Kolumne Personalentwicklung: Mitarbeitergespräche

Es ist Zeit für den Frühjahrsputz. Was daheim Eimer und Lappen, sind im Büro Ziele und Feedback: Die jährlichen Mitarbeitergespräche stehen an. Dass diese oft nicht zum Erfolg führen, wundert Kolumnist Oliver Maassen nicht: Er findet sie anachronistisch. Doch es gibt Alternativen.

In diesen Monaten ist es in vielen Unternehmen Zeit für die jährlichen Mitarbeitergespräche. Einmal im Jahr wird Bestandsaufnahme gemacht, werden Zielerreichung und Aufgabenerfüllung besprochen, Leistungsprämien und Boni verteilt und über Entwicklungsmaßnahmen entschieden. Was auf den ersten Blick als Ausdruck moderner Führung daherkommt, entlarvt sich bei näherem Hinsehen als anachronistisches Instrument hierarchischer Führung aus dem Ende des vergangenen Jahrhunderts.

Führungskraft als Richter

Das Ziel der Jahresgespräche besteht im Kern in der Bestandsaufnahme der Leistung – und in vielen Unternehmen auch des Potenzials – des jeweiligen Mitarbeiters. Damit weist das Instrument den Beteiligten klare Rollen zu: der Führungskraft die des Bewerters oder Richters, dem Mitarbeiter die Rolle des Bewerteten, bis hin zum Angeklagten. Daran ändert sich auch wenig, wenn moderne Gesprächsleitfäden eine Vorgesetztenbewertung vorsehen, wie sie doch in einigen Unternehmen heute üblich ist. Die Rollen bleiben klar verteilt und passen so gar nicht zur Vorstellung der Führungskraft als Befähiger und Coach. Da soll also das ganze Jahr über die Führungskraft im kontinuierlichen Dialog mit den Mitarbeitern sein, sie eng begleiten und coachen und einmal im Jahr kommt dann die große Abrechnung. Kein Wunder, dass weder bei Mitarbeitern noch bei Führungskräften die Jahresgespräche besonders beliebt sind.

Mit der Beurteilung der  Leistung durch die Führungskraft wird in der Rückschau quasi das Jahreszeugnis erstellt. Da viele dieser Beurteilungsinstrumente direkt an ein Prämien- oder Bonussystem gekoppelt sind, wird die Gesamtleistung dabei häufig auf eine Punktezahl oder eine Prozentangabe reduziert, qualitative Aspekte bleiben dann besonders gern auf der Strecke. Besser machen es die Unternehmen, die auf eine Koppelung an den Bonus verzichten und stattdessen mehr Wert auf die qualitative Bewertung von Leistung und Potenzial  legen.

"Gespräche" als verschriftete Abrechnungsform

Viele Experten sind sich darin einig, dass es bei guter Führungsleistung eigentlich kein Jahresgespräch bräuchte, da Führungskraft und Mitarbeiter im dauernden Dialog  sind. Da aber nun bekanntlich nicht alle Führungskräfte in der Lage sind ihren eigentlichen Job, Führung, auch auszufüllen, hat sich das Jahresgespräch als verschriftete Abrechnungsform etabliert.

Die Schwierigkeiten von Beurteilungs- und Mitarbeitergesprächen sind dabei hinlänglich bekannt. Ich möchte hier nur einen Aspekt herausgreifen – und zwar einen, bei dem ich durchaus eine positive Entwicklung sehe: die Uneinheitlichkeit der Bewertungskriterien und Messgrößen. Vor Jahren wurden umfangreiche Aufgaben- und Zielkataloge erstellt und bewertet werden, bei denen sich jedoch unterjährig so viele Rahmenbedingungen geändert hatten, dass eine Bewertung kaum zu leisten war.

Heute  werden in vielen gut geführten Unternehmen Kompetenzmodelle verwendet, um einheitliche Maßstäbe für die Ausrichtung des persönlichen Verhaltens und zur Messung der Stärken und Schwächen auf  Kompetenzebene leisten zu können. Die Messung der Kompetenzen kann dann durch Selbsteinschätzung des Mitarbeiters, durch Bewertung seiner Kollegen, Kunden und etwaiger weiterer Stakeholder und dann natürlich der Führungskraft erfolgen. Auch werden zunehmend objektive Testverfahren zur Kompetenzmessung eingesetzt. Das Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter bekommt so eine andere Dimension, da statt Richterurteil die Kompetenzerweiterung im Mittelpunkt steht.

Alternativen: wöchentliches Feedback, Peer Review

Einige Unternehmen verabschieden sich mittlerweile ganz von den Jahresgesprächen. So hat  Deloitte beispielsweise das Jahresgespräch und 360-Grad-Feedback komplett abgeschafft. Heute sprechen die Führungskräfte wöchentlich mit den Mitarbeitern und analysieren den Stand anhand kurzer differenzierter Fragen.

In vielen Start-Up-Unternehmen hat sich das Peer-Review als Ablöse des Jahresgesprächs durchgesetzt. Es entspricht dem Anspruch der nachwachsenden Generation auf schnelles und unmittelbares Feedback. Über Smartphone und PC können Mitarbeiter ihren Kollegen Feedback geben und Anerkennung wie bei Facebook über einen "Daumen hoch"-Button verteilen. Objektiver als das Vorgesetztengespräch? Experten zweifeln daran. Aber zumindest ermöglicht es eine zusätzliche Komponente in der Bewertung von Mitarbeiter- und Teamerfolg.

Plädoyer für gemeinsame Verantwortung

Mein persönliches Plädoyer in Sachen Beurteilungsgespräche geht in die Richtung einer stärker gemeinsamen Verantwortung der beiden Gesprächspartner. In ihrer Rolle als Coach soll die Führungskraft laufend im Gespräch mit dem Mitarbeiter dessen Beitrag zur Zielerfüllung analysieren und konkrete Hilfestellungen geben, wie es noch besser gehen kann. Im Gegenzug hat der mündige Mitarbeiter das Recht und die Verpflichtung der Führungskraft Feedback darüber zu geben, wie er die Führungsleistung erlebt und wo er sich eine bestimmte Veränderung im Umgang erwartet. Das ist alles nicht neu, aber wie so oft in den Fragen der Personalentwicklung: Entscheidend ist am Ende, ob und wie es gelebt wird. Eine gute Personalabteilung wird deshalb  zur Unterstützung  geeignete Gesprächsleitlinien und Dokumentationsformulare  entwickeln. Dies sollte aber mit dem Ziel geschehen, dass diese Dokumente nicht im Vordergrund stehen, sondern lediglich Unterstützungsfunktion haben und am besten, mit einer Verbesserung der Führungs- und Vertrauenskultur, auch wieder abgeschafft werden.

Kolumnist Oliver Maassen

Oliver Maassen ist seit 2013 Geschäftsführer der Pawlik Consultants GmbH. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand und Personalchef der Unicredit Bank. In seinen früheren Funktionen verantwortete er die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Führungstrainings, Personalmarketing und Talent Management.