Kolumne: Wenn künstliche Intelligenz auf Menschen trifft

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Personaldiagnostik spaltet die Arbeitswelt. Kauft man damit tatsächlich das Rennpferd oder doch eher den Esel? Dieser Frage geht Kolumnist Professor Uwe P. Kanning in gewohnt zugespitzter Form nach.

Kaum ein Thema dürfte heute und in den nächsten Jahren für mehr Diskussionen im Personalwesen sorgen, als der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). Bislang wird vor allem sehr viel versprochen, ohne dass so recht klar wird, was davon wirklich zu halten ist. Effektives Marketing tritt an die Stelle belastbarer Belege. Mit dieser Masche lässt sich im Personalwesen erfahrungsgemäß so mancher klapprige Gaul als Rennpferd verkaufen. Wobei man im Falle der künstlichen Intelligenz nicht mal sicher sein kann, ob sich hinter der Fassade überhaupt ein Pferd und nicht etwa nur ein Esel oder eine Ziege verbirgt, denn wer bekommt schon jemals die Algorithmen zu Gesicht und erfährt, ob sie wirklich durch KI entstanden sind oder einfach nur per Hand zusammengebastelt wurden?

Künstliche Intelligenz: objektiv, modern und gut fürs Personalmarketing ...

Die Argumente für den Einsatz künstlicher Intelligenz sehen in etwa so aus:

KI ist objektiver als jeder Mensch

Das stimmt sogar, wenn man verstanden hat, was der Begriff der Objektivität in der Diagnostik bedeutet. Eine diagnostische Methode wird als vollständig objektiv bezeichnet, wenn ein Diagnostiker – also ein leibhaftiger Mensch – keinen Einfluss auf das Ergebnis der Untersuchung nehmen kann. Dies gilt für nahezu jeden Computertest, der in den letzten 30 Jahren auf den Markt gebracht wurde. Leider wird Objektivität im Alltagssprachgebrauch ganz anders interpretiert, nämlich im Sinne der Validität. Demnach würde jeder objektive Test auch sinnvolle Aussagen über einen Menschen ermöglichen und genau diese Interpretation ist falsch. Ohne Zweifel ließe sich beispielsweise die Fußgröße eines Menschen zu 100 Prozent objektiv bestimmen und dennoch würde diese Information nichts über eine Eignung als Führungskraft oder Maschinenschlosser verraten.

KI ist modern

Auch das trifft ohne Zweifel zu, ist aber völlig irrelevant. Es sei denn, man würde ernsthaft glauben, dass neue Produkte automatisch auch immer gute Produkte wären. Würde man beispielsweise statt eines uralten Intelligenztests oder eines hochstrukturierten Einstellungsinterviews Recruiting-Events abhalten, bei denen man den Bewerbern spielerisch begegnet und sie aus dem Bauch heraus bewertet, so wäre diese Methode zwar sehr neu, würde das Unternehmen aber im Hinblick auf die Validität zurück in die 1950er Jahre katapultieren. Wie gut, dass kein Unternehmen auf solch verrückte Ideen kommt.

KI ist gut fürs Personalmarketing

Dies könnte man vermuten, wenn man davon ausgeht, dass Bewerber zum einem möglichst wenig Arbeit mit einer Bewerbung haben möchten und es zum anderen cool finden, wenn sie keinen Einfluss auf das Ergebnis des Auswahlverfahrens nehmen können.

... oder ethisch problematisch, unbeliebt und schlecht fürs Arbeitgeberimage

Eine aktuelle Studie zeigt das Gegenteil. Befragt wurden drei Personengruppen – Personaler/Führungskräfte, potenzielle Bewerber und Mitarbeiter von Unternehmen – zu ihrer Bewertung verschiedener Methoden KI-gestützter Diagnostik und zwar im Vergleich zur klassischen Sichtung der Bewerbungsunterlegen und dem klassischen Einstellungsinterview. Zu bewerten waren die Analyse der eigenen Facebook-Daten durch Algorithmen, die Analyse des Anschreibens durch Algorithmen sowie die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen aus der Sprache. Im Ergebnis zeigt sich:

  • Der Einsatz digitaler Methoden verändert das Arbeitgeberimage in Richtung größerer Modernität, gleichzeitig sinkt aber die Gesamtattraktivität des Arbeitgebers. Offensichtlich ist "modern" in den Augen der Zielgruppen nicht gleich "gut".
  • KI-Methoden werden als ethisch problematisch angesehen, wahrscheinlich weil sie Daten verarbeiten, die von den Bewerbern nicht explizit für diagnostische Zwecke freigegeben werden und gegebenenfalls Eigenschaften untersuchen, die überhaupt nichts mit der beruflichen Eignung zu tun haben. Wären KI-Methoden valide, so würden sie den "gläsernen Bewerber" erzeugen.
  • KI-Methoden haben ein signifikant geringeres Ansehen als die klassischen Methoden der Diagnostik.
  • KI-Methoden senken die Bewerbungsbereitschaft bzw. die Bereitschaft, ein Stellenangebot anzunehmen.

Wahrscheinlich gibt es derzeit kaum eine geeignetere Methode, um ein mühsam zurechtgebasteltes Image als guter Arbeitgeber zu zerstören, wie den offenen Einsatz von KI-Methoden. Wer als Unternehmen blind in diese Richtung rennt, dürfte alsbald vor der nächsten Wand enden.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist oder was Sprachanalysen über die Persönlichkeit aussagen können.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalarbeit