Kolumne Psychologie: Warum Frauen nicht anders führen als Männer

Nicht erst seit die Frauenquote im Gespräch ist, debattieren viele darüber, ob Frauen anders führen als Männer. Die meisten sind von einigen Unterschieden überzeugt - auch wenn die Forschung anderes belegt, wie Professor Uwe P. Kanning zeigt.

Würden wir spontan eine Umfrage auf dem nächst gelegenen Marktplatz starten und die Menschen bitten, sich zum Führungsverhalten von Frauen und Männern zu äußern, würden wir wahrscheinlich zwei Dinge herausfinden:

1. Die meisten haben keinerlei Erfahrungen mit weiblichen Führungskräften gesammelt.

2. Dennoch glauben sie fest daran, dass Frauen anders führen als Männer.

Ersteres wäre ebenso wenig überraschend wie letzteres. Frauen finden sich bekanntermaßen weitaus seltener in Führungspositionen als Männer, weshalb viele Menschen nur geringe Erfahrungen mit ihnen sammeln konnten. Dass man aber auch ohne jede Erfahrungen oder gar abgesichertes Wissen eine feste Überzeugung aufbauen kann, gehört zum Wesen der menschlichen Urteilsbildung.

Unverbesserliche Optimisten sprechen in diesem Zusammenhang vom „gesundem Menschenverstand“. Überall dort, wo der Menschenkenner nicht so recht weiter weiß, hilft ihm das Stereotyp: Sind Frauen nicht grundsätzlich sozial kompetenter als Männer, setzen sich selbstlos für das Wohlergehen ihrer Mitmenschen ein und hören stets aufmerksam zu? Und wie ist es um die Männer bestellt? Sind sie nicht immer konfliktbereit, durchsetzungsstark und motiviert – wozu auch immer?

Studienergebnisse spiegeln Stereotype wieder – im Durchschnitt

Studien, die sich mit Persönlichkeitsunterschieden zwischen Frauen und Männern beschäftigen, zeigen des Öfteren signifikante Unterschiede beider Gruppe, wobei die Richtung der Effekte durchaus den Stereotypen entspricht. Dabei darf man aber zwei Aspekte nicht außer Acht lassen: Zum einen sind die Unterschiede meist gering, zum anderen wird bei den Berechnungen immer der Durchschnittswert der einen Gruppe mit dem Durchschnittswert der anderen verglichen. Um diese Mittelwerte herum gibt es jedoch eine erhebliche Streuung.

Die Unterschiede innerhalb der Gruppe der Frauen oder der Männer sind viel größer als die Unterschiede zwischen den Gruppenmittelwerten. So gibt es beispielsweise sehr viele Frauen, die durchsetzungsstärker sind als Männer und umgekehrt sehr viele Männer, die besser zuhören können als Frauen.

Letztlich weisen Frauen und Männer viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf. In unserer Wahrnehmung betonen wir jedoch die Unterschiede zwischen den Gruppen und akzentuieren gleichzeitig die Gemeinsamkeiten innerhalb der Gruppe. Dabei hilft es, dass wir uns auf sehr konkrete Verhaltensweisen und Vorlieben konzentrieren – wie zum Beispiele das Interesse für Schuhe versus Autos – und dabei das Große und Ganze aus dem Blick verlieren. Wir basteln uns gewissermaßen die Welt in unserem Kopf so zurecht, dass sie schön durchschaubar wird. Mit Stereotypen lebt es sich eben einfacher.

Führungsunterschiede gleichen sich von selbst an

Ganz ähnlich sieht es beim Führungsverhalten aus. Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die im Ergebnis entweder überhaupt keine signifikanten Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Führungskräften finden oder aber wiederum nur sehr geringe. Die ohnehin geringfügigen Unterschiede in sozialen Kompetenzen, Persönlichkeit und Motiven werden durch verschiedene Prozesse weitgehend nivelliert:

  • Selektion: Der Führungsnachwuchs in der Wirtschaft rekrutiert sich in starkem Maße aus bestimmten Studiengängen (Wirtschaftswissenschaften, Jura, Ingenieurwissenschaften). Frauen, die sich für diese Studiengänge entscheiden und überdies eine Führungslaufbahn anstreben, könnten männlichen Führungskräften ähnlicher sein, als dem Durchschnitt der weiblichen Population.
  • Fremdselektion: Die Auswahl von Führungskräften erfolgt heute in den meisten Unternehmen immer noch nach Gutsherrenart. Es wird jemand ausgewählt, der den Entscheidungsträgern gefällt. Und wer gefällt wohl am meisten? Jemand, der den Entscheidungsträgern möglichst ähnlich ist und gängigen Führungsstereotypen entspricht. Dies führt dazu, dass Frauen (und Männer), die bestimmte Eigenschaften aufweisen, mit größerer Wahrscheinlichkeit in Führungspositionen gelangen, als Frauen (und Männer), die diese Eigenschaften nicht haben. In der Folge sind weibliche und männliche Führungskräfte einander noch ähnlicher als es Frauen und Männer ohnehin schon sind.
  • Sozialisation: Der Alltag als Führungskraft mag schließlich dazu beitragen, dass man sich im Lauf der Jahre auch ein Stück weit verändert. Hierzu kann einerseits der Austausch mit anderen Führungskräften beitragen. Anderseits ergibt sich aus den Anforderungen, die Mitarbeiter an ihre Führungskräfte stellen, die Notwendigkeit, das eigene Verhalten entsprechend auszurichten.

Personalauswahl stärken, statt Frauenquote fordern

Aber warum finden sich denn nun in Führungspositionen weitaus weniger Frauen als Männer, wenn doch die Unterschiede in der Ausgangslage gar nicht so groß sind? Hier wirkt wieder einmal das Prinzip „Menschenkenntnis“: In dem Maß, in dem Führungskräfte aus dem Bauch heraus ausgewählt werden, kommen bevorzugt solche Menschen zum Zug, die dem Prototyp einer erfolgreichen Führungskraft entsprechen. Und dieser Prototyp ist nun einmal primär männlich.

So manche Debatte um Quotenregelungen ließe sich vermeiden, würde man flächendeckend professionelle Personalauswahlverfahren einsetzen, in denen sich die Bewerber allein aufgrund ihrer tatsächlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten durchsetzen könnten. Diese dürften im Ergebnis in etwa gleich viele Frauen wie Männer sein. Aber das wäre natürlich eine viel zu einfache Lösung...

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.