Kolumne Leadership: Kontrolle im Homeoffice

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Soll man Mitarbeiter im Homeoffice kontrollieren?

Es ist soweit: Der zweite Lockdown legt weite Teile des Landes lahm. Wo immer möglich, arbeiten Menschen wieder von zu Hause. Wir haben langsam etwas Übung darin, doch manche Fragen bleiben. Zum Beispiel jene, inwieweit es geboten und sinnvoll ist, zu überprüfen, was Mitarbeiter so im Homeoffice treiben.

Für eine solche Überprüfung kann es (abseits von arbeitschutzrechtlichen Fragen) in meinen Augen eigentlich nur einen Anlass geben: Abgesprochene und erforderliche Leistungen werden unzureichend oder gar nicht erbracht. Dieses Problem kennen wir durchaus auch aus der analogen Zusammenarbeit in unseren Büros.

Homeoffice: Virtuelle Zusammenarbeit potenziert Herausforderungen

Allerdings verschärft die virtuelle Zusammenarbeit die Lage. Die Möglichkeit, die Kollegen unaufdringlich aus dem Augenwinkel zu beobachten und die Gründe für die unzureichende Arbeitsleistung herauszufinden, entfällt. Stattdessen führen die Distanz zueinander und die selteneren Begegnungen dazu, dass mehr spekuliert wird.

Die Kollegin beantwortet ihre Mails so spät, geht die spazieren? Der Kollege ist so kurz angebunden. Der ist wahrscheinlich wieder eingeschnappt. Alle diese Annahmen können falsch sein. Aber wo die Evidenz durch Schulterblick fehlt, bestimmen sie unser Denken.

Daraus folgt: Führen und Folgen in virtuellen Umgebungen fordert uns noch mehr als im Büro. In meinem Kolumnenbeitrag unter dem Titel "Das Geheimnis der virtuellen Führung" hatte ich das bereits ausgeführt. Aber das sozialpsychologische Fundament, auf dem Zusammenarbeit gelingt, ist im digitalen Umfeld kein anderes als im analogen.

Misstrauen ist das Problem, nicht Kontrolle

Mit Blick darauf gilt: Kontrolle ist nur dann ein Problem und demotiviert, wenn sie aus Misstrauen geschieht. Kontrolle, die dem Arbeitsfortschritt dient, sollte in funktionierenden, sich vertrauenden und aufeinander eingestellten Teams kein Problem sein. Dort, wo der Verdacht auf Minderleistung besteht, ist die Lage allerdings heikler.

In virtuellen Umgebungen gilt in diesem Fall für mich Folgendes:

  • Hinterfragen Sie, bevor Sie aktiv werden, ob die vermutete Minderleistung wirklich objektiv festzustellen ist oder ob Ihr Kontrollbedürfnis eigentlich aus anderen Quellen herrührt (Verärgerung, Neugier, Informationsbedarf)!
  • Achten Sie beim Nachfragen, wie es um die Erledigung der Aufgaben steht, auf Ihre Worte: Untersuchungen haben gezeigt, dass gerade im digitalen Umfeld Lob weniger intensiv als im analogen erlebt wird, dafür Kritik umso heftiger.
  • Eliminieren Sie nach Möglichkeiten alle Signale, die Misstrauen ausdrücken! Nachfragen kann auch aus Interesse oder Mitgefühl geschehen. Sie können herausstreichen, dass Sie gewisse Informationen benötigen. Oder dass Sie gerne unterstützen würden, aber nicht wissen wie.
  • Machen Sie allen klar, dass Ihre Intervention vor allem im Dienste der gemeinsamen Sache und des Teams steht. Denn alle sind aufeinander angewiesen und alle haben dasselbe Ziel.

Daraus ergeben sich drei Grundsätze, wie bei virtueller Zusammenarbeit der Bedarf an Kontrolle im demotivierenden Sinne minimiert und ihre Ausübung optimiert werden kann. Denn eine Welt ohne Kontrolle ist weder lebenspraktisch noch aus Sicht der Teamperformance und Zielerreichung denkbar und wünschenswert.

Grundsatz 1: Vertrauen schaffen und verteidigen

Das bedeutet: Arbeiten Sie an einer stabilen Vertrauensbasis im Team. Das vorzuleben und bewusst zu machen, ist Aufgabe formaler Führungskräfte. Damit diese Basis aber entsteht, müssen alle Vertrauen schenken und alle Vertrauen gewinnen. Beides leidet, wenn einzelne sich nicht an Absprachen halten, Trittbrett fahren oder Leistung nicht bringen. Hier zu intervenieren, ist ein Muss. Dazu sollte sich übrigens jeder im Team berufen fühlen. Das nur an die formale Führungskraft zu delegieren, zeugt von wenig Reife in der Zusammenarbeit.

Grundsatz 2: Bewusster und sensibler kommunizieren und bewerten

Das heißt: Machen Sie sich die oben beschriebenen Risiken der "falschen Attribution" (Spekulation über Ursachen von Verhalten, wo Informationen fehlen) und der geminderten oder gesteigerten Wirkung von Botschaften im virtuellen Umfeld klar. Formulieren Sie sensibler und bewerten Sie Verhalten und Situationen erst dann, wenn Sie ausreichend Informationen gesammelt haben, die die Lücke zum Augenschein im Büro schließen.

Grundsatz 3: Gemeinschaft stärken und Transparenz schaffen

Hier liegt der eigentliche Schlüssel: Der virtuelle Raum sorgt dafür, dass Hierarchien eingeebnet werden (denn Statussymbole und Statussignale lassen sich in Chatverläufen und gleichgroßen Zoom-Fenstern schwerer vermitteln). Außerdem müssen Absprachen und Regeln noch klarer getroffen werden (weil man sich nicht über die Schulter sehen, Dinge im Vorübergehen zurufen und weil man nicht im Gesicht seines Gegenübers lesen kann).

Wer isoliert vom heimischen Rechner mit anderen zusammenarbeitet, braucht maximale Transparenz, was wann von wem erwartet wird, wann man sich wie abspricht, was Meilensteine und Termine sind, wann jemand erreichbar ist – und ja, warum jemand sich verhält, wie er sich verhält (am Vormittag keine Videokonferenzen zusagt, weil das Kind mit der Lehrerin zoomt).

Diese Transparenz und Struktur gilt es, idealerweise sogar aus der Gruppe heraus, herzustellen. Kontrolle und Führungsarbeit verlagern sich dann in den Alltag der Gruppe, verlieren ihren disziplinarisch-weisungsbefugten Anstrich und werden zu einer Sache, die jede und jeder im Team übernimmt und der sich jeder und jede im Team unterwirft.

Jeder muss führen und folgen - so hatte ich das an anderer Stelle bereits genannt. In der Zusammenarbeit von heimischen Rechnern aus wird dieser Imperativ drängender denn je.


Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen in Organisationen und auf Märkten, dank ihres Wissens und ihrer Ideen in Führung zu gehen.


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