Kommt autoritäre Führung zurück?

Was viele noch vor wenigen Jahren als autoritär ablehnten, erscheint heute auf einmal wieder attraktiv: Führung mit harter Hand. Was es mit diesem Stimmungs­umschwung auf sich hat und wie HR damit umgehen kann. 

Disziplin, Befehl, Gehorsam – sie feiern ein Comeback. In den USA spricht man vom "Vibe Shift": einem Stimmungsumschwung. In der Trendforschung beschreibt der Begriff den Moment, in dem sich das Klima ändert. Erste Symptome einer neuen Modewelle treten auf. Das geschieht gerade auch in der Arbeitswelt. Erste Anzeichen: New Work, Selbstverantwortung, partizipative Führung – einst gefeiert – gelten zunehmend als überholt. Gefragt sind Orientierung, Klarheit, Härte.

Was autoritäre Führung befeuert

Warum ist das so? Die Welt wirkt unsicherer, instabiler, komplexer denn je. Die Sehnsucht nach Ordnung wächst – und nach Menschen, die sie zu bringen versprechen. Die Sozialpsychologie nennt das den "Authoritarian Shift": In Bedrohungslagen steigt die Angst, und mit ihr das Bedürfnis nach starker Hand. Geopolitische Verwerfungen, technologische Umbrüche, wirtschaftlicher Druck – Unternehmen haben einige Turbulenzen zu bewältigen. Demokratische Führung passt da schlecht ins Bild: zu langsam, zu diskussionslastig. Sie verlangt Aushandlung, Zweifel, Reflexion. Wer Entscheidungen treffen muss, spürt den Druck, schneller, effizienter, produktiver zu sein. Beschäftigte mit und ohne Führungsverantwortung wünschen sich jemanden, der Komplexität reduziert und sagt, wo es lang geht.

In dieser Gemengelage kann die neue Härte landen. Stärke – selbst, wenn sie autoritäre Züge trägt – wirkt anziehend, weil sie mit bisherigem Mainstream bricht. Dieses Anderssein elektrisiert, befeuert Führungsideale, die lange als überholt galten. Der "starke Mann" erlebt ein Revival – eine Figur aus der Great-Man-Theory des 19. Jahrhunderts. 

Aktuelle Daten zur Verbreitung autoritäre Führung im deutschsprachigen Raum liefert auch das New-Work-Barometer 2025. Wie stark sind die unterschiedlichen Führungsstile in der DACH-Region verbreitet - und inwiefern gehen sie mit Leistung einher? Als Abonnent lesen Sie den Beitrag von Carsten Schermuly, Fried Wilsker und Matthias Meifert hier online.

Ist autoritäre Führung tatsächlich im Trend?

In den USA ist der Stimmungsumschwung deutlich spürbar: Forderungen nach mehr "maskuliner Energie" stoßen kaum noch auf Verwunderung. Auch in Europa mehren sich die Anzeichen. Medien berichten vermehrt über Führungskräfte, die mit harter Hand durchgreifen, restrukturieren, rationalisieren – und dabei auf Loyalität, Disziplin und Präsenz im Büro setzen. Doch ist das ein realer Trend? Oder nur ein Fall selektiver Wahrnehmung, befeuert durch zugespitzte Aussagen einzelner CEOs und einiger Headhunter?

Die Führungskultur in Deutschland ist geprägt durch die Nachkriegszeit: Mitbestimmung, Tarifautonomie, Betriebsverfassungsrecht. Diese Elemente wirken bis heute als Gegengewicht zum autoritären Führungsstil – anders als in den USA, wo eine gewisse Hire-and-Fire-Mentalität nicht ungewöhnlich ist. Entscheidungen entstehen hierzulande im Aushandlungsprozess, Interessen werden einbezogen, Kompromisse gesucht. Hierarchie existiert – aber eingebettet in kollektive Kontrolle, auch durch rechtliche Vorgaben.

Und doch: Auch in der DACH-Region zeigen sich autoritäre Tendenzen. Das New-Work-Barometer 2025 ( siehe Beitrag von Carsten Schermuly, Fried Wilsker und Matthias Meifert) zeigt: Demokratische Führung dominiert – aber autoritäre liegt knapp dahinter. In Industrie, öffentlicher Verwaltung und Verkehrssektor führt sie sogar das Feld an. Das Barometer beleuchtet auch die Machtverteilung – die Verfügungsgewalt über knappe Ressourcen wie Informationen, Privilegien, Budgets – und die Verbreitung verschiedener Erscheinungsformen. Im deutschsprachigen Raum ist die legitimierte Macht am häufigsten, die auf formeller Position beruht. Es folgen Expertise- und Informationsmacht – erst danach kommen charismatische Macht, Belohnungsmacht, Bestrafungsmacht und zuletzt die moralische Macht.

Das ist eine Momentaufnahme. Die Frage nach den Führungsstilen und der Machtausübung war erstmals Teil der Befragung. Noch ist nicht klar, ob es sich hier um eine Verschiebung handelt oder die Führungs- und Machtverhältnisse im deutschsprachigen Raum schon immer so waren. 

Mehr Härte – und mehr Leistung, bitte!

Auffällig ist aber: Wenn Unternehmen einen härteren Führungsstil für sich beanspruchen, folgt meist die Forderung nach mehr Leistung auf dem Fuß. Das beinhaltet Instrumente wie ein durchdekliniertes System individueller Leistungsbewertung. 

Die Debatte darüber wird hitzig geführt, besonders am Beispiel SAP. Der Vorstandsvorsitzende Christian Klein forderte Anfang des Jahres in einer internen E-Mail "unermüdlichen Einsatz, anhaltendes Wachstum und eiserne Disziplin". Der Softwarekonzern hat ein neues System eingeführt. Führungskräfte sollen Mitarbeitende je nach Arbeitsergebnissen und Verhalten in drei Kategorien einteilen: Blau – "Exceptional Zone" für Leistungsträger. Grün – "Achievement Zone" für solide Erfüller. Gelb – "Improvement Zone" für jene, die sich verbessern sollen. Wer schlecht abschneidet, muss mit Versetzung oder Trennung rechnen – auch wenn das nicht offen gesagt wird.

Warum ist das Beispiel so relevant? Weil viele in HR sich an SAP orientieren. Ursula Porth, CHRO des SAP-Beratungshauses All for One, sagt im Interview: "Jede Personalerin und jeder Personaler schaut hin, wenn SAP in den Schlagzeilen ist." Und auch wenn ihr eigenes Unternehmen die neue Führungs- und Leistungsphilosophie nicht kopiert, sondern auf Team-Boni und eine verschlankte Version des Systems setzt: Die Grundlogik ist ähnlich, die drei Leistungsstufen etwa.

Es verschiebt sich also tatsächlich etwas. Trotzdem ist die Debatte oft einseitig – auch in den Medien. Bleiben wir beim Beispiel SAP: Arbeitsmoral und Stimmung sind zwar laut interner Umfrage gesunken. Aber die durchschnittliche Bewertung als Arbeitgeber auf Kununu bleibt mit 4,3 von 5 Punkten hoch. Die Gehälter liegen auf marktüblichem Niveau, teils sogar darüber. SAP bietet noch immer eine gute Kultur der Zusammenarbeit und spannende Projekte. Der Lack hat ein paar Kratzer, ist aber nicht ab. 

Die Polarisierung zwischen autoritärer und demokratischer Führung greift zu kurz. In jedem Unternehmen gibt es eine Bandbreite an Führungsstilen. Und beide Führungsformen können, je nach Situation, Vorteile bringen.

Entscheidend ist: Die Polarisierung zwischen autoritärer und demokratischer Führung greift hier zu kurz. In jedem Unternehmen gibt es eine Bandbreite an Führungsstilen. Führungsleitsätze helfen, doch jede Führungskraft agiert anders. Zudem: Beide Führungsformen können – je nach Situation – Vorteile bringen, zumindest kurzfristig. Wenn Firmen umstrukturieren, ältere Mitarbeitende in den Vorruhestand schicken, andere entlassen und neue Fachkräfte einstellen, müssen sie diese schnell integrieren. Der Kapitalmarkt honoriert das. Ebenso im Fall von Übernahmen, wenn neue Teams einzugliedern sind. "Wer Veränderungen will, muss auch Strukturen benennen und Grenzen setzen", so Ursula Porth. "Lange war genau das unpopulär. Heute darf man es wieder aussprechen."

Führungskräfte spielen bei autoritärer Führung eine Schlüsselrolle

Individuelle Leistungsbewertung ist dennoch mit Vorsicht zu genießen. Die Nebenwirkungen sind gut dokumentiert: Sie reichen von Fehlanreizen und Bewertungsverzerrungen bis zu Stress, Misstrauen und Rückzug. Mehr Leistung ist oft nur ein kurzfristiger Effekt – langfristig überwiegen die Nachteile. Ähnlich ist das Bild bei autoritärer Führung. Sie bringt wenig Leistung, nur minimal mehr als Laissez-faire-Führung. Zwar schafft sie Gehorsam – aber sie führt auf Dauer zu Demotivation, schlechterer Arbeitsleistung, abnehmender Kreativität und sinkendem Teamgeist. Denn Engagement und Wissensaustausch nehmen ab.

Anders demokratische Führungsstile: Laut Metastudien fördern sie Leistung, Innovationskraft, Zufriedenheit und Vertrauen. Auch das New-Work-Barometer 2025 bestätigt das. Autoritäre Führung hingegen steht in einem negativen Zusammenhang zu Leistung – und zwar signifikant. 

Führungskräfte spielen besonders bei autoritärer Führung eine Schlüsselrolle. Sie sollen Mitarbeitende schließlich bewerten. High Performer stärken, Low Performer entwickeln. Hier kristallisiert sich die neue Härte konkret heraus. Judith Muster kritisiert diesen Ansatz: Unternehmen richteten ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf das sichtbarste Problem – die Menschen. In ihrem Beitrag beschreibt sie, wie dabei strukturelle Schwächen aus dem Blick geraten: schlecht abgestimmte Prozesse, widersprüchliche Ziele, ineffektive KPI-Systeme. Eine neue Kennzahlenmatrix löse kein altes Kulturproblem. 

Die New-Work-Fassade fällt

Wer die Debatte über Führung verfolgt, könnte gleichwohl meinen, dass es zwischen autoritärer und demokratischer Führung nichts gibt. Das Pendel schlägt entweder in Richtung "New Work" – weich, empathisch, gemeinschaftlich – oder in Richtung Befehl und Gehorsam. Dazwischen vielleicht noch die Laissez-faire-Führung, meist als eine Art Unfall. Laut dem New-Work-Barometer tritt sie oft gemeinsam mit autoritärer Führung auf. Mitarbeitende werden sich selbst überlassen – zumindest, solange es läuft. Geht etwas schief, sollen sie den Kopf hinhalten. Demokratische Führung dagegen nehme ihren Führungsauftrag ernst. Zwar zeigen die Zahlen des Barometers das nicht, dennoch gibt es auch das andere Phänomen: Dass manche Unternehmen – vor allem zu Beginn der New-Work-Bewegung – glaubten, man müsse Mitarbeitende nur machen lassen – Stichwort Selbstorganisation. Auch das ging selten gut.

Erstaunlich ist es trotzdem, dass in Zeiten weitverbreiteter Bürokratiekritik wieder mehr feste Regeln greifen sollen. Denn warum löste New Work einst so viel Begeisterung aus? Wegen des Versprechens agilerer Strukturen durch mehr Selbstverantwortung. Man wollte, dass Fachkräfte mitentscheiden. Denn wenn sie Entscheidungen nach oben delegieren, wo Expertise fehlt, neigen Führungskräfte dazu, sich in alle Richtungen abzusichern. So kommen Entscheidungen zu spät, gar nicht oder sind schlecht. 

Doch auch in vermeintlichen New-Work-Umfeldern fehlte es den Zuständigen an Einflussmöglichkeiten. Eine konsequente Umsetzung von New Work ist bis heute selten. Sie erfordert Kraft, Ausdauer – und Veränderungswillen. In Krisenzeiten reagieren viele lieber mit Härte – gegen jede Evidenz, dass ebensolche verstanden als Kontrolle, Misstrauen und Korsett mehr schadet als nützt. Die Forschung kommt gegen gefühlte Wahrheiten nur schwer an.

Gleich und gleich gesellt sich gern: Weltbild und Leadership

Das belegt eine neue Studie aus den USA. Daniel Ames und Christine Nguyen von der Columbia University wollten wissen, warum manche Menschen aggressive, dominante Führung als kompetent ansehen – und andere dasselbe Verhalten als überfordert, unqualifiziert oder abstoßend empfinden. Die Antwort fanden sie im Weltbild der Betrachtenden. Die mehr als 2.000 Teilnehmenden sollten hypothetische Manager beurteilen, reale CEOs wie Tim Cook einschätzen und sich in fiktive Arbeitsumgebungen mit dominanten Chefs hineindenken. Das Ergebnis: Je ausgeprägter eine Art "Dschungel-Weltbild" voller Konkurrenz, Bedrohung und knapper Ressourcen, desto positiver die Urteile über autoritäre Führung. 

Wer die Gesellschaft als Überlebenskampf sieht, betrachtet Dominanz also nicht als Schwäche, sondern als notwendige Waffe. Menschen mit einem kooperativen, solidarischen Menschenbild halten dieselbe Führung dagegen für ineffektiv oder moralisch fragwürdig. Mehr noch: Menschen mit starkem Wettbewerbsdenken haben häufiger rücksichtslos auftretende Führungskräfte als die weniger Wettbewerbsorientierten. Die Studie legt somit nahe: Rücksichtslose Führungskräfte können sich über die Zeit mit einem Mitarbeiterkreis umgeben, der ihr Verhalten eher akzeptiert oder sogar unterstützt. Bestimmte Führungsstile setzen sich nicht nur deshalb fest, weil sie von oben durchgesetzt werden – sondern auch, weil Auswahlprozesse im Recruiting und Karriereentwicklung Weltbilder und Einstellung zu Führung nicht berücksichtigen. 

Die neue Härte: To-Dos für HR

Was heißt das nun für HR? Zunächst: Sich nicht von Führungsmoden blenden lassen. Stattdessen die eigene Lage nüchtern und evidenzbasiert prüfen. Ein Zusammenhang zwischen autoritärer Führung und Leistung ist nicht belegt. Es gibt Unternehmer, die autoritär auftreten und erfolgreich sind – aber sie sind Ausnahmen, nicht die Regel. Ihr Erfolg liegt nicht an ihrem Führungsstil, sondern an anderen Faktoren. Wenn CEOs härtere Führung fordern, sollte HR das einordnen können. 

Hinzu kommt: In Deutschland hat Macht ein Imageproblem. Oft denkt man den Missbrauch gleich mit. Dabei ist Macht neutral. Entscheidend sind Intention und Anwendung. HR kann ein neues Verständnis von Macht fördern – als Gestaltungs-, nicht als Durchsetzungsinstrument. Das New-Work-Barometer macht deutlich: Es lohnt sich, in ein gemeinsames Machtverständnis und gleichberechtigte Ideenumsetzung zu investieren. Machtmissbrauch hingegen schadet. Deshalb braucht es Mechanismen, die ihn sichtbar machen: freien Informationsfluss, eine Kultur des Ansprechens – auch bei Fehlern und Grenzüberschreitungen.

Dazu sind klare Strukturen erforderlich, die nicht zu sehr einengen. Leitlinien mit Spielraum für gesunden Menschenverstand und situative Führung. Unternehmenswerte sind sinnvoll – aber übersetzt in konkretes Verhalten. Wer das von Führungskräften erwartet, muss sie dabei unterstützen: mit Programmen, Coaching, Entwicklung und Fingerspitzengefühl bei Umfang und Tempo. Wer alles auf einmal ändert, schafft Unsicherheit. Und genau da gedeihen autoritäre Reflexe.

Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 9/2025. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.


Das könnte Sie auch interessieren:

Kommentar: Renaissance der autoritären Führung?

Studie: Individuelle Boni im Performance Management im Trend

Low Performer wegen Schlechtleistung abmahnen oder kündigen



Schlagworte zum Thema:  Leadership