Kritik an E-Learning-Plattform Milla

Kostenloses Lernen für alle mit einer zentralen E-Learning-Plattform namens "Milla", die der Staat entwickelt und betreibt. Dieses Konzept sorgte für Schlagzeilen. Ob das Onlineportal die Bürger tatsächlich fit für den digitalen Wandel macht und sie zum Lernen bringt, darf bezweifelt werden. Warum, erklärt Kolumnistin Gudrun Porath.

Sogar in der Bild-Zeitung wurde über "Milla" berichtet. Die melodische Abkürzung "Milla" steht für "Modulares Interaktives Lernen für Alle" und wurde von einem Arbeitskreis der Unions-Bundestagsfraktion entwickelt. Die E-Learning-Plattform für alle soll als Bestandteil der Nationalen Weiterbildungsstrategie eine Weiterbildungswende in Deutschland einleiten. Der Staat soll die Plattform entwickeln und betreiben sowie deren Angebote kontrollieren. In einer Präsentation, die unter stab-zukunftderarbeit.de eingesehen werden kann, wird Milla detailliert begründet und erklärt.

Initiatoren von Milla kritisieren Weiterbildungslandschaft

In der Präsentation wird zunächst darauf hingewiesen, dass es sowohl eine quantitative wie qualitative Weiterbildungslücke gebe. Basierend auf Daten der IAB-Erhebung zur Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland von 2017 nehmen 97 Prozent der Bevölkerung nicht an formaler, organisierter Weiterbildung teil. Als qualitative Weiterbildungslücke wird erkannt, dass die Arbeitskräfte die entscheidenden Kompetenzen, nämlich Digitalkompetenzen, Sozialkompetenzen und Selbst-/Gesundheitsmanagement nicht lernen würden. 

Außerdem, stellen die Autoren fest, ließen sich digitale Fähigkeiten online zu 90 Prozent nur auf Englisch lernen. Ebenfalls negativ bewertet wird die geringe Übersichtlichkeit des Angebots, die dezentrale Verwaltung, mangelnde Individualisierung, fehlende Erfolgsmessung, die regional schwache Vernetzung sowie rechtliche Hürden - und dass die Effektivität der Weiterbildungen nicht vom Staat gemessen werde.

Milla-Weiterbildung soll für alle kostenfrei sein - der Staat regelt das

Das vorgestellte Konzept für das neue Online-Portal sieht als Gegenmaßnahme  flexible und unterhaltsame, kostenfreie Online- und Offline Angebote vor, ermöglicht gleichzeitig die Erfassung der Kompetenzen der Lernenden und macht ihnen individuelle Lernvorschläge. Gleichzeitig sollen Lerner und Arbeitgeber zusammengebracht werden. Wie die Anbieter der für die Lerner kostenlosen Weiterbildungen bezahlt werden, regelt laut Konzept ebenfalls der Staat. Entscheidend seien die Qualität, die tatsächliche Nutzung, Relevanz und Bewertung.  

Milla: die künftige eierlegende Wollmilchsau der Weiterbildung in Deutschland

Für die Entwicklung und Unterhaltung von Milla hat man eine Summe rund ein bis drei Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt. Als Zielgruppen werden neben "allen Bürgern"  auch Schulen und Hochschulen, Einwanderungsämter und Unternehmen genannt. Angesichts des Umfangs und der Pläne könnte man Milla kurz gesagt als die zukünftige eierlegende Wollmilchsau der Weiterbildung in Deutschland bezeichnen.

Blick auf das aktuelle, offen zugängliche Weiterbildungsangebot: eigentlich alles da

Das Konzept zu Milla wirft viele Fragen auf und weckt Zweifel. Werfen wir doch nur mal einen Blick auf die aktuellen Weiterbildungsmöglichkeiten für Jedermann und jede Frau, insbesondere die per Internet offen zugänglichen: Fast jeder besitzt ein Smartphone und nutzt damit das mobile Internet. Wenn ein Problem auftaucht, suchen wir per Google und Youtube nach einer Lösung und bilden per Whatsapp eine Lerngruppe.

Eine Stufe weiter bieten Plattformen wie Degreed (Slogan „Die lebenslange Lernplattform“), aber auch Business-Netzwerke wie Linkedin an, die eigenen Kompetenzen, auch die digitalen, intelligent voranzubringen und sichtbar zu machen. Selbst Facebook hat unlängst erneut eine Weiterbildungsinitiative gestartet und das eigene Angebot ausgeweitet. Und wer einmal einen Online-Kurs über Udemy gebucht hat, weiß danach, weitere zum persönlichen Profil passende Weiterbildungsvorschläge gibt es automatisch. Als staatliche, nämlich von der Arbeitsagentur gesteuerte Weiterbildungsplattform, wäre Kursfinder zu erwähnen.  Die Qualitätskontrolle von Online- wie Offline-Lernangeboten übernimmt meistens der Markt. Was nicht gefällt oder den Anforderungen der Nutzer nicht genügt, verschwindet über kurz oder lang.

Eigentlich also alles da, was man braucht, um fit für die Zukunft zu werden. Das meiste sogar auf Deutsch, durchaus erschwinglich und in einer vernünftigen Qualität. Wenn der Mangel so evident ist, was hält Menschen wirklich davon ab, sich den Wünschen und Anforderungen der Wirtschaft oder des Staates entsprechend fortzubilden und die passenden Kompetenzen zu erwerben? In vielen Unternehmen funktioniert das doch bereits, weitere sind auf einem guten Weg.

Passende Lernkultur in Deutschland fehlt

Womöglich fehlt uns - gesamtgesellschaftlich gesehen - eine entsprechende Lernkultur, die Lust auf Lernen macht und zu persönlicher Weiterentwicklung motiviert, diese auch anerkennt. Vielen Menschen erscheint es nicht erstrebenswert, sich weiterzubilden und in persönliche Kompetenzen zu investieren, wenn sie nicht gerade Schüler, Studenten oder Auszubildender sind. 

Wer Zeit in persönliche Bildung investiert, muss sich unter Umständen sogar dafür rechtfertigen. Ganz egal, ob es sich dabei um digitale oder andere Kompetenzen handelt. Andere haben es nicht gelernt, selbstgesteuert zu lernen. Daran wird auch eine staatlich kontrollierte, zentrale Weiterbildungsplattform mit noch so vielen, wie es im Konzept heißt, „Skilltainment“-Angeboten nichts ändern. Eine Plattform macht noch keinen Lerner.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" die Trends auf dem E-Learning-Markt.