Professionalität zählt, nicht Purpose

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Arbeitet, wer allein fürs Geld arbeitet, schlechter?

Wir alle suchen Sinn und Erfüllung in der Arbeit, heißt es. Aber stimmt das eigentlich? Aus eigener Erfahrung als Führungskraft wie im privaten Umfeld würde ich darauf antworten: manche mehr, manche weniger, manche gar nicht. Denn manche arbeiten einfach deshalb, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und befriedigen ihr Sinnbedürfnis in der Freizeit.

Aber ist das schlecht? Die Purpose-Welle und die New Work-Begeisterung, die durch die Arbeitswelt schwappen, suggerieren uns jedenfalls genau das. Machen, "was man wirklich, wirklich will", wie der New Work-Philosoph Frithjof Bergmann forderte, ist das zeitgeistige Ideal, das "der neuen Arbeitswelt" zugrunde liegt. Doch an diesem Mantra entzündet sich seit längerem schon Kritik.

Sinn bei der Arbeit als Fetisch von "New Work"

So bemängelt der Soziologe Andreas Reckwitz, Autor des Buches "Die Gesellschaft der Singularitäten": Die Jagd nach "erfüllenden Momenten" sei zumindest unter Wissensarbeitern und einer kreativen Boheme zum Volkssport geworden. Der Zeitgeist fordere, alles müsse von höherer, einzigartiger Bedeutung sein. Diese permanente Sinnsuche und das Streben nach Besonderheit aber kosten Kraft. Beides verleitet uns auch dazu, die Einzigartigkeit unserer Arbeit, unseres Wohnstils, unserer Urlaubsorte beständig zu inszenieren. Und all das birgt das Potenzial großer Enttäuschung. 

Was, wenn sich unsere Realität dann doch als eintöniger und weniger sinnerfüllend erweist, als wir uns das wünschen? Und was wird aus jenen Berufen und Tätigkeiten, in denen diese Sinnerfüllung weder so einfach zu finden ist, noch von den Betroffenen überhaupt gesucht wird? Das Bundesministerium für Arbeit hat sich diesen Tätigkeiten in einem eigenen Programm angenommen. In ihm geht es um das Wohlergehen von Menschen, die (im Kontrast zu New Work) Basic Work verrichten, und dabei drohen, sozial abgehängt und noch dazu kulturell abgewertet zu werden.

Purpose als Gehaltsturbo für Karrieristen

Doch auch aus den Verhaltenswissenschaften kommt Kritik. Die Organisationspsychologinnen Yuna Cho und Winnie Yun Jiang haben sich in einer groß angelegten Studie mit der Frage befasst, ob Menschen besser arbeiten und mehr leisten, wenn sie dies sinnerfüllt und mit Leidenschaft tun. Ihre Erkenntnis: Richtig ist, dass Menschen selbst ihre Arbeit als sinnvoller und beglückender erleben, wenn sie in ihr mehr "als nur einen Job" erkennen. Falsch ist, dass sie nach objektiven Kriterien mehr leisten als Menschen, die allein fürs Geld arbeiten. 

Mehr als bedenklich allerdings ist: Wer am Arbeitsplatz den Eindruck erweckt, sie oder er arbeite für höhere Ziele, wird in Gehalts- und Beförderungsfragen eindeutig bevorzugt. Denn wer nicht nur einfach verlässlich und kompetent alles abarbeitet, was ansteht, sondern sich dabei besonders engagiert und von einem übergeordneten "Purpose" motiviert zeigt, wird von seiner Umwelt als leistungsstärker und dem Unternehmen stärker verbunden eingeschätzt. 

Der "Halo-Effekt" äußerster Hingabe bei der Arbeit

Wie kann das sein? Die beiden Forscherinnen der INSEAD Business School sowie der Universität Hong Kong erkennen darin einen "Halo-Effekt". Alleine, wenn Mitarbeitende viel vom Sinn und der Erfüllung in ihrer Arbeit reden, überstrahlt das Gesagte, was sie objektiv und faktisch tun. 

In ihrem Experiment ließen Cho und Jiang zwei Gruppen von Probanden einen Schauspieler beurteilen, der in einem inszenierten Gespräch mit einem Kollegen über seine Arbeit berichtete: In der Sequenz für die erste Gruppe betonte er mehrfach, ihm gehe es bei der Arbeit nicht ums Geld und er könne sich eine baldige Verabschiedung in den Ruhestand gar nicht vorstellen. Für die zweite Gruppe sprach der Schauspieler exakt denselben Text und gab dieselben Leistungshinweise, ließ aber die Passage zum Sinn und seiner Erfüllung in der Arbeit weg. Dies hatte für ihn gravierende Nachteile: Denn die Beobachtenden zeigten sich weniger bereit, ihm einen Bonus zu bewilligen und ihn zu befördern als die Beobachtenden der ersten Gruppe.
 

Warum Sie sich nicht blenden lassen sollten!

Die verbalen Signale von Hingabe und Einsatzbereitschaft allein führten also dazu, dass dieselbe Leistung in anderem, besserem Licht erschien. Das ist nach objektiven Kriterien nicht nur ungerecht, sondern belohnt auch potenzielle Selbstinszenierung im Sinne des Soziologen Reckwitz mit Gehaltsaufbesserung und Beförderung.

Was also folgt daraus fürs Führen und Folgen? Für mich sind das vier Punkte.

  1. Lassen Sie sich nicht blenden vom Purpose, den andere ihrer Arbeit zusprechen, und von der Leidenschaft und der Hingabe an höhere Ziele, mit der sie sie verrichten. Was zählt, ist allein die Leistung, die Menschen in ihrer Arbeit bringen.
  2. Werten Sie einfache Arbeit und Menschen, die einfach nur arbeiten, nicht und niemals ab! Für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten, ist aller Ehren wert und kein Ausweis, man würde im Job weniger leisten.
  3. Bemessen Sie als Führungskraft Beförderungen und Boni an harten Leistungskriterien – und nicht an der echten oder schlimmstenfalls gespielten Hingabe an höhere Ziele und einen übergeordneten Sinn!
  4. Fördern Sie Professionalität statt Purpose! Denn es geht im Arbeitsleben nicht darum, warum jemand einen Job gut macht. Es geht allein darum, dass sie oder er einen guten Job macht.

Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der  Kommunikations - und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen und Organisationen, die etwas bewegen und in Führung gehen wollen.

Schlagworte zum Thema:  Leadership, Mitarbeiterführung