Kolumne: "Du Speaker" – vom Berufsstand zum Schimpfwort

So manchen Mythos in der HR-Welt konnte Professor Uwe P. Kanning schon in seiner Kolumne aufklären. Mit psychologischen Fakten begegnet er den Anhängern des Bauchgefühls. Heute erklärt er gewohnt zugespitzt, wieso der Berufsstand des Speakers verkommt.

Als Speaker wird ursprünglich im britischen Parlament der Vorsitzende des Unterhauses bezeichnet – vielleicht am ehesten vergleichbar mit dem Bundestagspräsidenten in Deutschland. Der Speaker tritt betont neutral und ausgleichend auf. Er achtet auf die Einhaltung der Spielregeln und versucht, ein halbwegs würdevolles Bild des Parlaments nach außen zu suggerieren.

Auf die Unterhaltung kommt es an

All dies ist so ziemlich in jedem Punkt die Negation eines Speakers im Business-Sektor. Speaker, die auf Personalfachtagungen oder bei Managementevents auftreten, sind eher vergleichbar mit einem Wunderheiler auf einem mittelalterlichen Markt, der den Leichtgläubigen eine Tinktur gegen das Altern aufschwatzt. Seine herausragendste Kompetenz besteht darin, rechtzeitig das Weite zu suchen, bevor die Ersten damit beginnen, im Wald Reisig für den Scheiterhaufen zu sammeln.

Der Business-Speaker hat nicht mehr als eine oder zwei Botschaften, die so simpel sind, dass sie niemanden im Publikum überfordern. Dabei spielt es nicht die geringste Rolle, ob die Botschaften falsch oder richtig sind. Es kommt nur darauf an, ein Feuerwerk der Unterhaltung abzubrennen.

Entweder denkt man sich selbst etwas Ungewöhnliches aus, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder bläht irgendeine Banalität so auf, dass sich damit eine Stunde füllen lässt: Führen nach dem Beispiel von Fußballtrainern, Dirigenten, Schäfern oder wem auch immer. Unterscheidung von zwei Menschentypen, Jäger und Sammler, Adler und Enten, Blaue und Gelbe etc. Ein besonders gruseliges Beispiel liefert ein Speaker, der auf einer Personaltagung mit ein paar hundert Fachleuten auftritt und die Anwesenden über eine halbe Stunde hinweg immer wieder mit anderen Worte und Beispielen dazu auffordert, doch häufiger mal Menschen aus dem Ausland bei sich zu beschäftigen, denn dann wird alles besser. Damit auch der Letzte versteht, was gemeint ist, hat der Experte gleich auch noch eine Praktikantin aus Afrika mitgebracht, die auf der Bühne vorgezeigt wird und ein paar Worte ins Mikrophon sprechen darf. So etwas hat man sich zuletzt bei den Völkerschauen im Tierpark Hagenbeck um das Jahr 1900 getraut.

Lernen von Ex-Sportlern und der katholischen Kirche

Einen fachlichen Hintergrund benötigt man nicht. Jeder arbeitslose Illusionist hätte sehr gute Chancen, in diesem Berufsfeld Fuß zu fassen, vorausgesetzt, er kann nicht nur zaubern, sondern auch reden. Beliebt sind Ex-Sportler, die den Menschen erzählen, wie man erfolgreich wird, denn die Prinzipien des Erfolgs im Eisstockschießen sind natürlich eins zu eins auf jeden beliebigen Beruf übertragbar. Je abseitiger der berufliche Hintergrund ist, desto besser, denn der Markt kämpft immer wieder gegen die Langeweile an. Lässt sich beispielsweise nicht besonders viel zum Thema Führung von einem katholischen Priester lernen? Nicht umsonst ist die Kirche seit über 2000 Jahren für ihre innovativen Führungskonzepte bekannt.

Die Powerpoint-Präsentation muss viele bunte Bilder und möglichst wenig Text enthalten. Besser noch, man verzichtet auf die Präsentation und macht etwas Interaktives mit den Zuhörern. So bittet man vielleicht alle Leute im Saal, aufzustehen, die mit ihrem Chef im letzten Jahr unzufrieden waren. Anschließend sollen sich alle setzten, die sich getraut haben, es ihm ins Gesicht zu sagen – die gute Stimmung ist vorprogrammiert. Garniert wird das Ganze mit ein paar Zahlen, die ebenso eindrucksvoll wie fiktiv sind: 90 Prozent aller Spitzenmanager haben Angst vor starken Frauen, 78 Prozent sind Psychopathen und 63 Prozent Bettnässer – die Stimmung steigt.

Was einen gelungenen Speaker-Auftritt abrundet

Wenn der Speaker jetzt auch noch in der Lage ist, den Zuhörern ein paar super einfache Tipps für die Praxis mit auf den Weg zu geben, ist die Sache eingetütet: Die Bewerber soll man in Zukunft in drei Gruppen einteilen, "Ungeeignete", "Nachrücker" und "Geeignete". Das löst alle Probleme der Personalauswahl. Wer erfolgreich sein will, muss auf seinen Stuhl steigen und mit beiden Händen zum Himmel gerichteten nach dem Erfolg greifen. Ebenso wichtig ist, dass alle Mitarbeiter morgens im Büro beide Hirnhälften aktivieren und das geht so: Am nach vorne ausgestreckten Arm heben die Mitarbeiter den Daumen nach oben und fixieren mit beiden Augen den Daumennagel. Jetzt bewegen sie den Arm so, dass sie eine liegende Acht in die Luft zeichnen und folgen dabei mit beiden Augen – fertig. Nun sind beide Gehirnhälften aktiviert und der Umsatz steigt um 37,8 Prozent.

Ab jetzt geht es nur noch darum, in den Pausen die Bücher aus dem Selbstverlag zu verkaufen. Ab 80 verkauften Exemplaren vermarktet man sich als Bestsellerautor, wobei die verschenkten Bücher mitgezählt werden. Fehlt eigentlich nur noch die Krönung, eine Einladung als Keynote-Speaker zum Personalkonvent in Wanne-Eikel Süd und das Arbeitsamt kann die Akte schließen.

Wenn sich Kinder auf dem Schulhof mit "Speaker" beschimpfen

Eigentlich könnte der Speaker eine wichtige Funktion erfüllen. Er könnte Fachkompetenz besitzen, die Zuhörer nicht mit Meinungen, sondern mit abgesichertem Wissen versorgen. Er könnte sie zum kritischen Denken animieren, damit sie lernen, besser zwischen Realität und Scharlatanerie zu unterscheiden. Doch mit der Trennung von Spreu und Weizen tut man sich in der Szene schwer. Am Ende ist alles einerlei.

Und so wird irgendwann der Tag kommen, an dem die Kinder auf dem Schulhof einander wüst beschimpfend nachrufen: "Du Speaker-Sohn", "Mother-Speaker" oder vielleicht auch einfach nur "Du alter Speaker". Erst dann, wenn der Ruf völlig zerstört ist, wird man ein Einsehen haben. Nein, man wird dann nicht etwa das Phänomen beseitigen, sondern einfach nur ein neues Label draufkleben.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.