Kolumne Leadership: Die Kultur bestimmt, wie Führung gelingt

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Worin unterscheidet sich Führung weltweit?

Wir neigen dazu, Fragen des Führens und Folgens durch die Brille zu betrachten, die Menschen in unseren Breitengraden und mit unserem sozialen Hintergrund eben auf der Nase haben. Doch das springt zu kurz. Was wir für gut und richtig beim Führen und Folgen halten, hängt stark von unserer kulturellen Prägung ab. Unterschiedliche Länder haben da unterschiedliche Vorstellungen. Darauf hat schon früh der niederländische Sozialpsychologe Geert Hofstede aufmerksam gemacht.

Dimensionen zur Kulturbeschreibung nach Hofstede

Am Beispiel von Hofstedes Kriterium "power distance", also der Frage, wie viel Abstand und Überlegenheit Untergebene von ihren Vorgesetzten erwarten, habe ich das in dieser Kolumne schon früher einmal aufgegriffen (mehr dazu lesen Sie hier). Doch mit diesem Kriterium allein ist der kulturelle Hintergrund des Führens und Folgens noch nicht vollumfänglich beschrieben. Hofstede unterscheidet insgesamt sechs Kulturdimensionen, die alle auf das Führen und Folgen einwirken. Es handelt sich dabei um die unterschiedliche Ausprägung von:

  • Machtdistanz (Ungleichheit zwischen Führenden und Geführten)
  • Kollektivismus oder Individualismus (Wir-Orientierung oder Ich-Orientierung) 
  • Maskulinität oder Feminität (Rollenteilung zwischen den Geschlechtern, Dominanz femininer oder maskuliner Werte, Ideale)
  • Unsicherheitsvermeidung (Intensität von Planung, Risikovermeidung, Fehlervermeidung etc.)
  • Langzeit- vs. Kurzzeitorientierung (mit Blick auf Beziehungen, Strategien etc.)
  • Genuss vs. Zurückhaltung (Ausleben eigener Bedürfnisse, Selbst-Entfaltung und Optimismus vs. Anpassung an übergeordnete Vorgaben und Erwartungen).

Spannungsfelder interkultureller Zusammenarbeit nach Meyer

Die weltweit größte Erhebung zu Fragen der Führung, die sogenannte GLOBE-Studie, baut in vielen Punkten auf Hofstedes Vorarbeiten auf. Ein neuer, praxisnaher Ansatz zur interkulturellen Führungsforschung stammt von Erin Meyer. Die Management-Professorin im Organisational Behaviour Department an der INSEAD Business School in Paris hat jüngst eine Systematik vorgeschlagen, die für mich zweierlei leistet: Zum einen umreißt sie gut, auf welchen Ebenen sich eigentlich in unterschiedlichen Kulturen Führen und Folgen bewähren muss. Zum anderen liefert sie ein praktisches Analyseinstrument, um Spannungen in internationalen Teams und Kontexten auf den Grund zu gehen.

Japan und Deutschland im Vergleich

An der Gegenüberstellung zweier sehr unterschiedlicher Kulturen, nämlich Deutschland und Japan, lässt sich das anschaulich zeigen. Meyers acht Kriterien zur Bewertung interkultureller Spannungsfelder mit Blick auf Führung und Zusammenarbeit sind:

  • Kommunizieren: Werden Botschaften sehr direkt ausgesprochen ("low context") oder eher in größere Zusammenhänge eingebettet und müssen "zwischen den Zeilen" entschlüsselt werden ("high context")? Extrem direkt kommunizieren dabei Deutsche, extrem verklausuliert dagegen Japaner.
  • Beurteilen: Wird negatives Feedback direkt und unverblümt gegeben oder eher indirekt angedeutet und behutsam verpackt? Auch hier stehen Deutschland und Japan an den entgegengesetzten Enden der Skala.
  • Überzeugen: Wird eine klare Empfehlung vorangestellt und dann hergeleitet oder wird mehr Wert darauf gelegt, Rahmen und Kontext auszubreiten, auf der eine Empfehlung basiert? Deutschland und Japan bilden auch hier Gegensatzpole.
  • Führen: (da für mich alle genannten Punkte Facetten des Führens und Folgens sind, würde ich von "Interagieren" sprechen): Sind Führende eher Erste unter Gleichen oder eher ranghohe Vorgesetzte? Deutschland läge auf dieser Skala in der Mitte, in Sachen "Power Distance" stellen Japan und China bei Meyer das Extrem dar.
  • Entscheiden: Werden Entscheidungen eher im Konsens oder eher von oben herab getroffen? Hier dreht sich das Bild: Japan wäre hier ganz auf der Konsensseite, Deutschland eher in der Mitte der Skala.
  • Vertrauen: Gründet das Vertrauen in andere eher auf ihrer Verlässlichkeit in der Ausführung von Aufgaben am Arbeitsplatz oder eher in einer gewachsenen Beziehung, die sich auf allen Ebenen im Beruflichen wie Privaten langsam ausbildet? Deutsche neigen eher zu ersterem, Japaner zu letzterem.
  • Widersprechen: Wird Einspruch eher konfrontativ oder eher behutsam erhoben? Wenig überraschend gilt für Deutschland und Japan hier dasselbe wie beim Kommunizieren, Beurteilen und Überzeugen.
  • Terminieren: Wird Zeit auf exakte Punkte reduziert (und damit Pünktlichkeit zur Tugend) oder wird sie eher als Zeitspanne aufgefasst (die flexibel ausgelegt wird)? Deutsche sind hier der Inbegriff einer Pünktlichkeits-Kultur, Japaner stehen ihnen in dieser Hinsicht in wenig nach, dafür wären Chinesen am anderen Ende der Skala eher Verfechter einer flexiblen Auslegung von Zeitangaben.

Führung ist komplex, den Rahmen bestimmen die Geführten

Wer also in fremden Kulturen führt, ist gut beraten, sein Handeln nach diesen Kriterien und den kulturellen Normen seines Umfelds auszurichten. Aber auch, wer Menschen unterschiedlicher Nationalität und kultureller Prägung in seinem Team hat, muss sich mit diesen Unterschieden befassen. Die Beschäftigung damit lohnt aber in jedem Fall. Sie öffnet die Augen für die Komplexität des Führens und Folgens. Und sie hilft, das eigene Verhalten zu hinterfragen und nicht nur darauf auszurichten, was den eigenen Idealen und Vorstellungen entspricht – sondern vielmehr auf die Erwartungen derer, die folgen sollen.


Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen und Organisationen, die etwas bewegen und in Führung gehen wollen.