Sind Sportler sozial kompetenter?

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf und gibt Tipps für die Praxis. Heute: Was Sportarten über soziale Kompetenzen aussagen - oder nicht.

Die Sichtung der Bewerbungsunterlagen gehört zu den wenigen Methoden der Personalauswahl, die bei nahezu jeder Stellenbesetzung zum Einsatz kommen. Umso überraschender ist es, dass sich die Forschung bislang vergleichsweise wenig mit Fragen der richtigen Interpretation beschäftigt hat. Sollte man beispielsweise Tippfehler im Anschreiben als Ausdruck mangelnder Gewissenhaftigkeit deuten oder spiegeln sich hierin lediglich die Spätfolgen diverser Rechtschreibreformen? Ermöglicht uns die grafische Gestaltung der Unterlagen einen Blick auf die Arbeitsweise des Bewerbers oder drückt sich hierin vielmehr der neueste Trend der Ratgeberliteratur aus? Ist es sinnvoll, die Qualität der Bewerbungsmappe oder die Professionalität des Fotos als Ausdruck der Anstellungsmotivation zu interpretieren oder hängt beides ganz einfach vom Geldbeutel des Bewerbers ab?

Plausible Deutungen werden schnell zu Gewissheiten

Fragen über Fragen, die bislang noch auf eine systematische Forschung warten. In der Praxis glaubt man vielfach, die Antworten schon gefunden zu haben. An die Stelle abgesicherter Erkenntnis treten mehr oder minder plausible Deutungen, die über Jahrzehnte tradiert letztlich zu einer ebenso stabilen, wie weit verbreiteten "Gewissheit" heranreifen.

Zu diesen Überzeugungen gehört sicherlich auch die Annahme, dass die sportlichen Aktivitäten der Bewerber – insbesondere Mannschaftssportarten – Aussage über ihre sozialen Kompetenzen ermöglichen. Plausibel ist diese Annahme durchaus. Es könnte sein, dass sich sozial kompetente Menschen eher für eine Mannschaftssportart entscheiden als weniger kompetente. Ebenso mag es sein, dass (sportliche) Aktivitäten mit anderen die Ausbildung sozialer Kompetenzen fördert.

Studie vergleicht soziale Kompetenzen von Sportlern und Nicht-Sportlern

Studien, die sich bislang mit Persönlichkeitsmerkmalen von Sportlern beschäftigt haben, kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Manche finden höhere Extraversionswerte bei Sportlern im Vergleich zu Nicht-Sportlern, in anderen verhält es sich genau entgegengesetzt. Eine neue Studie vergleicht Mannschaftssportler, Individualsportler und Nicht-Sportler im Hinblick auf 21 soziale Kompetenzen. Dabei ergaben sich im Wesentlichen die folgenden Befunde:

  • In keiner der Kompetenzen unterscheiden sich Sportler und Nicht-Sportler voneinander.
  • Zwischen den Sportlergruppen ergeben sich vereinzelt signifikante Unterschiede, die jedoch so gering sind, dass sie keine praktische Relevanz besitzen. Die Ergebnisse sprechen dabei eher für die Individual-, als für die Mannschaftssportler (höheres Vertrauen in die eigene Verantwortung, stärkere Auseinandersetzung mit anderen Menschen).

  • Die Intensität sportlicher Aktivitäten geht sowohl mit positiven als auch mit negativen Effekten einher: Wer häufiger trainiert, zeigt eine geringfügig stärkere Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Je häufiger man an Wettkämpfen teilnimmt, desto geringer ist die Selbstkontrolle von Mannschaftssportlern. Auch diese Effekte sind aber sehr gering.

Sportliche Aktivitäten bei der Bewerbung besser nicht interpretieren

Alles in allem zeigt die Forschung, dass es nicht sinnvoll ist, Angaben über sportliche Aktivitäten im Hinblick auf die sozialen Kompetenzen der Bewerber in die eine oder andere Richtung zu deuten. Möglicherweise liegt es daran, dass Sport heute massenhaft betrieben wird. Sportler sind keine spezifische Subgruppe der Bevölkerung, sondern in ihrer Persönlichkeit so vielfältig wie die Menschen an sich. Wer bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen nach den sportlichen Aktivitäten der Bewerber  aussortiert, handelt voreilig und kann seinen Fehler weder erkennen noch korrigieren, da er die abgewiesenen Kandidaten nicht weiter untersucht.

Es mag unbefriedigend sein, aber manchmal ist es einfach besser, wenn man sich selbst nichts vormacht und akzeptiert, dass man nichts weiß. Wie so oft zeigten die Studien auch diesmal, dass Überzeugungen und Realität zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund abnehmender Bewerberzahlen ist man gut beraten, sich so manche voreilige Deutung zu verkneifen und lieber eine größere Gruppe von Bewerbern mit abgesicherten Methoden gründlich zu untersuchen.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.

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Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalarbeit