Kolumne Recruiting: Recruiting steuert direkt in die Sackgasse

Fachkräftemangel, Digitalisierung, Innovationsdruck. Alles Probleme, mit denen das Recruiting derzeit konfrontiert wird. Dennoch wir das Budget oftmals zuerst im HR-Bereich zusammengestrichen. Um das zu ändern, muss HR selbst gestalterisch tätig werden, fordert unser Kolumnist Henner Knabenreich. 

Wie ist das eigentlich bei Ihnen? Sind Sie Recruiter, Personalmarketer oder Employer-Branding-Spezialist und füllen diese Rolle komplett aus? Oder sind Sie eher der oder diejenige, die neben der ganzen Personaladministration auch noch "so mal eben nebenher" das Recruiting - ich nenne jetzt mal den Oberbegriff "Recruiting", meine damit aber auch Personalmarketing, Employer Branding, Talent Management und Retention Management – übernimmt? Weil: Irgendeiner muss das ja machen.

Ich würde mal behaupten, dass in den meisten der Unternehmen eher "HR-Artists" zugange sind. Also Menschen, die mit ganz vielen Bällen jonglieren, den ein oder anderen Drahtseilakt wagen, den armen Clown geben oder zur "Unterhaltung" von Fachbereichen, Mitarbeitern und Bewerbern beitragen.

Strategisch überlebenswichtig, aber wenig wertgeschätzt

Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich erlebe, welchen Stellenwert das Recruiting in den Unternehmen einnimmt. Klar, es gibt die Unternehmen, die auch über eine eigene Recruiting-Abteilung verfügen und in der sich dann sogar mehrere Mitarbeiter um diesen wichtigen Job kümmern. Aber das ist nicht die Regel.

Viel häufiger finden wir die "HR-Artists" – und eher Verwalter, als Gestalter. Das ist umso erschreckender, als dass Recruiting strategisch überlebenswichtig für ein Unternehmen ist. Sollte man meinen. Die Damen und Herren in Deutschlands Chefetagen scheinen das nicht so zu sehen. Denn wo gibt es die wenigsten Budgets oder werden Budgets zuerst gekürzt, wenn es mal nicht so läuft? Richtig, in HR. Und um mal eben eine Stellenanzeige zu schalten, bedarf es auch keiner ganzen Abteilung.

Alle Welt jammert über den Fachkräftemangel

Nun erinnern wir uns aber an das böse F-Wort: Alle Welt jammert über den Fachkräftemangel. Man finde keine Leute mehr. Man hätte ja schon alles versucht – zum Beispiel IT-Spezialisten über die "FAZ" gesucht oder zum x-ten Mal die immer gleich formulierte Stellenanzeige in der Printausgabe der "Süddeutschen" geschaltet. Aber es sei nichts zu machen.

Ganz klar dürfte an dieser Stelle sein, dass dem nicht so ist. Und ein Blick auf die Karriere-Websites der Unternehmen - wenn sie denn eine haben - oder die Stellenanzeigen, geschweige denn den Bewerbungsprozess liefert den Beweis. Klar, um sich mit dieser Thematik und im Zweifelsfall diesem neumodischen Schnickschnack – Social Media, SEO, mobile – auseinanderzusetzen, braucht es einerseits Ressourcen, andererseits aber auch Weitblick und Leidenschaft. Aber eben genau da liegt der Hund begraben.

Paradigmenwechsel bei der Rollenverteilung

Und nicht nur dort. Denn was erst in wenigen Köpfen angekommen ist: Wir haben es gerade mit einem Paradigmenwechsel zu tun. Der Arbeitsmarkt kippt – beziehungsweise ist es schon. Weg vom Arbeitgebermarkt hin zum Bewerbermarkt. Die Rollen wechseln. Der Arbeitgeber wird zum Bewerber, der Bewerber, der ja seine Arbeitsleistung "gibt", zum Arbeitgeber. Hinzu kommen die Ansprüche und Wertvorstellungen neuer Generationen - Y, Z, Alpha -, Digitalisierung, Flexibilisierung, Arbeiten 4.0 et cetera pp.

Mut zur Veränderung: HR muss aktiv werden

Und so steuert das Recruiting in Deutschlands Unternehmen und Personalabteilungen direkt in eine Sackgasse, wie Brigitte Herrmann in ihrem Buch "Die Auswahl" resümiert. Sie berichtet in diesem Titel von verstörenden Personalauswahlprozessen und geht auch bewusst auf die Rolle von HR ein. "Wenn Personaler immer nur darauf warten, von oberster Ebene eine Absolution und Aufwertung zu erfahren, verharren Sie in einer Art Opferhaltung", schreibt sie.

Alles in allem braucht HR, so die Autorin weiter, "eindeutig den Mut und den Willen zur Veränderung, um die eigene Positionierung im Unternehmen zu stärken und mit neuen Ideen und Konzepten auch zu rechtfertigen." Dazu gehöre auch, sich ganz klar strategisch einzubringen und mehr Verantwortung als bisher zu übernehmen, um endlich aus dem bisherigen Schatten heraus zu treten.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

 

Hinweis: Die Autorin Brigitte Herrmann ist zu Gast auf der Veranstaltung "Personalmarketing-zwei-null & Friends", die am 20. Mai in Wiesbaden stattfindet. Mehr zur Veranstaltung lesen Sie hier.


Henner Knabenreich ist Geschäftsführer der Knabenreich Consult GmbH. Er berät Unternehmen bei der Optimierung ihres Arbeitgeberauftritts. Zudem ist er Initiator von www.personalblogger.net und betreibt selbst den Blog  personalmarketing2null.de.

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