Kolumne Psychologie: Weiterbildung zum Eignungsdiagnostiker

So manchen Mythos in der HR-Welt konnte Professor Uwe P. Kanning schon in seiner Kolumne aufklären. Mit psychologischen Fakten und einer großen Portion bissigem Humor begegnet er den Anhängern des Bauchgefühls. Heute erklärt er, was eine Weiterbildung in Eignungsdiagnostik nicht leisten kann - und was sie eigentlich leisten sollte.

Als Paul sich vor 20 Jahren für sein Magisterstudium an der Uni eingeschrieben hat, war ihm noch nicht klar, wohin das alles einmal führen sollte. Mit seiner Fächerkombination aus Theaterwissenschaften, Makramee und Blockflöte würde sich aber sicherlich irgendwo ein Plätzchen in der Wohlstandsgesellschaft finden lassen. Schließlich benötigt die Gesellschaft dringend mehr Intellektuelle mit Weitblick. Notfalls wird man halt Journalist und schreibt das Feuilleton für eine überregionale Wochenzeitung – so dachte er damals.

Als seine Eltern ihm dann nach 27 Semestern den Geldhahn zudrehten und er damit jeglicher Chance beraubt wurde, die Prüfungen der Grundlagenmodule noch rechtzeitig vor der Zwangsexmatrikulation erfolgreich abzuschließen zu können, musste er seine akademische Karriere jäh beenden und lernen, sich allein im Großstadtdschungel durchzuschlagen. Vom Altglassammler zum Fahrradkurier und schließlich zum Taxifahrer im Nachtdienst hat er es weit gebracht.

Zufrieden könnte er sich zurücklehnen, wäre da nicht dieser unbändige Ehrgeiz, der schon immer an seinem Selbstwert nagte. Was ist aus den Kommilitonen von einst geworden? Mechtild hat schon bald nach dem Studium ihre Blockflöte an den Nagel gehängt und arbeitet heute als anthroposophische Reiki-Therapeutin in der eigenen Landpraxis mit soziopathischen Managern. Rüdiger hat nach drei Semestern die Reißleine gezogen und berät als High-Performance-Business-Coach Existenzgründer aus der IT-Branche. Am weitesten hat es Frauke gebracht: Sie performed in einer internationalen Consulting-Firma und berät seit vielen Jahren überaus erfolgreich die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg. Nur aus Wolfgang ist nichts geworden, er sitzt im Bundestag.

Weiterbildungsangebot: Eignungsdiagnostiker in zwei Tagen

Auf der Suche nach dem richtigen Kick durchforstet Paul die einschlägigen Weiterbildungsseiten im Internet: "Schamanen-Coaching"? – Zu akademisch! "NLP-Practitioner"? – Zu anspruchslos! "Psycho-Physiognomie"? – Zu kompliziert! "Business-Speaker"? – Zu unseriös! Aber hier: "Eignungsdiagnostiker in zwei Tagen"! – Das könnte passen, schließlich hat man als Taxifahrer ja schon per Definition ein Gespür für andere Menschen. Eine Mail genügt, die letzten 3.000 Euro überwiesen und - hast du nicht gesehen - schon sitzt er in der ersten Reihe im Seminarraum "Adria" des Waldhotels Haselünne.

Was ein Schnellkurs in Eignungsdiagnostik lehrt

Was er hier lernt, hat so gut wie nichts mit Eignungsdiagnostik zu tun, aber das wissen seine späteren Kunden gottlob nicht.

  • Er lernt einen einzigen Persönlichkeitstest kennen, einen von sicherlich mehr also 500, die in deutschen Unternehmen vertrieben werden.
  • Er lernt ein Persönlichkeitsmodell kennen, dass sich vor 80 Jahren mal irgendein Mensch in den USA ausgedacht hat.
  • Er lernt, wie man die Software zur Durchführung und Auswertung bedient – eine Tätigkeit, für die man schon lange keinen Menschen mehr benötigt.
  • Er lernt, das spärliche Ergebnis so weit zu überinterpretieren, dass er selbst am Ende den Eindruck hat, den Bewerber in- und auswendig zu kennen.
  • Er lernt, seinen Kunden ein Feedback zu geben, das so schön schwammig ist, dass jeder Kunde seine ohnehin schon vorgefasste Meinung über den Bewerber darin bestätigt sieht. Das überzeugt die Kunden später am stärksten, denn ein Test der genau das bestätigt, was man selbst fühlt, muss ja ganz einfach valide sein.
  • Und er lernt vor allem eins - Marketingsprüche: "Zehntausende zufriedener Kunden", "seit Jahrzehnten im Einsatz", "in den USA entwickelt", "in internationalen Konzernen erprobt", "nicht verfälschbar", "kostengünstiger als jedes Assessment Center", "objektiver als jeder Psychologe" ...

Was ein Eignungsdiagnostiker wissen sollte

Was Paul nicht lernt, ist all das, was für eine seriöse Testdiagnostik eigentlich wichtig wäre:

  • mathematische Kennwerte interpretieren, die Aufschluss über die Qualität des Testverfahren geben,
  • kritisch hinterfragen, wie die Kennwerte zustande gekommen sind,
  • verstehen, dass man Tests aus einem anderen Sprachraum nicht einfach nur übersetzen darf,
  • verschiedene Testverfahren im Hinblick auf ihre Eignung für die konkrete Stellenbesetzung zu analysieren und anschließend das Beste auszuwählen,
  • die Grenzen der Aussagekraft von Persönlichkeitstests richtig einzuschätzen.

Schulung für einzelne Tests dient dem Vertrieb

Seinem wirtschaftlichen Erfolg steht dies nicht im Wege, denn sein Ziel ist nur, diesen einen Test als Lizenznehmer möglichst oft zu verkaufen, damit sich vielleicht schon in ein oder zwei Jahren seine Investition in das Ausbildungsseminar amortisiert hat. In der Zwischenzeit kann er ja noch ein wenig Taxi fahren.

Wer als Endverbraucher so etwas völlig okay findet, der sollte in Zukunft mit seinen gesundheitlichen Beschwerden auch nicht zum Arzt gehen, sondern gleich den nächstbesten Pharmareferenten aufsuchen und zwar einen, der nur ein einziges Medikament vertreibt.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.