Uwe Schirmer im Gespräch über Gehaltssysteme bei Bosch

Seit individuelle Boni für außertarifliche Mitarbeiter abgeschafft wurden, gilt Bosch in Vergütungsfragen als Vorbild. Der leitende Personaldirektor, Uwe Schirmer, erzählt von den neuen Entwicklungen, den Vorteilen und Problemen.

Personalmagazin: Herr Schirmer, wie fair sind die Gehälter bei Bosch?

Dr. Uwe Schirmer: Fairness ist keine feste Größe und hat viel mit der persönlichen Wahrnehmung zu tun. Gerade bei der Vergütung ist Fairness komplex. Wir stellen dafür zwei Betrachtungsweisen an: auf der einen Seite extern, im Vergleich zu anderen Unternehmen in unserer Branche, auf der anderen intern, im Vergleich der Mitarbeiter untereinander. Daran richten wir das gesamte Vergütungssystem aus.

Personalmagazin: Wie genau versuchen Sie interne Fairness zu gewährleisten?

Schirmer: 80 Prozent der Bosch-Mitarbeiter bewegen sich im Tarifbereich. Da ist vieles durch die Tarifverträge vorgegeben, die Spielräume sind gering. Für die 20 Prozent außertariflichen Mitarbeiter haben wir ein System entwickelt, das aus drei Kriterien besteht, anhand denen wir jedes Jahr die Mitarbeiter beurteilen: Das erste ist die langfristige Performance über mehrere Jahre, eine eher summarische Einschätzung des Mitarbeiters durch die Führungskraft. Außerdem betrachten wir die Wertigkeit der Stelle innerhalb unseres Einstufungssystems sowie die Arbeitsmarkt-Verfügbarkeit von Experten mit bestimmten vergleichbaren Kompetenzen. Auf dieser Grundlage legen wir die richtige Position im Entgeltband fest. 

Mittelwert von vergleichbaren Unternehmen als Referenz

Personalmagazin: Und wie stellen Sie den externen Vergütungsvergleich konkret an?

Schirmer: Wir haben eine Peergroup definiert, mit der wir uns jährlich neu vergleichen. Ein mit Bosch vergleichbares Unternehmen zu finden, ist nicht einfach, weil wir ein sehr breites Portfolio haben, angefangen von Mobilitätslösungen bis hin zum Internet der Dinge. Deswegen haben wir einige Unternehmen ausgewählt, die die einzelnen Branchen repräsentativ abdecken. Dieses System haben wir nicht nur in Deutschland etabliert, sondern weltweit. Die Vergütungsmärkte funktionieren ja regional. Und bei den anonymisierten Ergebnissen aus diesen Vergütungsdaten orientieren wir uns am Median. 

Personalmagazin: Warum orientieren Sie sich am Mittelfeld? Ihre Vergütung könnte doch über dem Median liegen? 

Schirmer: Vergütung ist ein Hygienefaktor und kein Motivator. Unser Anspruch ist nicht, immer in der Gruppe der Unternehmen zu sein, die die Topgehälter ausschütten, sondern wir wollen uns im Durchschnitt im Mittelfeld bewegen – dabei aber den besten Mitarbeitern über unser Bonussystem die Chance bieten, das Spitzenniveau des jeweiligen Marktes zu erreichen.

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Individuelle Ziele dienen nicht unbedingt dem Geschäftserfolg  

Personalmagazin: Sie haben 2015 nach Infineon als eines der ersten großen Unternehmen individuelle Boni abgeschafft. Ist diese Aussage, dass Geld aus Ihrer Sicht kein Motivator ist, der Grund oder spielten hier andere Überlegungen eine Rolle? 

Schirmer: Wir hatten über zehn Jahre im außertariflichen Bereich ein System, das aus einem fixen Grundentgelt und einem variablen Bonus bestand. Der variable Anteil ergab sich aus dem Ergebnis der gesamten Bosch-Gruppe, dem der Geschäftseinheit, in der ein Mitarbeiter tätig ist, und eben einer individuellen Zielerreichung. Ursprünglich war die Idee: Wir setzen etwa fünf Ziele, die wir am Jahresende gewichten. Tatsache war aber, dass einige Werksleitungen 70 solcher Ziele hatten. Die Rechenaufgabe war enorm. Es entwickelte sich ein sehr aufwendiges und kleinteiliges System. 

Der Blick der Mitarbeiter verengte sich auf ihre Partikular­interessen. Das Gesamtziel, den Unternehmenswert zu steigern, wurde nicht ausreichend gefördert. Wir alle sind mit einer taktischen Prämisse in die Zielerreichungsgespräche gegangen: Jeder versuchte, die Ziele nicht zu anspruchsvoll zu formulieren, um den Bonus nicht zu gefährden. Außerdem hat sich über die Jahre das Niveau der individuellen Boni ständig leicht erhöht. 

Personalmagazin: Führungskräften gelang es also nicht, auch mal negatives Feedback zu geben?

Schirmer: Genau. Mir selbst ging es auch so. Man möchte nicht enttäuschen. Der individuelle Bonus verhindert ein ehrliches Feedback. Wenn man dem Mitarbeiter sagen wollte, das war nicht so gut, stand immer der Verdacht im Raum, man wolle jemandem Geld wegnehmen. 

Aber das Entscheidende, die individuellen Boni abzuschaffen, war noch etwas ganz anderes: Wir konnten ja die Entwicklung von Gesamtunternehmen und Geschäftsbereich gut mit der individuellen Zielerreichung vergleichen. Auch wenn eine Business Unit schlecht performte, war der individuelle Faktor unverändert hoch. Das heißt, es gab keinerlei Korrelation zwischen dem echten Geschäftserfolg und der individuellen Zielerreichung. Wir hatten ein System, das einfach nicht mehr funktionierte. Das mussten wir ändern. Letztlich war es Volkmar Denner (Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung, Anm. d. Red.), der uns in intensiven Diskussionsrunden auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse bestärkte, die individuellen Boni abzuschaffen.

Erfolg der Business Unit und des Unternehmens ausschlaggebend

Personalmagazin: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse haben Sie berücksichtigt?

Schirmer: Das waren vor allem die Forschungen von Daniel H. Pink, der das Phänomen international untersucht hat. Er sagt, Motivation entsteht durch die Faktoren Autonomy, Mastery und Purpose. Geld ist nur eine notwendige Bedingung, um Unzufriedenheit zu vermeiden, aber nicht, um zusätzliche Leistung zu generieren. 

Trotz Streichung des individuellen Bonus bleibt das Gesamtvolumen der variablen Gehaltskomponente aber gleich. 50 Prozent basieren auf dem Erfolg der Business Unit und 50 Prozent auf dem des Gesamtunternehmens. Für jeden Mitarbeiter ergibt sich der Wert prozentual vom Grundgehalt je nach Einkommensgruppe. Das Maximum gibt es dann, wenn das Unternehmen respektive der Geschäftsbereich seine spezifische Zielrendite erreicht. Unser Finanz- und Controllingbereich legt dafür Kennzahlen fest, die sich an den in dem Segment tätigen Wettbewerbern orientieren. Wenn der Wert unter dem Ziel liegt, sinkt der Bonus. Theoretisch kann der Bonus auch ausbleiben – das gab es bisher aber noch nie. 

Reaktionen der Mitarbeiter

Personalmagazin: Mussten die Mitarbeiter mit dem neuen Gehaltssystem denn schon mal Gehaltsrückschritte hinnehmen?

Schirmer: Im aktuellen Gehaltssystem ist es schon vorgekommen, dass das Grundgehalt mehrere Jahre nicht gestiegen ist – beispielsweise in meinem eigenen Bereich. Das passiert, wenn die Mitarbeiter innerhalb des Gehaltsbandes im Vergleich zu ihrer Ziellage zu hoch liegen, weil sie im alten System zu hoch eingestuft wurden. Das ist zwar kein Gehaltsrückschritt, kann sich aber wie ein Verlust anfühlen. Was den Bonus betrifft, ist nun die Volatilität höher. Gerade liegen drei gute Jahre hinter uns. Aber wir kommen jetzt in eine Phase, in der die Wirtschaft schwächelt – da könnten auch unsere Renditen sinken. Das wäre dann für die Mitarbeiter schon spürbar.

Personalmagazin: Rufen dann manche Mitarbeiter angesichts der schwächelnden Konjunktur wieder nach dem alten System mit individuellen Boni?

Schirmer: Nein, ich kenne niemanden, der zum alten System zurück möchte. Wir haben direkt nach der Abschaffung des individuellen Bonus gemeinsam mit dem Konzernsprecherausschuss eine Befragung durchgeführt und die fiel sehr positiv aus. Seitdem verfolgen wir das Thema ständig weiter und konnten keinen Meinungsumschwung erkennen. Es ist zwar richtig, dass das alte System in schwierigeren Zeiten für die Mitarbeiter eine gewisse Stabilität brachte. Aber wenn es darum geht, die Mitarbeiter fair an dem zu beteiligen, was das Unternehmen erwirtschaftet, dann gilt das in beide Richtungen. Gibt es weniger Gewinn zu verteilen, sinkt das Gehalt eben. Wir sind fair dem Mitarbeiter gegenüber, aber dieser sollte auch fair dem Unternehmen gegenüber sein. Das ist auch kein Problem, wenn man das richtig erklärt.

Verfahrensgerechtigkeit und Transparenz

Personalmagazin: Die Forschung besagt, dass Verfahrensgerechtigkeit oder zumindest das Gefühl, dass das Verfahren gerecht ist, zu einer höheren Akzeptanz von Gehaltssystemen führt. 

Schirmer: Das kann ich absolut bestätigen. In unserer Umfrage nach der Umstellung haben wir gefragt, wie zufrieden die Mitarbeiter mit dem Vergütungsmodell und ihrer spezifischen Situation sind und wie gut ihnen das System vermittelt wurde. Da zeigte sich: Wenn die Führungskraft das gut erklärt hat, war die Zufriedenheit sehr hoch. Und da waren auch Mitarbeiter dabei, die Nullrunden hatten und trotzdem zufrieden waren. 

Personalmagazin: Was müsste sich aus Ihrer Sicht in einer idealen Welt beim Thema Gehalt noch ändern?

Schirmer: Transparenz ist ein wichtiger Schlüssel für Fairness. Das schafft Vertrauen in das Gehaltssystem. Mit einer höheren Transparenz würde das Thema Gender Pay Gap und Vergütung insgesamt ganz anders diskutiert werden. Mehr Transparenz würde das Zusammengehörigkeitsgefühl im Unternehmen und auch die Feedbackkultur weiter verbessern. Andererseits leben wir in einer Zeit, in der Datenschutz betont wird und das Gehalt ist ein sehr persönliches Thema. Das müssen wir abwägen und können diese Informationen keinesfalls gegen den Willen der Mitarbeiter veröffentlichen. Andererseits hätten wir mit mehr Gehaltstransparenz die Möglichkeit, den Mitarbeitern das gesamte Gehaltsgefüge besser zu erklären. 

Außerdem müssen wir stärker nichtmonetäre Faktoren einbeziehen und auch an der Art der Führung arbeiten. Ich kann jemandem das höchste Gehalt zahlen, aber wenn ich ihn schlecht führe, wird er sich unfair behandelt fühlen. Geld alleine ist dann ein relativ unbedeutender Faktor. Wer glaubt, mit Geld die ideale und gerechte Welt sowie motivierte Mitarbeiter zu erschaffen, der irrt. Wir müssen das ganzheitlicher denken.


Das ungekürzte Interview ist als Teil des Schwerpunkts "Vergütungsberatung" in Personalmagazin 07/2019 erschienen. Sie können die Ausgabe auch in unserer Personalmagazin-App lesen.

Schlagworte zum Thema:  Vergütung