Kolumne Psychologie: Lücken im Lebenslauf

Die berühmte Lücke im Lebenslauf füllt einige Seiten der einschlägigen Ratgeberliteratur. Doch Wirtschaftspsychologe Uwe P. Kanning zeigt in seiner heutigen Kolumne, dass Personaler diese Lücke überbewerten - zumal Bewerber inzwischen genügend Tricks kennen, um sie zu verbergen.

Sie gehören zu den Menschen, die ihr Leben von der ersten Minute an stringent zum Wohlgefallen künftiger Arbeitgeber durchorganisiert haben? Schon im Sandkasten wurden Ihre bestenfalls durchschnittlich begabten Spielgefährten unter Ihrer charismatischen Führung zu einem schlagfertigen Bautrupp zusammengeschweißt? In der Grundschulzeit nutzten Ihre Eltern die großen Ferien für Bildungsreisen ins nicht-europäische Ausland, damit Sie dort Kenntnisse in Malaysisch, Suaheli, Turkmenisch und vielen weiteren berufsrelevanten Sprachen erwerben konnten? Zwischen Schule und Studium haben Sie mit bloßen Händen in Afrika Brunnen gegraben, in Sri Lanka Erdbebenopfer geborgen und in Görlitz gehbehinderten Rentnerinnen über die Straße geholfen, um dabei Ihre sozialen und interkulturellen Kompetenzen zu vervollkommnen? Ihr Doppelstudium war mindesten dreisprachig und zeitgleich waren Sie Geschäftsführer einer studentischen Unternehmensberatung, Vorsitzender eines europäischen Studentenverbands sowie Oboist im städtischen Barockensemble?

Herzlichen Glückwunsch! Sie haben Ihre Chancen deutlich erhöht, eines schönen Tages aus der Masse der Bewerber als potentiell nützliches Mitglied der werktätigen Bevölkerung identifiziert zu werden. Ab jetzt dürfen Sie nichts mehr falsch machen, und das bedeutet vor allem eines: Lassen Sie keine noch so kleine Lücken in Ihrer Biografie entstehen!

Bewerbungsratgeber warnen vor Lücken im Lebenslauf

Schenkt man der einschlägigen Ratgeberliteratur Glauben, so sind Lücken im Lebenslauf ein untrügliches Indiz für so manche Charakterschwäche: geringe Leistungsmotivation, fehlende Gewissenhaftigkeit, mangelnde Zielstrebigkeit, fragwürdige Selbstkontrolle – allesamt Eigenschaften, die das Arbeitgeberherz so gar nicht erfreuen mögen.

Eine Studie aus dem Jahr 2008 zeigt auch, dass nur etwa drei Prozent der deutschen Unternehmen bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen generös über etwaige Lücken im Lebenslauf hinwegsehen. In fast 35 Prozent der Fälle wandern die Unterlagen gleich in den Papierkorb, sobald die Verantwortlichen eine Lücke erspähen. Zwar zeichnet eine aktuelle Studie ein etwas entspannteres Bild: Darin geben nur 84 Prozent der Personalverantwortlichen an, dass sie Lücken im Lebenslauf bei der Auswahl der Bewerber berücksichtige. Die grundlegende Botschaft bleibt jedoch dieselbe.

Es gibt kaum Forschungsliteratur zum Thema

Angesicht dieses sehr breiten Konsenses gibt es doch sicherlich eine Vielzahl wissenschaftlicher Belege, die den verbreiteten Eindruck bestätigen, dass Bewerber mit lückenhaftem Lebenslauf besser bei der Konkurrenz als im eigenen Unternehmen aufgehoben sind – oder etwa nicht? Eine Recherche in der internationalen Fachliteratur fördert Erstaunliches zu Tage. Bislang gibt es nur eine einzige publizierte Studie zu diesem Thema.

Im Jahr 2013 wurden mehr als 1.400 Menschen gebeten, Auskunft über Art und Umfang ihrer Lücken im Lebenslauf zu geben. Zudem mussten sie einen Fragebogen zur Messung einschlägiger Persönlichkeitsmerkmale ausfüllen. Die Ergebnisse waren mehr als ernüchternd: Der Zusammenhang zwischen der Lückengröße und den untersuchten Merkmalen schwankt zwischen null Prozent (für das Merkmal "emotionalen Stabilität") und gerade einmal 2,2 Prozent (für das Merkmal "Mangelnde Selbstkontrolle").

Gründe für die Lücken müssen bekannt sein

Die Zurückweisung von Bewerbern allein aufgrund der Lückengröße ist somit ein gewagtes Unterfangen. Erst die tiefergehende Analyse der Daten zeigt, dass unter bestimmten Bedingungen Lücken im Lebenslauf eine grobe Einschätzung der Kandidaten erlauben. Hierzu ist es allerdings zwingend notwendig, die Gründe für das Zustandekommen der Lücken zu kennen. In der genannten Studie wurden sechs Gründe unterschieden: Krankheit, Kinderbetreuung, Wartezeiten (zum Beispiel nach dem Schulabschluss), Reisetätigkeit, Arbeitslosigkeit und Abbruch einer Ausbildung. In drei von 48 möglichen Fällen ergaben sich substanzielle Zusammenhänge:

  • Je länger die Lücke im Lebenslauf ausfällt, die mit einer abgebrochenen Ausbildung einhergeht, desto geringer ist die Gewissenhaftigkeit der Kandidaten (Zusammenhang: 14,4 Prozent)
  • Je länger die Lücke im Lebenslauf ausfällt, die mit einer abgebrochenen Ausbildung einhergeht, desto geringer ist die soziale Verträglichkeit (Zusammenhang:  9,6 Prozent).
  • Je länger eine Person aufgrund von Kinderbetreuungszeiten ausfällt, desto weniger extravertiert ist sie (Zusammenhang: 13 Prozent).

In keinem einzigen Fall ließen sich Zusammenhänge zur Leistungsmotivation nachweisen.

Nur wenn bestimmte Gründe für das Zustandekommen einer Lebenslauflücke vorliegen, lässt sich bezogen auf einzelne Persönlichkeitsmerkmale eine begründete Einschätzung der Bewerber vornehmen. Ihre Aussagekraft ist mithin sehr viel geringer als die meisten Personalverantwortlichen glauben.

Einige Tricks verbergen Lücken im Lebenslauf schnell

Doch selbst wenn man die Forschungsergebnisse in der Praxis berücksichtig, bleibt immer noch die Frage, inwieweit man überhaupt den Angaben der Bewerber trauen darf. In der überaus reichhaltigen Ratgeberliteratur für Bewerber überschlagen sich die Gelehrten geradezu in der Entwicklung kreativer Vorschläge, wie man bestehende Lücken elegant kaschieren kann. Hier einige Kostproben – gegebenenfalls auch für den Eigenbedarf:

  • Kleinste Lücken von wenigen Wochen lösen sich in Luft auf, wenn Sie alle Angaben im  Lebenslauf nur auf den Monat genau datieren.
  • Sollten Sie mehrere Monate dösend auf dem Sofa oder in einer Entzugsklinik verbracht haben, bereichern Sie Ihren Lebenslauf kurzerhand mit einem intensiven Sprachaufenthalt – natürlich in einem Land, dessen Sprache Sie ohnehin schon gut sprechen.
  • Hat es Sie besonders arg getroffen und Sie müssen wegen Steuerhinterziehung drei Jahre ins Gefängnis, so bekennen Sie sich offen dazu, dass Sie vorübergehend aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, und zwar um Ihre krebskranke Mutter ausopferungsvoll bis zum Tode zu pflegen. Mit dieser stattlichen Lüge haben Sie nicht nur die unansehnliche Lücke zugekleistert, sondern sind gleich auch noch in die erste Liga der Gutmenschen aufgestiegen, direkt neben Mutter Theresa und der Prinzessin von Wales. Wer Sie jetzt nicht zum Einstellungsgespräch einlädt, ist selbst schuld.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalarbeit