Kolumne E-Learning: Kompetenzkatastrophe in der Weiterbildung

Was gibt's Neues auf dem E-Learning-Markt? Unsere E-Learning-Expertin Gudrun Porath analysiert in ihrer Kolumne den Markt. Heute: Zwei Weiterbildungsexperten rufen die "Kompetenzkatastrophe" aus – denn die betrieblichen Weiterbildung setze zu viel auf Wissens- und zu wenig auf Kompetenzvermittlung.

Auch unter Wissenschaftlern gibt es echte Radaubrüder. Aber zu denen gehören die Professoren und Experten für das Kompetenzmanagement John Erpenbeck und Werner Sauter nicht. Nur im vergangenen Jahr ist ihnen wohl der Kragen geplatzt. Sie schusterten schnell ein kleines Büchlein zusammen, das vom Verlag den aggressiven Titel " Stoppt die Kompetenzkatastrophe" verpasst bekam.

Vorwurf: Wissen in Form von "Bulimielernen" abgefragt

Darin beklagen sie, dass in allen Bildungsbereichen, von der Schule über die Hochschule bis zu den Betrieben, immer noch die "skandalös ineffektiven" Methoden des Seminarlernens, häufig in Form von Frontalunterricht, zur Anwendung kämen. Lernen finde Großteils noch immer in abgeschlossenen Schulräumen, Lehrsälen oder Seminarhotels statt, anstatt am Arbeitsplatz, wo man viel mehr lernen könne, wenn man sich daran mache, die echten Herausforderungen des Berufslebens zu bewältigen.

Lernen heißt laut Sauter nach wie vor überwiegend "Wissen pauken". Und dieses Wissen werde dann nach den Prinzipien des Bulimielernens abgefragt: Wissen aufnehmen, in Prüfungen und Klausuren ausspucken – und sofort vergessen. 

Das betriebliche Lernen werde sich, entsprechend der Digitalisierung der Arbeitswelt, radikal verändern. Die Trainer und Personalentwickler seien darauf aber überhaupt nicht vorbereitet. Kompetenzen, die Fähigkeit, selbstorganisiert und kreativ Herausforderungen zu bewältigen, interessiere die meisten Bildungsverantwortlichen nur in Sonntagsreden.

Trainer erreicht nur einen Bruchteil der Lerner

Das Buch, das jetzt im März erschienen ist, ist ein echter Paukenschlag. Es macht auch dem letzten Trainer klar, dass er in seinen Präsenztrainings immer nur einen Bruchteil der Anwesenden erreicht. Entweder er geht zu schnell vor und verwirrt den Rest oder er ist zu langsam und langweilt viele.

Und oft interessieren sich die Teilnehmer nicht für das, was er sagt oder in Rollenspielen einüben lässt, weil sie den Bezug zu ihrer Praxis nicht sehen. "Lernen ist so individuell, dass man es selbst mit dem Konstrukt der Lerntypen nicht erklären kann", warnt Sauter.

Unternehmen ignorieren Lernanforderungen

Lernen gelinge nur in der Form des Selbstlernens. Das setze aber Eigenverantwortung und Selbstorganisation, Lernen in realen Herausforderungssituationen sowie die Anwendung und Bewährung in der eigenen Lebenswelt voraus.

Die heutigen Weiterbildungsmaßnahmen in den Unternehmen ignorierten diese Anforderungen weitestgehend und verhinderten damit die notwendige Entwicklung von Kompetenzen (Wissen wird zum Können).

Das Buch soll die breite Masse wachrütteln. Die Insider der Weiterbildungsbranche sind wahrscheinlich schon alarmiert. Die Geschäftsmodelle von Akademien und großen Trainingsinstituten zeigen Risse: Sie vermitteln zu viel Wissen und zu wenige nachprüfbare Kompetenzen. Doch der Mitarbeiter der Zukunft muss nicht mehr viel wissen. Er sollte Wissen zur Lösung von Herausforderungen methodisch sinnvoll nutzen können. 

Aus Wissensvermittlung wird Kompetenzvermittlung

Wie sich der Fokus von der reinen Wissensvermittlung zur Kompetenzvermittlung verlagert und wie der Arbeitsprozess (auch Dank E-Learning) zum besten Lernfeld aller Zeiten gemacht werden kann, zeigen Erpenbeck und Sauter übrigens in den anderen Büchern, die sie schon (mit-)geschrieben haben.

Wie schön, dass es Autoren gibt, die nicht deshalb provozieren, weil sie berühmt werden wollen, sondern weil es ihnen um die Sache geht: das selbstorganisierte Lernen in Praxisprojekten und mit Mentorenbegleitung.


Hinweis: Mehr zur Diskussion um die "Kompetenzkatastrophe" lesen Sie in Ausgabe 04/2016 der " Wirtschaft + Weiterbildung": Dort schreiben die beiden Buchautoren Werner Sauter und John Erpenbeck über das selbstgesteuerte Lernen per Internet und "Social Workplace Learning" als Alternativen zum fremdbestimmten Pauken.


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