Psychologie: Leistungsbeurteilung falsch gemacht!

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf. Heute: Warum Leistungsbeurteilungen meistens nicht sehr professionell ablaufen.

Die Leistungsbeurteilung gehört heute in fast jedem größeren Unternehmen zu den grundlegenden Instrumenten des HR-Managements. Es begibt sich jeweils zum Ende eines Jahres, dass tausende und abertausende Führungskräfte im Alltagsgeschäft für einen Moment innehalten und über die Leistung der vergangenen Monate sinnieren. Dabei geht es natürlich um die Leistung der unterstellten Mitarbeiter. Wohl dem, der über sich nur noch den blauen Himmel hat.

Leistungsbeurteilungen sorgen für das nötige Feedback

Prinzipiell ist die regelmäßige Leistungsbeurteilung eine gute Sache. Sie gibt Anlass, frühzeitig gegenzusteuern, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen droht. Identifizierte Schwächen der Mitarbeiter könnten die Grundlage für eine individuell zugeschnittene Personalentwicklung legen. Wahrgenommene Stärken sollten hingegen einen Hinweis darauf geben, mit welchen anspruchsvolleren Aufgaben bestimmte Mitarbeiter in Zukunft betraut werden können. Zudem gilt es, das Erreichen zuvor gesteckter Ziele zu hinterfragen und darauf aufbauend neue Ziele zu definieren. Gute Leistungsbeurteilung bedeutet für die Mitarbeiter „Feedback“, und Feedback ist letztlich die Grundlage für jedweden Lernprozess. Dabei mag sich so manche Führungskraft, die im Alltag nach dem Prinzip „Nicht gemeckert ist schon halb gelobt!“ agiert, auch dazu ermuntert sehen, ihre eigene Rolle zu überdenken.

Verfahren der Leistungsbeurteilung sind meist nicht aussagefähig

Alles könnte so schön sein, doch leider gilt auch für die Leistungsbeurteilung, dass „gut gemeint“ und „gut gemacht“ zwei Paar Schuhe sind. Wirklich aussagefähige Leistungsbeurteilungssysteme trifft man etwa so häufig an wie gute Auswahlverfahren – also äußerst selten. Und das liegt an verschiedenen Punkten:

  • Soll Leistung gemessen werden, so muss man erst einmal identifizieren, wodurch gute Leistung an einem Arbeitsplatz überhaupt gekennzeichnet ist. Statt die Arbeitsplätze empirisch zu analysieren, greift man in der Praxis oftmals auf gewohnte Worthülsen zurück: Teamfähigkeit, Serviceorientierung, Motivation, Führungsstärke et cetera. All dies ist so schön abstrakt, dass es gar nicht falsch sein kann. Fügen sich die Begriffe zudem noch geschmeidig in ein Kompetenzsystem ein, das ein Berater am Schreibtisch zusammengebastelt hat, erscheint alles erst recht wunderbar stimmig.
  • Mitunter handelt es sich um Leistungskriterien, deren Beobachtung der Führungskraft größte Schwierigkeiten bereitet. Wie sollte der Vorgesetzte beispielsweise die Kundenorientierung einschätzen, wenn er niemals bei den Kundengesprächen anwesend war und bestenfalls hin und wieder ein selektives Feedback einzelner Kunden erfährt? Hier sind offenkundig seherische Fähigkeiten gefordert.
  • Die eigentliche Beurteilung läuft über Einschätzungsskalen, die nicht selten zehn oder mehr Stufen umfassen. Dabei wird gern übersehen, dass viele Leistungsdimensionen aus der Sicht der Führungskräfte gar nicht derart feinstufig wahrgenommen werden können. Wie gut, dass die erfahrene Führungskraft bestehende Erkenntnislücken durch Vorurteile und Sympathie zu schließen vermag.
  • Selbstverständlich macht man sich auch nicht die Mühe, die einzelnen Stufen der Skala inhaltlich festzulegen. Bestenfalls verwendet man Begriffe wie „unter den Anforderungen“ oder „über den Erwartungen“. Worin die Anforderungen bestehen, legt dann jede Führungskraft nach Gutdünken fest. Dies hat den Vorteil, dass Mitarbeiter sich niemals erfolgreich gegen eine Fehlbeurteilung wehren können. Ob eine Fehlbeurteilung vorliegt, entscheidet allein der Chef.
  • Beliebt ist auch der direkte Vergleich zwischen den Mitarbeitern einer Arbeitsgruppe.  Dabei müssen die Mitarbeiter auf einer Skala von „unterdurchschnittlich“ bis „überdurchschnittlich“ eingestuft werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass auch der sprichwörtlich Einäugige noch zu einer hervorragenden Bewertung kommt, sofern er in einem Team von Blinden arbeitet. Über verschiedene Teams hinweg wird damit ein und dieselbe Leistung unterschiedlich bewertet.
  • Vielen Führungskräften fällt es schwer, negative Beurteilungen vorzunehmen. In der Konsequenz nutzen sie nur die positiven Punkte der Bewertungsskalen und meiden somit unangenehme Kritikgespräche. Um diesen Missstand zu umgehen, nötigt man sie bisweilen, die Punktwerte nach der Gauß’schen Glockenkurve (Normalverteilung) zu vergeben. Leider übersieht man dabei, dass mit einer Normalverteilung der Leistung in kleinen Teams (unter 30 Personen) gar nicht zu rechnen ist.
  • Der Ausweg, sich bei der Leistungsbeurteilung nur noch auf objektivierte Fakten wie etwa Produktivität oder Absatz zu beziehen, ist nur dann sinnvoll, wenn die Mitarbeiter diese Kennzahlen auch maßgeblich durch ihre Leistung beeinflussen können und sie nicht primär Ausdruck der Umstände (Arbeitsmaterialien, Konjunktur et cetera) sind.

Mehr Fachkompetenz ist für die Beurteilung vonnöten

Leistungsbeurteilungssysteme, die mehr sein sollen als ein jährlich wiederkehrendes Ritual, bedürfen einer sorgfältigen Entwicklung, einer gründlichen Schulung der Führungskräfte sowie einer Evaluation. All dies setzt neben methodischer Fachkompetenz auch die Bereitschaft zur Veränderung voraus. Genau hieran scheitern wohl die meisten Beurteilungssysteme. Ebenso gut ließe sich fordern, man solle in Zukunft nur noch professionelle Personalauswahlverfahren durchführen. Absurd …

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.