Kolumne Wirtschaftspsychologie: Soziale Netzwerke

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen – gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf und gibt Praxistipps. Heute: Welche Rolle soziale Netzwerke bei der Personalauswahl spielen.

Soziale Netzwerke bestimmen heute das Leben vieler, vor allem junger Menschen. Im Minutentakt erfährt man hier die belanglosesten Dinge aus der ganzen Welt und rechnet fest damit, dass die Welt sich ihrerseits auch ständig für jede Belanglosigkeit aus dem eigenen Leben interessiert.

Wer schon einmal ein Gespräch mit einem Menschen geführt hat, der zeitgleich irgendwelche Nachrichten auf seinem Smartphone abruft, ein Foto aus dem Aufzug hochlädt und bei Amazon ein E-Book kauft, weiß, wovon die Rede ist. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Studenten nur noch als Hologramm zur Sprechstunde erscheinen.

Soziale Netzwerke bei der Personalauswahl nutzen

Höchste Zeit also für Arbeitgeber, die qualifizierten Leute abzugreifen, bevor sie sich auf ewig in die "virtual reality" beamen. Was liegt da näher, als soziale Netzwerke zum Zwecke der Personalauswahl zu nutzen? Seit einigen Jahren mehren sich die Apelle und Beispiele, die aufzeigen, wie dies konkret aussehen könnte.
Im Zuge der Anwerbung potenziell geeigneter Kandidaten könnte man beispielsweise einen allgemeinen Hinweis auf eine Stellenausschreibung schalten. Deutlich offensiver wäre das direkte Ansprechen einzelner Netzwerkteilnehmer, die aufgrund ihres Profils besonders vielversprechend erscheinen.

Später, im Zuge der Personalauswahl, ist es zudem möglich, sich im Netzwerk tiefergehend über einzelne Bewerber zu informieren, um beispielsweise zu entscheiden, wer zum Einstellungsgespräch eingeladen oder gar letztlich eingestellt wird. Soweit die wesentlichen Optionen, doch wie sieht die Praxis aus?

Personaler nutzen Netzwerke, um sich über Bewerber zu informieren

Eine Studie aus dem Jahr 2011, für die mehr als 700 Personaler befragt wurden, fördert interessante Befunde zu Tage:

  • 70 Prozent nutzen berufsbezogene Netzwerke, um sich über Bewerber zu informieren. Im Falle von Facebook sind es immerhin noch 43 Prozent.
  • Befragt danach, welche Informationen sie aus Facebook-Profilen in ihre Entscheidungen einfließen lassen, geben 57 Prozent an, dass sie sich für alle Informationen interessieren, die zugänglich sind.
  • Tiefergehend befragt, welche Aussagekraft private Fotos haben, berichten 40 Prozent davon, dass sie in den Fotos etwas über die Extraversion eines Menschen erfahren könnten. Fast 44 Prozent wollen die Fotos im Hinblick auf die Reife der Bewerber interpretieren. 31 Prozent wittern Hinweise auf den Selbstwert. 27 Prozent glauben ganz allgemein, dass ein seriöses Facebook-Profil für einen seriösen Menschen steht.
  • In keinem der befragten Unternehmen existierten Regeln, welche Informationen wie in eine Entscheidung einfließen sollen.

Bei der Personalauswahl zählt die Qualität

Aus Sicht einer professionellen Personalauswahl, die sich darum bemüht, die Eignung der Bewerber für bestimmte berufliche Aufgaben zu prognostizieren, ist all dies bedenklich. Das Sammeln nahezu beliebiger Informationen mag ein verständlicher Ausdruck eines archaischen Berufsverständnisses sein – während der Headhunter für das Jagen zuständig ist, begnügt sich der Personaler mit dem Sammeln.

Im Gegensatz zum Sammeln von Beeren, Pilzen oder Kräutlein kommt es in der Personalauswahl aber leider überhaupt nicht auf die Menge, sondern allein auf die Qualität an. Die Deutung von Informationen mit bestenfalls fragwürdiger Prognosekraft kann die tatsächlich aussagekräftigen Informationen so weit überlagern, dass am Ende eine Fehlentscheidung resultiert.

Bewerber nicht nach gleichen Kriterien bewertet

Die Deutung von Fotos im Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale ist nicht sehr weit davon entfernt, den Schädel oder den Händedruck eines Menschen zu deuten. Aber selbst wenn diese Dinge eine belegbare Aussagekraft besäßen, ist nicht gewährleistet, dass alle Bewerber nach den gleichen Kriterien bewertet werden.

Während Bewerber X als besonders teamorientiert erscheint, weil sein Facebook-Profil ihn im Party-Delirium zeigt, erfährt man über Bewerber Y anhand der Urlaubsfotos nur etwas über dessen vermeintliche Gewissenhaftigkeit: Leute mit Sonnenbrand können nicht einmal auf sich selbst achtgeben, wie wollen sie dann Führungsverantwortung übernehmen?

Auf berufsbezogene soziale Netzwerke beschränken

Zielführend ist all dies nicht. Wenn überhaupt, sollte man sich ausschließlich auf berufsbezogene soziale Netzwerk beschränken, nur solche Informationen interpretieren, die tatsächlich eine Aussagekraft im Hinblick auf den beruflichen Erfolg ermöglichen (fachliche Qualifikation, Weiterbildung, Relevanz und Vielfalt der Berufserfahrung) und dafür sorgen, dass diese Informationen von allen Bewerbern zur Verfügung stehen. Sehr viel leichter ließen sich diese Informationen zwar über Online-Bewerbungsformulare erfassen, aber warum es sich einfach machen, wenn es auch aufwändig geht.

Abgesehen vom diagnostischen Wert der wahllosen Sichtung privater Netzwerkprofile stellt sich ein ethisches Problem. Wie hätten Sie vor 20 Jahren reagiert, wenn Sie erfahren hätten, dass ihr zukünftiger Arbeitgeber Sie observiert, Gespräche mit Freunden abhört oder gar ihr Poesiealbum liest? Selbst, wenn Sie im real existierenden Sozialismus groß geworden sein sollten, hätte dies wohl nicht gerade zum Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung beigetragen.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalarbeit