führungskräfte möchten auch weiterhin einmal pro Jahr das Luxushotel in St. Moritz genießen, ohne sich mit lästigen Fragen nach dem Nutzen rumzuärgern.

Dumm nur, wenn die Jungs und Mädels aus dem Controlling ganz anders ticken oder die neue Geschäftsführung dringend Einsparpotenziale sucht. Aus der Sache kommt man nur schwer wieder heraus. Vollkommen abwenden lässt sich die Evaluation in diesen Fällen kaum, schließlich will man ja auch Offenheit und Agilität vortäuschen – ganz so wie es die neuen Unternehmenswerte fordern.

Anleitung: Evaluation ad absurdum

Wenn auch Sie sich in einer solch bedrohlichen Lage befinden, besteht kein Grund zur Panik. Atmen Sie einfach tief durch und schreiten Sie beherzt zur Tat. Niemand fordert von Ihnen eine aussagekräftige Evaluation. Es geht nur darum, irgendetwas zu veranstalten, das den Anschein einer sinnvollen Aktivität erweckt. Und das geht beispielsweise so:

  • Wenn Sie die Qualität von Auswahlentscheidungen überprüfen wollen, fragen Sie ganz einfach nach einigen Monaten unverbindlich bei Fachvorgesetzen nach, wie zufrieden sie mit Ihren Auswahlentscheidungen sind. Wenn neun von zehn Vorgesetzte meinen, dass alles bestens läuft, ist die Sache damit erledigt. Offenbar sind mindestens 90 Prozent aller Auswahlentscheidungen erstklassig. Ebenso gut könnte man zehn Pferdetrainerinnen danach fragen, ob ihre Führungskräftecoachings sinnvoll sind. Das Ergebnis der Evaluation steht schon vorher fest.
      
  • Bei Trainingsmaßnahmen verteilen Sie am Ende einen kurzen Fragebogen, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ankreuzen, wie es ihnen gefallen hat. Ist der Trainer halbwegs unterhaltsam und war das Catering gut, dürfte Ihnen keine Gefahr drohen. Seit Jahrzehnten wissen wir, dass das Wohlfühlen nach einem Training in keinem Zusammenhang zur tatsächlichen Lernleistung steht und natürlich auch nichts über den Transfer der Lerninhalte in den Berufsalltag aussagt. Aber das muss Sie nicht weiter stören.
      
  • Vermeiden Sie in jedem Falle Kontrollgruppen. Wenn das Controlling von Ihnen fordert, die Umsatzzahlen von Verkäufern, die ein NLP-Training absolvieren, mit denen von Verkäufern zu vergleichen, die kein Training besuchen, lehnen Sie dies aus ethischen Gründen ab. Wer will denn schließlich entscheiden, welche Verkäufer von einem solchen Super-Power-Training profitieren dürfen und welche nicht. Sie trainieren am besten gleich alle. Dazu werden Ihnen auch erfahrene Trainerinnen und Trainer raten.
       
  • Umgehen Sie in jedem Fall einen Vorher-Nachher-Vergleich. Wenn nach einer Maßnahme die Arbeitszufriedenheit bei 82 Prozent liegt, wird man Ihnen dafür dankbar auf die Schultern klopfen. Dass die Zufriedenheit vor der Maßnahme bei 87 Prozent lag, wollen Sie gar nicht wissen.
       
  • Wenn Sie in einem Konzern arbeiten und hunderte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern befragen, sollten Sie später nur berichten, ob irgendwelche Maßnahmen einen signifikanten Effekt hatten oder nicht. Sprechen Sie nie über die Größe des Effektes. Am Ende interessiert nur, ob etwas Positives dabei herausgekommen ist und nicht, ob ein Effekt von 0,7 Prozent eine Investition von 250.000 Euro rechtfertigt.
       
  • Falls sich negative Ergebnisse ausnahmsweise nicht umgehen lassen, stellen Sie einfach das ganze Vorgehen infrage. Hierzu ein paar nützliche Phrasen: "Das ist alles wahnsinnig komplex und wir haben hier nur eine Momentaufnahme.", "Man kann menschliches Verhalten nicht in Zahlen ausdrücken.", "Was mir die Menschen auf dem Flur erzählen, ist etwas ganz anderes.", "Meine 20-jährige Erfahrung sagt mir...".

Und falls jenseits Ihrer raffinierten Evaluationsstudien tatsächlich mal jemand auf die Idee kommt, Sie nach allgemeinen Erkenntnissen der Forschung zur Wirksamkeit Ihrer HR-Maßnahmen zu fragen – und diese Gefahr ist äußert gering –, lächeln Sie nur generös über die Naivität des Grünschnabels. Sie als alte Häsin oder alter Hase wissen natürlich, dass Forschung nichts mit dem wahren Leben zu tun hat.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.