Kolumne E-Learning: Die Aufbruchstimmung ist vorbei

Es sind aufregende Zeiten für Learning and Development Professionals. Die einen wissen kaum, wo sie anfangen sollen, weil der Informationsbedarf zur Digitalisierung so hoch ist. Die anderen freuen sich, dass sie bereits vorgelegt haben. Kolumnistin Gudrun Porath meint: Es gibt viel zu tun und nichts zu überstürzen.

Einst war es Laura Overton mit ihrer – 2017 an Emerald abgegebenen – Organisation "Towards Maturity", die einen Zusammenhang der Effizienz und Wirksamkeit digitalen Lernens und der digitalen Reife einer Organisation herstellte. Overton hatte harte Bretter zu bohren, um Unternehmen davon zu überzeugen, sich an ihren regelmäßigen Umfragen zu beteiligen und wurde nicht müde, ihr Anliegen vor einem breiten Publikum zu vertreten. Bei aller Begeisterung für die neuen Technologien und damit auch das digitale Lernen, spielte in den meisten Unternehmen die Präsenzlehre weiterhin eine große Rolle und es war nahezu bewundernswert, wie Overton nicht müde wurde, von ihren Ergebnissen zu berichten und Überzeugungsarbeit zu leisten.

Beschleunigt Corona den Strukturwandel hin zu digitalem Lernen?

Wie anders ist es jetzt. Im neuen Report des Instituts der deutschen Wirtschaft zum Thema "Berufliche Qualifizierung und Digitalisierung" stellen die Autoren fest, was auch Overton einst predigte. Demnach ist auch hierzulande in der Breite angekommen, dass Unternehmen mit einem höheren Digitalisierungsgrad häufiger als andere Unternehmen ausbilden, mehr Beschäftigte an Weiterbildung teilnehmen und je höher der Digitalisierungsgrad eines Unternehmens ist, umso mehr digitale Medien in der Aus- und Weiterbildung eingesetzt werden. Der Strukturwandel zu digitalem Lernen, formuliert das Institut vorsichtig, scheine durch die Corona-Krise beschleunigt zu werden. Als eine Voraussetzung für das Gelingen dieses Wandels, haben die Autoren des Reports erkannt, braucht das Fachpersonal in Learning and Development (L&D) das entsprechende mediendidaktische Handwerkszeug und Freiräume, didaktische Konzepte zu entwickeln und umzusetzen.

Soweit die Studie, die auf verschiedenen Untersuchungen der letzten Jahre basiert und diese zusammenstellt. Wie sieht die Lage an der Front, also in den Unternehmen aus? Eine Gelegenheit zur Betrachtung boten in den letzten Monaten und jetzt ganz aktuell viele virtuelle Veranstaltungen. Angefangen beim virtuellen Corporate Learning Camp im Frühjahr, über die Online-Konferenz der L&D Pro, auf der viele Anbieter ihre Produkte präsentierten, bis hin zur gerade abgelaufenen ZPE Virtual. Das Interesse des Fachpublikums kann man wohl kurz und knapp mit intensiv und vielfältig bezeichnen. Dabei geht es sowohl um die technische Infrastruktur, die vielerorts noch aufgerüstet werden muss, als auch um die Fähigkeiten des Lehrpersonals, das ebenfalls neue Kenntnisse braucht. Ein Präsenztrainer ist nicht automatisch ein Online-Trainer. Aber er kann es werden, auf die ein oder andere Art. Das Angebot an Weiterbildungen ist groß und von low level bis zur anspruchsvollen Zertifizierung alles dabei.

Mit dem Lockdown kam die Euphorie

Was aber ebenso wichtig in der Gesamtbetrachtung erscheint, ist die Stimmung, die sich langsam verändert. Was waren wir noch euphorisch, als der erste Lockdown die Menschen im Internet zusammentrieb. Für viele war vieles neu und die Bereitschaft, etwas auszuprobieren, war groß. Das beste Beispiel dafür bot das Corporate Learning Camp im Mai 2020, wo die Improvisation professionell und gut betrieben wurde. Nahezu euphorisch warf man sich auf alles, was mit E-Learning zu tun hat.

Die L&D Pro, im Juni als Online-Konferenz durchgeführt, nutzten Hersteller, um ihr Angebot zu präsentieren und zu zeigen, dass sie auch in Sachen Vortrag ihrer Möglichkeiten viel gelernt haben. Im Sommer starteten die ersten Präsenzseminare wieder mit Hygienekonzept und alle konnten etwas durchatmen. Das neue Normal oder "New Normal", zu dem Homeoffice wie digitales Lernen gehören, etablierte sich als Begriff. Die E-Learning Branche selbst war verhalten optimistisch. Wann, wenn nicht jetzt, sollten Unternehmen in E-Learning investieren?

Jetzt sind wir im Herbst und in der zweiten Corona-Welle angekommen. Die Macher der Zukunft Personal, gerade noch rechtzeitig auf den virtuellen Zug aufgesprungen, konnten immerhin 7.140 Fachbesucher, 190 Vorträge und Sessions sowie 146 Aussteller auf ihrer Plattform begrüßen. Doch statt Menschen blinkten Punkte in der Eingangshalle, die der Besucherführung dienten. In der Halle "Learning & Training", die sonst lebendig ist wie keine andere, weil sie eben auch ein Schaulaufen der Trainer mit vielen Live-Aktionen ist, war es still. Na klar, wie soll es auch anders sein, wenn man lediglich einen Aufriss der Stände sieht, der übersichtlich auf den Bildschirm passt. Mit minimalem Einsatz, nur einen Click weit entfernt, schon hatte man einen virtuellen Stand betreten. Kein Mensch weit und breit zu sehen, ein paar virtuelle Standmöbel mit Infomaterial zum Download, vielleicht noch die Möglichkeit zu einem Chat. Effizient ja, praktisch und bequem auch. Aber unterhaltsam und dazu geeignet, mal eben nebenbei oder zufällig neue Erkenntnisse zu gewinnen, weil man gerade vorbeikommt und einem was ins Auge fällt – das geht so nicht.

Mehr Leben für den virtuellen Raum

Auf den Hallenplänen ebenfalls zu sehen waren die Solution Stages, die virtuell bespielt wurden. Mit ausgewählten Vorträgen, die kurz zuvor aufgezeichnet worden waren, ebenso wie mit Live-Workshops auf Adobe Connect als ausgewählte Plattform. Die als Workshop betitelten Veranstaltungen, an denen ich selbst teilnehmen konnte, ob als Gast oder Moderator, waren schnell ausgebucht mit jeweils 100 wissbegierigen Leuten, die alle nicht nur am Austausch, sondern vor allem an ganz konkreten Tipps interessiert waren. Wie genau geht das, eine Learning Journey mit Learning Nuggets gestalten, wollten sie etwa von Roman Rackwitz wissen und es stellte sich heraus, dass 45 Minuten einfach zu kurz sind, wenn die Teilnehmer mehr wissen wollen. Es ist zwar auch schwierig, bei Präsenzvorträgen zu überziehen. Aber es gibt dann doch oft die ruhige Ecke, in der ein gefragter Referent mit vielen Zuhörern steht, um ihre Fragen zu beantworten. So eine Ecke virtuell einzurichten mag gehen, war in diesem Jahr aber noch nicht möglich. 

Durchaus möglich ist es, ein Stimmungsbild einzufangen. Und das ist nicht mehr so hoffnungsvoll und energetisch wie am Anfang der Krise. Wer jetzt in technische Infrastruktur investieren muss, um den Faden in der Weiterbildung der Mitarbeitenden nicht zu verlieren, stellt fest, dass das gar nicht so einfach ist. Im Workshop zu Corporate Learning nach Corona etwa war von Teilnehmern zu hören, dass die E-Learning-Branche es durchaus schwer mache, sich für eine Technologie zu entscheiden. Man habe den Auftrag für ein Lastenheft jetzt an einen Berater vergeben, war mehr als einmal zu hören. Das Angebot sei einfach zu intransparent. Aus anderen Gesprächen im virtuellen Raum war zu entnehmen, dass es gar nicht so einfach sei, eine gute Weiterbildung zum Online-Trainer zu finden. Allgemein ist viel zu tun für L&D und so mancher weiß nicht so richtig, wo er gerade anfangen soll. Oder ob es sich überhaupt noch lohnt, weil es dem Unternehmen gerade schlecht geht und die Aussichten ungewiss sind. 

Doch weder den Kopf in den Sand stecken noch überstürzt handeln sind eine Lösung. Vielmehr sollten wir uns bewusst machen, dass die Lage unsicher bleibt und wir damit bis auf Weiteres zurechtkommen müssen. Immerhin – die virtuelle Welt und digitale Tools zum Lernen entwickeln sich rasant schnell weiter, virtuelle Messen und Kongresse ebenso. Nutzen wir sie und profitieren davon.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" die Trends auf dem E-Learning-Markt.