Überblick im E-Learning-Markt

Das Jahr feiert Halbzeit, SARS-CoV-2 bewegt mit der Omikron-Variante die Sommerwelle und in der E-Learning-Branche bleibt es spannend. Dafür sorgen der Trend zum Upskilling und digitalen Coaching, Konsolidierung und neue Investments. Ein Ausblick zum nicht-den-Überblick-Verlieren von unserer Kolumnistin Gudrun Porath.

Fangen wir mit der Konsolidierung an. Da hat es im Bereich der Lernplattformen, genauer gesagt der Lernsysteme ordentlich gerumst. Erst verleibte sich Cornerstone On-Demand mithilfe seines Investors Clearlake Capital Group, L.P. den nach Experten-Meinungen führenden Learning-Experience-Plattform-Anbieter Ed Cast ein, jetzt wurde die Übernahme von Sum Total angekündigt.

Konsolidierung: Cornerstone übernimmt Sum Total

Sum Total gehörte bislang zu dem in den vergangenen Jahren ziemlich gebeutelten Unternehmen Skillsoft und gilt ebenfalls als Schwergewicht in der Branche. Damit, so die Pressemitteilung von Cornerstone, sei man in der Lage, ein differenziertes, erweitertes Portfolio an Lern-, Talent- und Personalentwicklungslösungen mit einer breiteren vertikalen Expertise, größeren finanziellen Ressourcen und einer gemeinsamen Vision für die Zukunft der Arbeit anzubieten – was immer das genau heißen mag.

Tatsache ist, dass Sum Total Kunden in wichtigen Märkten mitbringt, zum Beispiel große Unternehmen aus der Luftfahrt- und Ölindustrie und damit auch Umsatz. Das lässt sich anhand der veröffentlichten Zahlen (Skillsoft ist anders als Cornerstone an der Börse notiert und daher verpflichtet, Umsätze zu veröffentlichen) gut nachvollziehen. Im Geschäftsjahr 2022 verzeichnet Sum Total demnach Buchungen in Höhe von etwa 123 Millionen US-Dollar und einen Umsatz von 120 Millionen US-Dollar. Außerdem sieht Cornerstone-Eigentümer Clearlake weiteres Potenzial für beschleunigtes Wachstum durch operative Verbesserungen. Dafür hat Clearlake eine eigenes System, den OPS-Ansatz ("Operational Improvement Approach") entwickelt.

Immer noch viele Investitionen in Ed-Tech-Markt

Was Cornerstone für die Übernahme bezahlt, wurde inzwischen auch bekannt gegeben: Rund 200 Millionen Dollar in bar sollen es sein. Die Auswirkungen auf die Kunden, den Markt und die Technologie werden unterschiedlich beurteilt. Analyst Josh Bersin etwa sieht die Übernahme positiv für die Kunden, denen nun unter anderem mehr Content zur Verfügung stehen dürfte.  Gleichzeitig sieht er das Ende der innovativen Phase im Markt der Lernsysteme gekommen. Andere Analysten widersprechen, angesichts interessanter Startups und immer noch viel Geld, das in sie investiert wird.

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Ich denke es braucht noch Zeit, um zu sehen, was da wie zusammenwächst oder auch nicht. Für die Kunden wird sich erst einmal nichts ändern. Für den Markt bleibt es spannend. Die Ausrichtung von Microsoft inklusive der Tochter Linkedin Learning auf digitales Lernen und die Attraktivität für Finanzinvestoren könnten noch ganz andere Player locken, die den kleineren E-Learning-Anbietern zu schaffen machen könnten.

Upskilling in digitalen Kompetenzen im Fokus

Kommen wir zu Skillsoft und zum Upskilling. Wenn hier von "Upskilling" die Rede ist, dann geht es in erster Linie um digitale Kompetenzen in Form von Data Science, Coding und Web-Entwicklung, also um Hard Skills, ohne die Unternehmen den Schritt in die Digitalisierung einfach nicht zu Ende gehen können. Ende Dezember 2021 hatte Skillsoft angekündigt, den Anbieter solcher Weiterbildungen, Codecademy, zu übernehmen und diesen Prozess im Frühjahr abgeschlossen. Eigenen Angaben zufolge hat Codecademy mittlerweile mehr als 50 Millionen Nutzer weltweit.

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Womöglich ist das Unternehmen auch das Vorbild für die deutsche Stackfuel GmbH. Startup-Gründer um Leo Marose aus Berlin traten auf der Learntec nicht zum ersten Mal überhaupt, aber zum ersten Mal mit einem großen Stand an prominenter Stelle in den Hallen in Karlsruhe auf. Seit Dezember 2021 läuft das Projekt "Toolbox Datenkompetenz", in dem der Anbieter als Projektpartner "Deutschland durch alle Gesellschaftsbereiche datenkompetent" aufstellen möchte. Dahinter verbirgt sich die Entwicklung einer Online-Weiterbildungsplattform, auf der jeder, wie er oder sie möchte, Lernen und interaktive Aufgaben in Sachen Datenkompetenz lösen kann. Verkaufen will Leo Marose seinen Laden eigenen Angaben zufolge erstmal nicht – nur, falls hier jetzt jemand auf die Idee kommt.

Digitales Coaching weiter im Aufwind

Digitale Kompetenzen können auch Coaches gut gebrauchen. Gerade hat die Coaching-Plattform Coachhub in einem Serie-C-Funding 200 Millionen Dollar eingenommen und ist jetzt mit über 300 Millionen Dollar finanziert. Coachhub hat von dem Trend profitiert, Coaching für breitere Schichten zugänglich zu machen – statt wie früher nur für Führungskräfte – und mit Hilfe digitaler Tools, die das ganze begleiten, die Wirksamkeit zu erhöhen. Das hat womöglich sogar den Weg geebnet für kleinere Gründungen wie Evoach oder Sklls, die mit Coachbots arbeiten und zeigen, was noch alles möglich ist, wenn sich Psychologen und Programmierer zusammentun. Nicht zuletzt sind Krisen und Unsicherheit, Stichwort VUCA, sowie der Trend zum hybriden Arbeiten und zum Homeoffice dabei, digitales Coaching weiter zu befeuern.

Facebook mischt den B2C-Lernmarkt auf

Werfen wir vom Corporate Digital Learning zu guter Letzt noch einen Blick auf das private digitale Lernen. Linkedin Learning, Degreed oder auch Marktplätze wie Udemy sind hier die Platzhirsche. Möglicherweise kriegen sie auf absehbare Zeit Konkurrenz. Meta, der Facebook-Mutterkonzern, hat ein bisschen herumexperimentiert. Zunächst nur in Großbritannien gab es bereits im vergangenen Jahr Angebote an Trainer, mit "Facebook Classes" ihr Wissen an ihre (zahlenden) Kundinnen und Kunden weiterzugeben. Jetzt wurde das zunächst auf 5.000 Trainer und Trainerinnen beschränkte Experiment auf die USA und Kanada ausgeweitet. Ob daraus ein Ökosystem für das persönliche Lernen wird und wie weit die Pläne reichen, ist Stand Juni 2022 nicht bekannt.

Den Überblick im Kompetenzmanagement nicht verlieren

Meine persönliche Halbzeitbilanz 2022 in Sachen Digitales Lernen: Es gibt eine Marktkonsolidierung, die den Markt jedoch nicht übersichtlicher macht oder die Auswahl einschränkt. Vielmehr ist die Auswahl an digitalen Lernformaten und Lernsystemen größer als je zuvor, was wir auch den vielen Start-ups zu verdanken haben, die digitales Lernen und Coaching weiterentwickeln. Wer die passende Technologie sucht, sollte auch links und rechts der großen Lösungen schauen. Vor allem aber sollte die Organisation ihren absehbaren Bedarf und ihre Zielgruppen im Blick haben und sich genau überlegen: Wie wollen wir in Zukunft lernen und unseren Bedarf an Kompetenzen decken? Wer das nicht tut, verliert im Meer der Möglichkeiten garantiert den Überblick. Und das könnte teuer werden.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" die Trends auf dem E-Learning-Markt.