Kolumne: Personalentwicklung als Machtinstrument

In der Personalentwicklung spielt das Thema "Macht" bislang kaum eine Rolle – weder in der Theorie noch in der Praxis. Warum das so ist und wie die Personalentwickler zu Gewinnern im Machtpoker werden können, beleuchtet Oliver Maassen in seiner aktuellen Kolumne.

Was macht Macht? Diese Frage ist der diesjährige Titel des Kongresses, den unser Beratungsunternehmen jedes Jahr im Herbst durchführt. Blättert man die deutsche Standardliteratur zum Thema "Personalentwicklung" durch, spielt der Begriff "Macht" keine Rolle, egal ob im Inhalts- oder Stichwortverzeichnis. Macht ist für Personalentwicklungs-Experten offenbar keine Kategorie. Ich halte das für eine fatale Unterbelichtung im modernen Personalmanagement.

Führungskraft, Steuerbeamter, Zahnarzt: Alle haben Macht

Denn Macht ist immer und überall. Sie existiert in allen Bereichen unseres Lebens. Ob der Chef im Unternehmen oder der Steuerbeamte im Finanzamt, ob der Zahnarzt, der unsere pochenden Schmerzen lindern kann, oder der Ticketverkäufer an der Konzertkasse – sie alle haben Macht. Macht beschreibt ein Verhältnis von Überlegenheit oder von Abhängigkeit zwischen zwei oder mehreren Personen.

Vielleicht rührt die Durchsetzungsschwäche vieler Personalentwicklungs-Abteilungen daher, dass dem Aspekt der Macht und damit dem Einfluss und der Durchsetzungskraft innerhalb der Organisation bereits in der Theorie zu wenig Aufmerksamkeit gezollt wird. Wer im organisatorischen Machtpoker nicht mitspielt, sitzt eben auch nicht am Tisch, wenn Entscheidungen fallen.

Personalentwicklung als machtvolles Instrument

Macht allerdings, sozialwissenschaftlich als Fähigkeit beschrieben, auf das Verhalten und Denken anderer einzuwirken, haben  Personalentwickler meist nur bei fortschrittlichen Unternehmen. Dort ist ihre Arbeit integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. Sie verteilen nicht nur beliebige Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip, sondern gestalten systematische Weiterbildungskonzepte.

In enger Abstimmung mit den jeweiligen Führungskräften werden die einzelnen Mitarbeiter gemäß ihrer individuellen Kompetenzen und Ziele langfristig und immer am Job ausgerichtet gecoacht und trainiert. Eingepasst in die Unternehmensstrategie wird Personalentwicklung so zu einem machtvollen Instrument, um eine Organisation wirklich voranzubringen.

Führungskräfteentwicklung als zentrale Aufgabe

Um es klar zu sagen: Personalentwicklung ist in erster Linie eine Führungsaufgabe. Und Führung ist immer mit Macht verknüpft. Dabei geht es in der heutigen Zeit weniger um die formale Autorität einer Führungskraft. Sie ist als Machtquelle sehr begrenzt und wird rasch ausgetrocknet, wenn Führung von anderen nicht anerkannt wird. Also kommt der Führungskräfteentwicklung eine zentrale Aufgabe zu, um Führungskräfte mit Macht aus anderen Quellen als denen klassischer Hierarchien auszustatten.

Ich darf an dieser Stelle einen französischen Philosophen zitieren: Mit Michel Foucault könnte man Personalentwicklung als "Machtmechanismus" beschreiben. In seinem Vortrag "Die Maschen der Macht" erklärte Foucault in der Sprache und Denke der 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts: "Wie kann man jemanden überwachen, sein Verhalten und seine Eignung kontrollieren, seine Leistung steigern, seine Fähigkeiten verbessern? Wie kann man ihn an den Platz stellen, an dem er am nützlichsten ist?"

Mehr Wissen bedeutet mehr Macht

Genau dies sei die Aufgabe der Personalentwicklung, legte die Erlanger Wissenschaftlerin Ines Sausele-Bayer in ihrer Studie "Personalentwicklung als Quelle der Macht" dar. Im Zuge von Technisierung und Spezialisierung wird der einzelne Mitarbeiter mit seinen spezifischen Kompetenzen kostbar für ein Unternehmen und deshalb erhaltenswert.

Gemäß Foucault ist Personalentwicklung nicht nur eine Möglichkeit für das Unternehmen, seine Mitarbeiter zu kontrollieren und effektiv einzusetzen, sondern bietet auch den Individuen die Möglichkeit von ihr zu profitieren: Für die Führungskräfte bedeutet gute Personalentwicklung, dass ihre Bereiche besser werden oder zumindest den Status wahren und sie somit ihren Einfluss im Unternehmen sichern. Der einzelne Mitarbeiter erfährt durch einen Zugewinn an Wissen und Kompetenz einen Zuwachs an Macht, denn, so Foucault: "Von jedem, der etwas weiß, können wir sagen, dass er Macht ausübt."

Weiterbildungsprogramm systematisch auflegen

Nun mag dies auf den ersten Blick sehr theoretisch erscheinen. Tatsache ist aber, dass genau diese Mechanismen überall dort greifen, wo Personalentwicklung wirklich zu einem für das Unternehmen nützlichen Wissens- und Kompetenzerwerb für die Mitarbeiter führt. Aus meiner Sicht ist das der springende Punkt. Was ist nützlich im Sinne der Ziele und der Strategie der Organisation? Das muss die Personalentwicklung eindeutig mit den Führungskräften und gegebenenfalls externen Beratern herausarbeiten und ein entsprechendes systematisches Weiterbildungsprogramm auflegen.

Denn nur, wenn ich den Einzelnen im Einklang mit den Zielen der Organisation optimal fördere, erzeugt Personalentwicklung einen nachhaltigen Mehrwert. Das ist eine wichtige Aufgabe, eine mächtige Rolle, die Personalentwickler mit Verve angehen sollten. So finden sie dann ihre ganz eigene Antwort auf die Frage, was Macht macht.

Kolumnist Oliver Maassen

Oliver Maassen ist seit 2013 Geschäftsführer der Pawlik Consultants GmbH. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand und Personalchef der Unicredit Bank. In seinen früheren Funktionen verantwortete er die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Führungstrainings, Personalmarketing und Talent Management. Er ist zudem Gründungsvorstand der Zukunftsallianz Arbeit und Gesellschaft (ZAAG), die Anfang Juli offiziell gegründet wurde.