Kolumne Wirtschaftspsychologie: Kritik an NLP

So mancher Mythos geistert durch die HR-Abteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner Kolumne über die Fakten auf. Heute setzt er in einem zweiten Teil seine Kritik am Neurolinguistischen Programmieren (NLP) fort.

Zu den Kernthesen des Neurolinguistischen Programmierens gehört die Annahme, Menschen würden sich in systematischer Weise dahingehend unterscheiden, wie sie Informationen selektiv wahrnehmen und verarbeiten. In Anlehnung an die fünf Sinne – Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken – werden fünf Menschentypen unterschieden (visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch).

Fünf Typen von Menschen

Visuelle Menschen sollen bevorzugt bildhaft Informationen verarbeiten und sich daher zum Beispiel eher an das Gesicht eines Gegenübers als an dessen Namen erinnern. Auditive Typen haben hingegen ein besonders sensibles Ohr. Sie erinnern vom vergangenen Urlaub sehr viel leichter das Meeresrauschen als den Sonnenuntergang.

Die Unterscheidung der fünf Typen hat eine weitreichende Bedeutung. Ziel des NLP ist die Beeinflussung von Menschen, damit sie zum Beispiel ein überflüssiges Produkt kaufen. Der Schlüssel zur Manipulation liegt dabei angeblich in der Kenntnis der Typen. Ist dem versierten NLP-Jünger erst einmal bekannt, wie sein Opfer Informationen verarbeitet, schmilzt dessen Widerstand wie Butter in der heißen Bratpfanne. Wie gut, dass NLP eine methodisch ausgereifte und intellektuell überaus feinsinnige Diagnostik anbietet, die jedermann in Windeseile erlernen kann.

Beobachtungen, die bestimmte Typen prägen sollen

Kenner der NLP-Diagnostik lesen ihr Gegenüber denn auch wie ein gallischer Seher in den Eingeweiden kleiner Hunde. Hierzu betrachten sie verschiedene Stimuli:

  • Atmung: Visuelle Typen atmen hoch und flach, kinästhetische hingehen aus den Tiefen ihres Bauchs heraus, schließlich ist der Bauch ja auch der Hort aller Gefühle – und nicht etwa das Gehirn, wie manch unverbesserlicher Neurologe behauptet.
  • Sprechgeschwindigkeit: Visuelle Menschen sprechen schnell, ihre kinästhetischen Freunde hingegen langsam und auditive Kollegen abwechselnd mal schnell und mal langsam – warum weiß niemand so recht.
  • Körperhaltung: Visuelle Typen bevorzugen den betont aufrechten Gang, damit sie besser sehen können, während Kinästheten eher geduckt durchs Leben streichen. Bei Ihnen konzentriert sich halt alles auf den Bauch.
  • Gestik: Individuen der auditiven Spezies zeigen immer wieder gern auf die Ohren, wohingegen Kinästheten beim Sprechen des Öfteren ihren Brust- und Bauchbereich berühren.
  • Wortwahl: Ein jeder soll verstärkt die Begriffe verwenden, die zu seinem imaginären Typus passen (visuell: "Ich kann das Elend nicht länger mit ansehen." versus kinästhetisch: "Mir wird ganz schwindelig angesichts dieser Einfältigkeit.").
  • Blickrichtung beim Nachdenken: Visuelle Menschen blicken beim Nachdenken nach oben, auditive in Höhe der eigenen Ohren. Kinästheten schauen – fast hätten wir es geahnt – nach unten.

Ausdehnung des Prinzips 

Wer das Prinzip einmal verstanden hat, kann das Portfolio pseudodiagnostischer Methoden beliebig erweitern. Wie wäre es zum Beispiel mit der Handschrift (visuell = hochfahrende Buchstaben; kinästhetisch = tiefe Bögen), der Lieblingsfarbe (himmelblau versus erdbraun), der bevorzugten Wohnsituation (Penthouse versus Souterrain) oder gar dem präferierten Zubehör beim Neuwagenkauf (Schiebedach versus Sitzheizung)?

Die wichtigsten Kritikpunkte

So bunt die diagnostischen Ideen sind, so vielfältig und grundlegend ist die Kritik. Hier die wichtigsten Punkte:

  • Weder die Existenz noch die Abgrenzung der Typen wurde jemals empirisch belegt. Könnte es nicht sein, dass fast alle Menschen im Kern visuelle Typen sind? Gibt es Mischtypen und wie geht man damit um?
  • In der Diagnostik fallen der olfaktorische sowie der gustatorische Typus einfach unter den Tisch. Wahrscheinlich hat man sie in der allgemeinen Hektik des munteren Theoretisierens ganz einfach vergessen – kann ja mal vorkommen.
  • Viele diagnostisch relevant erscheinende Indikatoren, wie etwa die Atmung oder die Sprechgeschwindigkeit, wurden nie untersucht. Warum wohl?
  • Mehrere Studien, in denen verschiedenen Methoden der Typenzuweisung miteinander verglichen wurden, zeigen, dass ein und dieselbe Person je nach Methodik mal als visueller und mal als auditiver Typ charakterisiert wird. Der Befund hängt mithin von der verwendeten Methode und nicht vom Individuum ab – dumm gelaufen.
  • Die Zuschreibung eines Typen auf der Grundlage der Blickrichtungsdiagnostik besitzt nachweislich keine zeitliche Stabilität. Wird heute jemand als visueller Typ identifiziert, kann er morgen schon als unverbesserlicher Kinästhet gebrandmarkt werden – wahrscheinlich nur ein Ausdruck unserer schnelllebigen Zeit.
  • In mehreren Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Blickrichtung beim Nachdenken in keinem systematischen Zusammenhang zu den Inhalten der Gedanken stehen (zum Beispiel Bilder beim Blick nach oben oder Empfindungen beim Blick nach unten). Es gibt jedoch eine geradezu amüsante Ausnahme: Haben die Probanden zuvor mehrere NLP-Seminare besucht, bestätigen sie anschließend brav die Hypothesen. Forschung kann so einfach sein, wenn man es nur richtig anpackt.

Überschätzte Diagnosefähigkeit

Der Beitrag des NLP zur Diagnostik bewegt sich auf dem Niveau von Astrologie, Pendeln und Schädeldeutung. Die Aussagekraft der NLP-Diagnostik entspricht bestenfalls der eines Münzwurfs, sie ist zugegebenermaßen aber ungleich unterhaltsamer. Alle Leser sollten sich an dieser Stelle nachdrücklich ermuntert fühlen, sich selbst etwas Lustiges auszudenken und ein NLP-Ratgeberbuch zu schreiben. Nur Mut! Schlechter kann es gar nicht mehr werden.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalarbeit