Kolumne Leadership: Wenn Hannibal die Hosen voll hat

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Wie selbstsicher müssen Leader sein?

Man stelle sich vor, Hannibal steht 218 v. Chr. mit seinen Elefanten vor dem Alpenmassiv und ruft seinen Soldaten zum Ansporn zu: "Folgt mir! Ich kenne den Weg zwar nicht, habe sowas noch nie gemacht, bin in Hanglagen nicht schwindelfrei und mir auch nicht sicher, ob die ganze Anstrengung lohnt und was wir am Ende davon haben. Dennoch: Beherzt voran!".

Wären seine Krieger ihm gefolgt? Wohl eher nicht. Denn wer folgt schon gerne Menschen, die der Aufgabe nicht gewachsen, unschlüssig und unfähig scheinen? Doch auch umgekehrt gilt: Wer geht schon voran, wenn er sich seiner Sache und seiner selbst nicht sicher ist? Keine Frage also: Leader müssen selbstsicher sein!

Selbstsicherheit täuscht häufig

Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Denn Selbstsicherheit täuscht häufig. Man selbst täuscht sich über das, was man wirklich weiß und kann. Andere wiederum halten die Selbstsicherheit für Kompetenz, folgen im guten Glauben, dass da jemand einlöst, was sie oder er ausstrahlt – und werden enttäuscht.

Das Problem dahinter ist: Selbstsicherheit und Selbstüberschätzung trennt nur ein schmaler Grat. Und Selbstüberschätzung lässt sich auf den ersten Blick von Selbstsicherheit kaum unterscheiden. Im Führungskontext geschieht beides besonders häufig und richtet großen Schaden an.

Zum Glück ist dieses Phänomen recht gut erforscht. Es wird in der Psychologie als "overconfidence" bezeichnet und ist - bei Männern häufiger als bei Frauen – ziemlich weit verbreitet. Es liegt in drei Ausprägungen vor:

  • Die Person überschätzt die eigene Leistung(sfähigkeit).
  • Die Person hält fälschlicherweise die eigene Leistung(sfähigkeit) für besser als die von anderen.
  • Die Person überschätzt das eigene Wissen, ihr fehlt das Gespür dafür, was sie alles nicht weiß.

Was "overconfidence" im Führungskontext anrichtet

Gerade bei Führungspersönlichkeiten kommt "overconfidence" häufig vor. Das hat zwei Ursachen. Zum einen ist da die Sache mit Hannibal: Zum Leader wird in der Regel, wer Selbstsicherheit ausstrahlt. Das ist übrigens gerade in Gruppen, die von keiner formalen Führungskraft geführt werden und sich selbst organisieren, schnell der Fall. Ein zusätzlicher Treiber unserer Zeit sind soziale Medien, die dem "impression management" von Leadern und solchen, die es werden wollen, eine willkommene Bühne bieten und ihr Selbstwertgefühl mit "Likes" befeuern.

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Der zweite Grund: Wer in Führungsrollen Erfolge einheimst, bei dem wächst die Selbstsicherheit und die Neigung, die Erfolge vor allem auf die eigene Leistung zurückzuführen. Damit wächst die Illusion, alles zu wissen und zu können. Wer noch dazu unkritische Follower hat, dem steigt dieser Zuspruch schnell zu Kopf. Die Gefahren sind gerade im Führungskontext beträchtlich: Leader, die sich selbst überschätzen, treffen falsche Entscheidungen, wählen riskante Strategien, wagen Alleingänge, zeigen sich beratungsresistent und unwillig, dazuzulernen. Ein Beispiel für solche Hybris, mit dem ich mich in dieser Kolumne bereits auseinandergesetzt habe, ist der amerikanische Ex-Präsident Donald Trump.

Was tun gegen Selbstüberschätzung?

Was aber kann man dagegen tun? Gottlob eine ganze Menge. Wichtig dabei ist: Dieser Selbstüberschätzung vorzubeugen, ist Aufgabe sowohl derjenigen, die in Führung gehen wollen oder führen sollen, als auch derjenigen, die bereit sind, ihnen zu folgen. Denn, wie gesehen, haben "Follower" einen erheblichen Anteil daran, ob sich bei Führenden Selbstüberschätzung ausbildet oder hält.

Darum hier ein kleines ABC des Führens und Folgens, das der Gefahr der Selbstüberschätzung und Täuschung vorbeugt. 

  • Kompetenz im konkreten Kontext ist die Messlatte, wenn jemand führen soll und andere bereit sind zu folgen – nicht das selbstsichere Auftreten, mit der diese Kompetenz gegebenenfalls nur vorgetäuscht wird.
  • Dazu braucht es möglichst objektive Kriterien, wie diese Kompetenz zu beurteilen ist – und Skepsis gegenüber jeder Form von "impression management" sowie der Verherrlichung von "Charisma". An diesen harten Kriterien muss bemessen werden, ob jemand führt und ob es lohnt, dieser Person zu folgen.
  • Dazu bedarf es einer Kultur, in der Expertise großgeschrieben wird und Bescheidenheit, Selbstkritik und konstruktives Feedback zum guten Ton gehören. 
  • Wer führt, sollte fortwährend reflektieren (idealerweise auch mit internen wie externen Sparringspartnern), was sie oder er wirklich kann und leistet und was nicht.
  • Wer folgt, sollte bereit sein, den Führenden auch kritisches Feedback zu geben und selbst in Führung zu gehen, wo sie oder er glaubhaft macht, es besser zu können.

Wo Selbstsicherheit nottut und wo sie schadet

Wer nun aber glaubt, Zögern und Zaudern gehöre zur Führungsrolle der Zukunft, der irrt! Die beschriebene Vorsicht, Skepsis und Selbstkritik sind vor allem dort angeraten, wo es darum geht, eine Führungsrolle zu beanspruchen oder weitreichende Entscheidungen zu treffen. Wenn es aber darum geht, getroffene Entscheidungen mit anderen beherzt umzusetzen und diesen ein gutes Gefühl zu geben, das Richtige zu tun und dabei auch Erfolge zu erzielen, dann ist Selbstsicherheit für die, die vorangehen und andere dabei mitnehmen nach wie vor angezeigt. 

Anders ausgedrückt: Hannibal sollte auch heutzutage nicht die Hosen voll haben und von Selbstzweifeln geplagt sein, wenn er zigtausend Gefolgsleute und 37 Elefanten über die Alpen lotst!


Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen und Organisationen, die etwas bewegen und in Führung gehen wollen.

Schlagworte zum Thema:  Leadership, Strategie, Mitarbeiterführung