Arbeitszeiterfassung im Mittelstand: Bei 90 Prozent schon Realität
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom September 2022 zur Zeiterfassung sind die deutschen Arbeitgeber in der Pflicht. Aufzeichnungsfreie Vertrauensarbeitszeit ist passé, alle Mitarbeiter müssen in die Zeiterfassung. Ein erster Gesetzentwurf aus dem BMAS zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes wird noch im Frühjahr erwartet.
Unterschiedlich ist das Bild der Realität, das in den Diskussionen rund um die Erfassungspflicht bisweilen gemalt wird. Während die einen gelangweilt mit den Schultern zucken und die ganze Aufregung nicht verstehen, weil Zeiterfassung ohnehin längst gelebte Wirklichkeit in ihrem Unternehmen ist, beschwören die anderen den Untergang des Abendlandes und sehen ein bürokratisches Monstrum auf sich zukommen.
Fast 90 Prozent der Beschäftigten erfassen ihre Arbeitszeit bereits
Spannend daher, zu ergründen, wie sehr das Thema Zeiterfassung die Beschäftigten in Deutschlands Unternehmen tatsächlich umtreibt. Dokumentieren die Arbeitnehmenden in Deutschland ihre Arbeitszeit bereits? Und wenn ja, wie? Noch mit Stift und Papier oder schon digital via Software und App? Die im Januar 2023 durchgeführte repräsentative Studie von tisoware liefert die Antworten: Knapp 90 Prozent der Beschäftigten dokumentieren bereits ihre Arbeitszeit, allerdings noch überwiegend klassisch. Jeder Vierte greift dabei sogar noch zu Stift und Papier, nur jeder Zehnte nutzt bereits eine Smartphone-App.
Dass bereits 89 Prozent der 1.000 im Mittelstand beschäftigten Befragten in Deutschland ihre Arbeitszeit dokumentieren zeigt, dass die Erfassungspflicht nicht als umwälzende Revolution die Unternehmenswelt auf den Kopf stellen wird. Es gibt nur wenige Unternehmen, in denen bislang noch gar keine Zeiterfassung stattfindet.
Zeiterfassung mit der guten, alten Exceltabelle
Ausbaufähig ist allerdings – das Bundesarbeitsgericht verlangt eine "systematische" Zeiterfassung – die Art und Weise der Erfassung. Hier ergab die Studie, dass viele Unternehmen noch eher altmodisch unterwegs sind. Am häufigsten wird die Arbeitszeit auf Papier (25 Prozent) erfasst und am zweithäufigsten über eine Stechuhr (24 Prozent). Auch Excel-Tabellen sind bei 12 Prozent noch gebräuchlich. Modernere Tools wie die Erfassung via App (11 Prozent), Internet-Browser (16 Prozent) oder über ein zentrales digitales Erfassungssystem (18 Prozent) kommen Stand heute weniger häufig zum Einsatz.
Hier besteht angesichts der zunehmend von Hybrid- und Remote-Arbeit geprägten Arbeitswelt und einer immer mobiler werdenden Belegschaft noch Nachholbedarf. Das sehen auch die Beschäftigten so. 38 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr jetziges System zur Arbeitszeiterfassung dringend verbessert werden muss.
Raucher- und Kaffeepause: Wie wird dokumentiert?
Die Umfrage zeigt auch, dass die Arbeitnehmenden in Deutschland bis dato ihre Arbeitszeit teilweise sehr granular dokumentieren:
- Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmenden (56 Prozent) erfasst ihren Dienstanfang und -ende,
- ein Drittel (30 Prozent) hält die Mittagspause fest
- jeder Fünfte (21 Prozent) überträgt zudem die ausgeübte Tätigkeit
- Projekt- oder Bereichsangabe sowie der Ort der Arbeit – ob im Unternehmen oder im Home-Office – halten jeweils 18 Prozent der Befragten fest.
- Kleinere Pausen zwischendurch, wie beispielsweise Raucher-, Toiletten- oder Kaffeepausen, werden von 12 Prozent der Befragten erfasst.
Das Thema "Was wird wie erfasst?" ist nicht ohne Zündstoff. Hier entscheidet sich, ob eine schlanke, wenig bürokratische betriebliche Regelung möglich ist oder ob man durch zu großen Regelungseifer den Erfassungsaufwand nach oben treibt. Vielfach wird das eine Frage der bereits jetzt gelebten Unternehmenskultur sein. Das zeigt sich an den sehr unterschiedlichen Antworten der Beschäftigten. 19 Prozent der befragten Arbeitnehmenden waren der Meinung, dass die Arbeitszeiterfassung selbst Teil der Arbeit ist und die dafür benötigte Zeit daher miterfasst werden sollte.
Auch die Anfahrt zur Arbeitsstelle sehen 13 Prozent der Beschäftigten als Arbeitszeit an und wollen sie erfasst wissen. Fast die Hälfte (45 Prozent) fände es gerecht, die Raucherpausen als Pausenzeit zu erfassen. Wohingegen jeder Fünfte (21 Prozent) sagt, dass er kündigen würde, wenn Raucherpausen dokumentiert werden müssten. 20 Prozent der Befragten gaben an, genau diese Grauzonen wie beispielsweise die Raucherpausen würden zu Schummeleien bei der Arbeitszeiterfassung führen.
Höhere Akzeptanz bei informierten Beschäftigten
Die Regelungen, was alles wie dokumentiert werden muss, können und werden sich von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden. Um es nicht unnötig kompliziert zu machen, sollte ein Unternehmen gut überlegen, welche Fälle es als dokumentationspflichtig ansieht. Egal jedoch, ob ein Unternehmen zu mehr oder weniger detailliert gestalteten Regelungen neigt, sollte für die Mitarbeiter klar sein, was erfassungspflichtig ist und was nicht. Nachvollziehbarkeit erhöht die Akzeptanz. Das belegt auch der Umstand, dass das Wissen um die rechtliche Situation das Involvement bei den Beschäftigten deutlich erhöht: Über die Hälfte (55 Prozent) der Befragten weiß um das neuerliche BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung und Arbeitnehmende, die sich über die gesetzliche Verpflichtung seitens der Arbeitgebenden im Klaren sind, weisen innerhalb der Umfrage ein signifikant höheres Involvement bei allen Fragen rund um das Thema Arbeitszeiterfassung im eigenen Betrieb auf.
Arbeitnehmende sehen die Zeiterfassungspflicht positiv
Aus Sicht der Belegschaften schafft eine vollständige Arbeitszeiterfassung eine Win-win-Situation für Arbeitgebende und Arbeitnehmende. Laut der Umfrage ist mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, eine Erfassungspflicht sei sowohl für die Arbeitgebenden (56 Prozent) als auch für Arbeitnehmenden (54 Prozent) von Vorteil.
Insgesamt steht die überwiegende Zahl der Arbeitnehmenden in Deutschland der Zeiterfassungspflicht positiv gegenüber. So finden es 69 Prozent gut, dass über die Arbeitszeiterfassung die eigenen Überstunden sichtbar werden. Im Vergleich dazu befürchten nur 34 Prozent, dadurch zum gläsernen Arbeitnehmenden zu werden. Wenn allerdings 38 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass ihr jetziges System der Arbeitszeiterfassung dringend verbessert werden muss, steht den Unternehmen womöglich noch die ein oder andere Herausforderung in Sachen Zeiterfassung bevor.
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