Kolumne Wirtschaftspsychologie: Wie wirksam ist Coaching?

Mit psychologischen Fakten und einer großen Portion Sarkasmus klärt Professor Uwe P. Kanning in seiner Kolumne über Mythen und Missstände im Bereich der Führung, Personalauswahl und Personalentwicklung auf. Heute geht er der Wirksamkeit von Coachings auf den Grund und stellt fest: Hier wird Spreu nicht von Weizen getrennt.

Folgen wir den Anhängern des Coachings, so sollte es sich hierbei eigentlich um eine überaus wirksame Methode handeln. Dies scheint durchaus plausibel. Wenn sich ein Coach und ein Klient regelmäßig zusammensetzen, um individuelle Themen zu besprechen und Wege zur Lösung von Problemen zu finden, so liegt hierin im Prinzip durchaus ein Potenzial.

Wirksamkeit von Coaching eher gering

Sofern dieses Potenzial in der Praxis auch entfaltet wird, sollte sich in wissenschaftlichen Studien eigentlich eine hohe Wirksamkeit belegen lassen. Doch ist dies tatsächlich der Fall? Mehrere Studien zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild:

  • Grundsätzlich lassen sich positive Effekte des Coachings finden. Die Größe der Effekte ist aber erstaunlich gering.
  • Das Wohlbefinden sowie die Fähigkeit zur Selbststeuerung der Klienten werden im Durchschnitt zu etwa 4 Prozent verbessert.
  • Die Fähigkeit zur Stressbewältigung steigt um etwa 10 Prozent.
  • Einstellungen zu sich und der Welt verbessern sich in einer Größenordnung von etwa 13 Prozent.
  • In der Wahrnehmung der Klientinnen und Klienten fallen die Effekte größer aus als in der Wahrnehmung von Kollegen oder Mitarbeitenden des Klienten.
  • Etwa ein Viertel der Effekte wird nicht durch die Methode des Coachings, sondern durch die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Coach und Klient bzw. Klientin erklärt.
  • Coaching kann auch unerwünschte Effekt nach sich ziehen. Dazu gehört zum Beispiel, dass Klienten in eine Abhängigkeitsbeziehung zum Coach geraten oder nach dem Coaching mit ihren (Arbeits-)Leben weniger zufrieden sind als zuvor.

Angesichts dieser Ergebnisse von einem halb vollen Glas zu sprechen wäre allzu optimistisch. Aber immerhin: der Boden des Glases ist durchgängig bedeckt.

Ursachenforschung in der Praxis

So mancher Coach wird schnell einen Schuldigen für diese unerwünschten Ergebnisse ausgemacht haben. Natürlich ist für ihn oder sie die empirische Wissenschaft mit ihrer Erbsenzählerei nicht mal ansatzweise in der Lage, die großartigen, ganzheitlich-hermeneutisch-phänomenologischen Nachhaltigkeitseffekte des Coachings auch nur ansatzweise zu erfassen. Nur der Coach allein vermag sich mit seinen sechs Sinnen so tief in die Materie hineinzuspühren, dass er sich ein wirkliches Urteil erlauben darf.

All jene, die Wissenschaft verstehen und ernst nehmen, sollten die Befunde hingegen als Weckruf betrachten und sich mit Fragen nach dem Warum beschäftigen. Unter den vielen sinnvollen Antworten dürften die Folgenden einen wichtigen Platz einnehmen:

  • In der Coachingsszene gibt es fast keine ernstzunehmende Qualitätssicherung bei der Ausbildung von Coaches. Coaching-Studiengänge stehen auf dem freien Markt gleichberechtigt neben Wochenendseminaren und Leuten, die sich einfach kurzerhand selbst zum Experten ernannt haben. Solange sich ein jeder Coach nennen darf, der mit Messer und Gabel essen kann, ohne sich dabei zu verletzten, kann sich Coaching nicht flächendeckend zu einer nennenswert wirksamen Methode entfalten.
  • Eng verbunden mit der oft mehr als fragwürdigen Qualifikation des Coaches, ist die Frage der Qualität der eingesetzten Methoden. Auch hier gibt es nicht die geringste Qualitätssicherung. Scheinbar völlig gleichberechtigt stehen Coachingmethoden nebeneinander, die eine wissenschaftlichen Basis haben, die im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen, die schon vor Jahrzehnten widerlegt wurden oder bestenfalls als esoterische Glaubensrichtung durchgehen können. Und es wird auch nicht besser, denn jedes Jahr kommen neue absurde Methoden hinzu. Die Existenz von Coachingsverbänden, welche Regeln guter Praxis festlegen und bei ihren Mitgliedern vielleicht auch kontrollieren, hilft leider nicht viel weiter, solange auch die Vertreter absurder Methoden einen Coachingsverband gründen können.
  • Die Forschung steckt noch sehr stark in den Anfängen. Zwar kann man belegen, dass Coaching an sich eine geringfügige positive Wirkung entfaltet. Wir wissen aber nicht, welche Werkzeuge des Coachings wann zum Einsatz kommen müssen oder nicht zum Einsatz kommen dürfen, um einen Klienten mit spezifischen Bedürfnissen gezielt helfen zu können. Übertragen auf die Medizin stellt sich der Stand der Forschung im Coaching etwa so dar: Wir wissen, dass Medikamente bei Krankheiten weiterhelfen können. Wir wissen aber leider nicht, welches Medikament, in welcher Dosierung, bei welchem Krankheitsbild nützt oder vielleicht sogar schadet.
  • Kunden und Kundinnen stehen dem Markt weitgehend hilflos gegenüber und tragen durch ihr Entscheidungsverhalten dazu bei, dass selbst nachweislich falsche Methoden wirtschaftlich überleben.

Alles in allem bleibt noch viel zu tun, bis das Coaching die Potenziale, die in ihm schlummern dürften, auch tatsächlich entfalten kann. Ein wichtiger Schritt dorthin wäre eine klare Trennung von Spreu und Weizen.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.

Schlagworte zum Thema:  Coaching, Personalarbeit