Kolumne Recruiting: Unternehmen schaffen Anschreiben ab

Die Otto Group hat es vorgemacht, andere Firmen machen es nach: Sie fordern kein Anschreiben mehr von ihren Bewerbern. Was nach weniger Arbeit für Personaler und Bewerber klingt, entlarvt Kolumnist Henner Knabenreich als Beispiel für sinnlosen Aktionismus im Recruiting.

Als wenn es nicht reichen würde, dass sich der Vorstandschef der Otto-Group Hans-Otto Schrader jetzt von allen duzen lässt, hat das Unternehmen einfach mal das Anschreiben abgeschafft. Heimlich, still und leise. Ohne großes Tamtam.

Begründung: Anschreiben nicht mehr zeitgemäß

So, wie jetzt auf einmal viele große Firmenlenker Herrn Schrader (der ja jetzt nicht mehr "Herr Schrader", sondern "Hos" genannt werden will) nacheifern und sich duzen lassen (ob den Mitarbeitern das passt oder nicht, wird nicht immer gefragt, "wir machen das jetzt einfach mal, basta!"), fällt vielen Unternehmen auf, dass das klassische Anschreiben überhaupt nicht mehr zeitgemäß sei und schaffen es einfach ebenfalls ab. Telefonica Deutschland ist so ein Beispiel.

Dies ist eine Tatsache, die in der HR-Szene für einigen Wirbel gesorgt hat – zumindest bei den HRlern, die digital vernetzt sind und sich im World Wide Web tummeln, sich beispielsweise über Blogs informieren.

Allerdings ist deren Zahl im Verhältnis zu allen Personalern in Deutschland wohl sehr überschaubar. So bescheinigt etwa der HR-Revoluzzer (oder Visionär?) Thomas Sattelberger seinen Kollegen eine digitale Kompetenz, die gegen Null tendiere, worüber viel diskutiert wurde.

Zwei Fliegen mit einer Klappe: früh Feierabend, kurze Time-to-hire

Grund genug, diese Diskussion noch mal aufzugreifen. Schließlich sind davon viele Arbeitsplätze betroffen – nämlich die der Bewerbungsratgeber-Schreiber. Und das sind nicht eben wenige. Alleine bei Amazon werden 1.194 Treffer angezeigt.

Stellen wir uns aber die Frage nach dem Hintergrund des Bewerbungsschreibenabschaffens. Grund ist, wer hätte das gedacht, unter anderem mal wieder der böse Fachkräftemangel. Die Überlegung geht nämlich dahin, die Hürden bei der Bewerbung möglichst gering zu halten. Und da das Anschreiben sowieso bei allen gleich klingt (so die Denke) und der Lebenslauf ohnehin alle wichtigen Informationen beinhalte, könnte man dem Bewerber dieses Leid ersparen.

Natürlich steckt da noch mehr dahinter, schlägt der pfiffige Personaler doch zwei Fliegen mit einer Klappe: Er erspart sich das lästige, zeitraubende Studieren der Anschreiben und kommt früher in den Feierabend! Außerdem kommt er so natürlich schneller an die passenden Bewerber, verkürzt sich doch die Time-to-hire. Theoretisch zumindest.

Antwortschreiben, die den Charme eines Finanzamts versprühen

"Dann ist doch alles supergut, ne?", um den NDW-Gassenhauer von Arno Steffens zu zitieren. Doch gar nichts ist supergut, denn: Solange Unternehmen ihren Bewerbern seitenlange Online-Formulare zumuten oder sich diese für ihre Bewerbung mittels umständlicher Registrierungsprozesse erst einmal anmelden müssen, bevor sie sich überhaupt bewerben können, solange Arbeitgeber mit Informationen über sich als Arbeitgeber hinterm Berg halten und diese nicht auf ihrer Karriere-Website veröffentlichen, so lange Stellenanzeigen nichts weiter beinhalten als leere Phrasen, solange der Bewerber weiterhin als Bittsteller behandelt wird und wochenlang auf eine Antwort warten muss (wenn denn überhaupt eine kommt), solange diese Antwortschreiben dann noch so viel Seele versprühen, wie das eines Finanzamts (also keine): Solange bringt auch der Verzicht auf das Anschreiben nichts.


Henner Knabenreich ist Geschäftsführer der Knabenreich Consult GmbH. Er berät Unternehmen bei der Optimierung ihres Arbeitgeberauftritts. Zudem ist er Initiator von www.personalblogger.net und betreibt den Blog  personalmarketing2null.de.
 

Schlagworte zum Thema:  Recruiting, Personalmarketing, Employer Branding