Kolumne Leadership: Führen als Paartanz

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Woran scheitern Doppelspitzen?

Das schien Wasser auf meine Mühlen: Im Oktober des vergangenen Jahres verkündete SAP, dass man die Konzernleitung einem Tandem aus der Amerikanerin Jennifer Morgan und dem Deutschen Christian Klein anvertraue. Damals hatte ich gerade an dieser Stelle meine Kolumne "Alternativen zur One-Man Show" veröffentlicht und heftig bedauert, dass ich dieses Beispiel nicht mehr in den Text aufnehmen konnte. Zeigt es doch, dass es gute Gründe geben kann, Führung auf mehrere Schultern zu verteilen.

Knapp ein halbes Jahr später ist die Doppelspitze schon wieder Geschichte. Jetzt scheint der Ansatz diskreditiert. Doch ist er das wirklich? SAP jedenfalls begründete den Abgang von Co-CEO Jennifer Morgan und die Einsetzung von Christian Klein als Alleinherrscher mit den Worten: "Mehr denn je verlangt die aktuelle Situation von Unternehmen schnelles, entschlossenes Handeln und eine klare, hierbei unterstützende Führungsstruktur."

Zwei Kapitäne nur auf ruhiger See?

Ist verteilte Führung also nur etwas für Schönwetterkapitäne auf ruhiger See? Daran darf man zweifeln. Was also sagt die Forschung dazu? Und was meint der praktische Verstand? Letzerer sagt mir: Wenn Doppelspitzen scheitern, kann die Ursache auf zwei Ebenen gesucht werden. Erstens: in der Persönlichkeit des Managers. Zweitens: im Zusammenspiel der Akteure.

Betrachten wir daher den persönlichen Faktor. Woran Manager scheitern, erklärt uns die "Derailment"-Forschung. Eine schöne Zusammenfassung des Forschungsstands hat auf dieser Website bereits der Osnabrücker Wirtschaftspsychologe Professor Dr. Uwe P. Kanning gegeben (Derailment – Wenn Manager aus dem Ruder laufen, 2014). Er sieht fünf große Ursachenkomplexe:

  • Defizitäre Managementskills (ineffektiv entscheiden, planen, beratschlagen),
  • Autoritärer Führungsstil (andere einschüchtern, einschränken),
  • Soziale Inkompetenz (Distanz, Arroganz, Beziehungsschwäche),
  • Persönlichkeitsschwächen (impulsiv, rigide, sprunghaft),
  • Persönlichkeitsstörungen (Narzissmus, Machiavellismus, Psychopathie).

Nichts davon scheint beim Wachwechsel der SAP eine Rolle gespielt zu haben. Dafür mehren sich die Hinweise, dass die Probleme eher im Zusammenspiel lagen. Es wird in Presseberichten auf Meinungsunterschiede in Sachen Integration amerikanischer Tochterunternehmen und Verteilung von Entwicklerressourcen verwiesen.  

Wann Doppelspitzen Sinn ergeben

Das darf nicht überraschen. Gerade wegen der unterschiedlichen Perspektiven, die Entscheidungen befruchten, werden Doppelspitzen oft erst eingerichtet. So lassen sich aus Studien, die die kanadischen Managementforscher Jean-Louis Denis, Ann Langley und Viviane Sergi ausgewertet haben ( Leadership in the Plural, 2012), folgende Kriterien entnehmen, wann Doppelspitzen Sinn ergeben:

  • Wenn hohe Unsicherheit in Strategiefragen herrscht und die Zusammenhänge komplex sind.
  • Wenn in einer heterogenen Organisation unterschiedliche Gruppen repräsentiert sein wollen und unterschiedliche Kulturen/Denkstile versöhnt werden müssen.
  • Wenn sich im Alltag bereits Führungsteams herausgeschält haben, die auch an der Spitze bestehen können.
  • Wenn sich die Partner an der Unternehmensspitze gegenseitig stützen und ergänzen können.

Manches davon dürfte auch bei SAP der Fall gewesen sein. So gilt es auch in Walldorf, Amerikaner mit Europäern zu versöhnen, Vertrieb mit Entwicklung, Cloud-Technologie mit On-Premise-Lösungen. Von hoher Komplexität darf man ausgehen. Und Unsicherheit in Fragen der richtigen Strategie sind in VUKA-Welten schon fast eine Selbstverständlichkeit.

Wann Doppelspitzen gelingen

Wenn dennoch Meinungsverschiedenheiten und Entscheidungsdruck die Wirksamkeit der Führungsspitze beeinträchtigen, dann droht das Führungspaar eher Pogo (den aggressiven Punk-Tanz) als Tango (den leidenschaftlichen Paartanz) aufzuführen. In diesem Fall lohnt ein Blick in die Liste der Faktoren, die zum Gelingen des Zusammenspiels im Führungsduo beitragen.

Es sind dies:

  • Eine Verteilung von Rollen, die klar voneinander abgegrenzt sind und auf unterschiedlichen Expertisen beruhen.
  • Ein ausgeprägtes Bewusstsein der Akteure, dass man voneinander abhängt und aufeinander angewiesen ist.
  • Ein tiefes Vertrauen ineinander, Wertschätzung und Wohlwollen füreinander.
  • Ein klares Bekenntnis zu einer gemeinsamen Vision.
  • Die fortwährende Arbeit an der Beziehung (und an den sie belastenden Meinungsunterschieden).
  • Die Einbeziehung Dritter zur Moderation im Konfliktfall.
  • Die Delegation von Entscheidungen an andere, wenn keine Einigung möglich scheint.
  • Der sensible und diskrete Umgang mit kognitiven und emotionalen Konflikten im Führungsduo.

Woran immer es bei SAP gehakt haben mag: Diese Liste sollten sich alle Unternehmen vor Augen führen, die eine Doppelspitze einsetzen wollen. Ebenso sollten sie all jene Paartänzer auf der Kommandobrücke im Blick behalten, die die Vorteile der Doppelspitze für das Unternehmen heben wollen.

Die Voraussetzungen, dass Doppelspitzen funktionieren, sind jedenfalls nicht so abgehoben, als dass sie im Managementalltag nicht realisiert werden könnten. Selbst in einer Krise.


Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen in Organisationen und auf Märkten, dank ihres Wissens und ihrer Ideen in Führung zu gehen.

Schlagworte zum Thema:  Leadership, Mitarbeiterführung