Video – Die Unterhaltung zurück ins Recruiting bringen

Das Personalmanagement steht leider nicht im Ruf, besonders innovativ und technikbegeistert zu sein. Anna Ott zeigt, dass das auch anders geht: In der Kolumne "Tech Matters" greift sie aktuelle Diskussionen, Trends und Innovationen auf und bleibt stets am Ball. In ihrer ersten Kolumne widmet sie sich der Bedeutung des Videos im Recruiting. 

Die Social Media Kanäle sind voll von Selfie-Videos mit mehr oder minder relevantem Inhalt. Manche berichten von ihren Geschäftsreisen, andere kommentieren Trends ihrer Industrie oder filmen sich beim Plausch mit Kollegen auf Konferenzen. Das Video ist damit omnipräsent im Netz. Ohne spezielles Equipment und (leider) oft ohne Skript hat inzwischen jeder die Möglichkeit seine Geschichte in Bilder zu packen und online zu verbreiten. Dabei "menschelt" es sehr: Fremde zeigen anderen Fremden ihren (Berufs-)Alltag, teilen ihre ungefilterten Gedanken, andere danken es mit gegenseitigen Shares, Views und Kudos – und werden dadurch weniger fremd.

Gleichzeitig sind Xing, Linkedin und Co. aber voller Jobanzeigen mit zähen Textwüsten, Unternehmensprofilen mit austauschbaren Stockfotos und Nachrichten von Recruitern, die nach Kandidaten suchen. Im Kampf um Talente bemühen sich zwar einige Arbeitgeber um personalisierte Nachrichten oder kreativere Jobanzeigen, dennoch herrscht das Motto: "Mehr hilft auch mehr". Noch mehr Job Ads platzieren, noch mehr Leute anschreiben, noch mehr Kanäle bedienen, das wird schon irgendwann zu mehr Bewerbern führen.

Nein. Denn Jobanzeigen verdienen keinen Pulitzerpreis. Weil sie keine Geschichten transportieren. Sie machen komplexe Jobs nicht ansprechend. Sie gewähren keinen Einblick hinter die Kulissen und zeigen keine Menschen, mit denen man arbeiten würde. Es gibt keine Hauptdarsteller zu denen man sich verbunden fühlen kann.

Filmchen zur Imagepflege

Das haben einige Recruiter schon vor Jahren verstanden und sich am Marketing orientiert. Employer Branding Videos wurden produziert, O-Töne und Atmosphäre eingefangen, das Hippe Büro gezeigt und die Vision in griffigen Statements eingeblendet. Daran ist auch nichts verkehrt, aber jeder kennt so viele gutgemeinte als auch misslungene Versionen dieser Anwerbeversuche. Denn da wo es "zu viel" Ausleuchtung, Skript und Stereotype gibt, ist klar: das ist nicht authentisch. Und nicht glaubhaft zu sein ist in unserem Medienzeitalter das Aus.

Gefeiert werden hingegen zero-budget Produktionen von norddeutschen Glasern die auf der Suche nach einem Azubi Millionen Clicks und unzählige Fans fanden. Video ist dann eben doch das dankbareste Medium um Geschichten zu erzählen.

Video kann mehr

Ein Recruiter, genauer ein Sourcer, berichtete mir von Verdreifachung seiner Conversion Rates seit er personalisierte Kurzvideos statt Textnachrichten in der Direktansprache verschickt. Da steht nicht Eitelkeit im Vordergrund. Er hat verstanden, dass der Köder dem Fisch schmecken muss. Jede Studie zum Thema Candidate Experience belegt: Kandidaten wollen kein Datenblatt zum Stellenwechsel, sondern suchen etwas mit dem sie sich verbunden fühlen. Klar gilt das nicht im gleichen Ausmaß für alle Berufsgruppen, doch am Ende arbeiten Menschen stets mit Menschen. Auf der Suche nach einer Passung aber tauschen wir immer noch das eine Datenblatt gegen das andere: Stellenanzeige gegen Lebenslauf.

Man muss nicht gleich Verfechter von der Abschaffung des Lebenslaufes sein, um einzusehen, dass Video eine bewiesenermaßen sinnvolle Ergänzung ist. Man kann ja weiterhin suchmaschinenoptimierte, zielgruppenspezifische Anzeigen ausspielen und damit die Leine auswerfen. Aber wenn die Kandidaten sofort nach Menschen und Einblicken in unsere Unternehmen auf der inzwischen zweitgrößten Suchmaschine Youtube suchen und dort nichts finden, dann ziehen sie womöglich weiter.

Einblicke ins Unternehmen und Videos statt Anschreiben

Dabei gibt es inzwischen viele Anbieter von Technologien die es ermöglichen ohne großen Aufwand jeden Mitarbeiter mit Smartphone zum Markenbotschafter zu machen und damit die Job Ad in ein Video umzuwandeln. Damit schlägt man sogar gleich mehrere Fliegen auf einmal: nicht nur werden dann in eigenen Worten die Jobs so beschrieben wie sie der Zielgruppe entsprechen, auch die neuen Kollegen und bestenfalls der eigentliche Arbeitsort werden gezeigt. Wenn dann noch Kandidaten ermutigt werden, ihr Anschreiben oder gar den CV durch ein eigenes Selfie-Video (wie es unter anderem das Startup "Jobufo" anbietet) zu ersetzen wird der Wunsch vieler Personaler wahr: Mensch trifft auf Mensch.

Da brauchen wir nicht mal zweifelhafte Facial Recognition die uns die Bewerbervideos auslesen (weswegen beispielsweise Unilever in die Kritik geraten war) sondern bauen erstmal schlankere Prozesse, denn bestenfalls schließt an die Bewerbung ja das Videointerview an. Ob asynchron oder live - beides hat seine Vorteile. Denn der größte Gewinn liegt hier darin, dass wir nicht nur uns als Unternehmen ehrlicher präsentieren können, sondern auch andere Einblicke in die Karrierewünsche unserer Kandidaten erhalten. Denn mal ehrlich, wer liest schon Anschreiben? Wir sind noch darauf geeicht, Kandidaten nach ihrer beruflichen Vergangenheit allein zu beurteilen und lassen den Karrierewünschen und den Persönlichkeiten keinen Raum.

Videos müssen nicht oscarreif sein, um zu gewinnen, jeder Teenager auf Instagram weiß das. Storytelling und reale Eindrücke von den Menschen verbindet uns mit diesen - oder eben nicht. Wenn wir dann noch solide, kompetenzbasierte Auswahlverfahren nutzen, wie sie beispielsweise in der DIN SPEC für Video-Recuiting-Verfahren erarbeitet werden, finden wir nicht nur die Menschen, die zu uns passen, sondern auch die, die bei uns bleiben wollen. Um Teil unserer Geschichten zu werden.


Click to tweet


Über die Kolumnistin: Anna Ott informiert Unternehmen, berät HR-Startups und kooperiert mit Kapitalgebern. Sie beobachtet daher genau, wie sich mit neuen Ideen und neuer Technik das Talentmanagement verbessern lässt. 

Schlagworte zum Thema:  Recruiting, HR-Software, Digitalisierung