Kolumne: Lego-Spielen in der Personalauswahl

Mit psychologischen Fakten und einer großen Portion bissigem Humor klärt Professor Uwe P. Kanning in seiner Kolumne über Mythen und Missstände im Bereich der Führung, Personalauswahl und Personalentwicklung auf. Heute verrät er uns, was ein Bauwerk aus Lego-Steinen über das Wesen eines Bewerbers aussagen kann.

Die Personalauswahl ist seit jeher ein Feld, in dem Küchen-Psychologen ihren wildesten Phantasien freien Lauf lassen können. Erkennt man nicht schon an der Art und Weise, wie ein Bewerber aus dem Auto aussteigt, welcher Typ Mensch er ist? Warum setzt sich ein Bewerber mit dem Rücken zum Fenster in den Besprechungsraum? Hat er vielleicht einen ausgeprägten Fluchtinstinkt? Kann jemand ein guter Außendienstmitarbeiter werden, wenn er nicht einmal weiß, wie viele Murmeln in die Elbphilharmonie gehen?

Früher oder später gehen aber auch dem kreativsten Hobby-Diagnostiker die Ideen aus und er fängt an, sich zu langweilen. Das ist schlecht, denn in erste Linie soll seine Arbeit ja Spaß machen. Das ist auch der Grund dafür, warum er so ungern mit Interviewleitfäden arbeitet. Wer will schon fünfmal am Tag dieselbe Frage stellen? Kein Ingenieur käme auf die Idee, bei jedem Brückenbau die Statik zu berechnen – viel zu öde! Kein Arzt würde bei jedem Patienten Anamnese-Daten aufnehmen – da käme nicht die geringste Begeisterung auf.

Lego-Bauweise offenbart Stärken und Schwächen der Bewerber

Wie gut, dass hier versierte Berater gern in die Bresche springen und sich immer wieder neue lustige Methoden ausdenken. Eine Idee, die besonders viel Unterhaltung verspricht, ist der Einsatz von Lego-Steinen in der Personalauswahl. Kein Witz, das gibt es wirklich!

Statt den Bewerber zu fragen, wie er seine Zukunft sieht, legt man ihm einfach eine paar Dutzend Steine auf den Tisch und bittet ihn, das Ganze baulich in Szene zu setzen. Absolventen von Waldorfschulen mögen hier ein klein wenig im Vorteil sein, sagt man ihnen noch nach, notfalls auch ihren Namen im Ausdruckstanz darstellen zu können. Aber mit diesen kleinen Schwächen muss man halt leben als Pionier, der unbekanntes Terrain betritt.

Schwieriger wird die Aufgabe, wenn es darum geht, die eigenen Stärken und Schwächen im Lego-Wunderland auszudrücken. Aber das ist ja nicht das Problem des Diagnostikers. Er ist nur für die Aufgaben und nicht für deren Lösung zuständig. Bei schweren Aufgaben trennt sich bekanntlich im Bewerberfeld schnell die Spreu vom Weizen.

Darstellung von Ödipus-Komplex und flachen Hierarchien

Besonders effizient lässt sich die Auswahl gestalten, wenn man mehrere Bewerber auf einmal einlädt. Gemeinsam sollen sie vielleicht die visionäre Zukunft des Unternehmens aufbauen. Hier zeigt sich dann gleich, wer die roten Lego-Steine hortet (ausgeprägter Ödipus-Komplex), wer immer nur gerade Linien bevorzugt (als Kleinkind zu früh vom Töpfchen genommen) oder den anderen immer sagen will, was richtig und falsch ist (zu starkes Über-Ich).

Mutige Arbeitgeber empfangen den Bewerber am besten im Strampelanzug und führen das Interview konsequenterweise kriechend auf der Auslegeware. So wird auch gleich noch die Unternehmenskultur der flachen Hierarchien direkt haptisch erlebbar. Auf diesem Wege prägt sich die DNA des Unternehmens ganz subtil und unauslöschlich in das Unterbewusstsein des Bewerbers ein. Etwaige Anpassungsschwierigkeiten in den ersten Wochen nach der Einstellung mag es zwar noch geben, wenn die Novizen feststellen, dass jenseits der Personalabteilungen der aufrechte Gang bevorzugt wird. Aber das sollte niemanden davon abhalten, das einzig Richtige zu tun.

Vorgestanzte Fragen versus Überraschungselement

Der diagnostische Vorteil eines solchen Vorgehens liegt auf der Hand: Bewerber können sich nicht mit vorgestanzten Antworten durch das Vorstellungsgespräch mogeln. Das Überraschungselement der Methode reduziert zudem die Selbstkontrolle der Bewerber und ermöglicht einen direkten Zugang zur dunklen Seele der Kandidaten. Kritiker mögen einwenden, dass vorgestanzte Antworten ja eigentlich nur dann zu erwarten sind, wenn die Interviewer vorgestanzte Fragen stellen. Und wer die Selbstkontrolle der Bewerber aushebeln möchte, sollte sie doch besser gleich unter Drogen setzen. Ja, das stimmt sicherlich. Aber all dies bereitet bei Weitem nicht so viel Spaß wie das Spielen mit Lego-Steinen! Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder ...


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.