Kolumne: Brainstorming – eine Methode lebt von ihrem Ruf

In der Arbeitswelt gibt es wohl kaum jemanden, der zur Ideenfindung nicht schon einmal Brainstorming eingesetzt hat. Professor Uwe P. Kanning stellt sich in seiner Kolumne die Frage, ob wir dieser Methode aufgrund ihrer Alltagsplausibilität wirklich ohne Vorbehalt begegnen können – und beantwortet sie gewohnt zugespitzt.

Schlechte Methoden der Personalarbeit erkennt man nicht immer nur daran, dass sie dem Anwender ein gehöriges Maß an Leichtgläubigkeit abverlangen. Bisweilen sind die Methoden sehr verführerisch und wir begegnen ihnen allein schon aufgrund ihrer Alltagsplausibilität ohne Vorbehalt. Wenn sie dann auch noch seit Jahrzehnten zum etablierten Methodenkanon zahlreicher Unternehmen gehören, ist die Sache schon zu einem Selbstläufer geworden.

Nein, dieses Mal geht es nicht um das Neurolinguistische Programmieren – dieser Ansatz kann nicht einmal Alltagsplausibilität für sich in Anspruch nehmen – oder die Schädeldeutung, die sich offenbar nicht wirklich zu etablieren vermag. Die Rede ist vielmehr von einer Methode, die so unschuldig daherkommt wie ein Einhorn im Mondschein: das Brainstorming.

Bessere Ideen durch intellektuelle Befruchtung?

Das Vorgehen ist mit wenigen Worten beschrieben: Geht es um die Lösung eines Problems, insbesondere eines Problems, dessen Lösung kreative Ideen voraussetzt, würde man den Prinzipien des Brainstormings folgend die Aufgabe nicht einzelnen Menschen allein überlassen, sondern mehrere Personen an einen Tisch setzen, die gemeinsam diskutieren. Durch den wechselseitigen Austausch und die intellektuelle Befruchtung sollen nicht nur mehr, sondern auch bessere Ideen entstehen, als wenn dieselbe Anzahl von Menschen isoliert voneinander über das Problem nachdenken würde. Soweit die Theorie.

Der Volksmund würde hier wahrscheinlich sagen "Vier Augen sehen mehr als zwei!" oder noch besser "Zehn Augen sehen mehr als vier!". Doch leider hat der Volksmund auch schon gleich die entgegengesetzte Weisheit parat: "Viele Köche verderben den Brei!" Das ist das schöne an den alten Weisheiten: Jeder kann sich den Spruch raussuchen, der seine eigenen Überzeugungen am besten stützt.

Der gemeinsame Sturm auf das Problem

Der Begriff "Brainstorming" leitet sich vom Englischen "using the brain to storm a problem" ab. Da sich eine Burg mit vielen wehrhaften Rittern besser einnehmen lässt, als von einem großen Strategen alleine, sollte man sich bei dem Sturm auf das Problem eben auch gleich mehrerer Brains bedienen. Nun ist es aber leider mit dem Zusammenwirken von Brains oftmals nicht ganz so leicht, wie mit soldatischen Formationen.

Aus Sicht der Psychologie würde man von vornherein viele Bedenken anführen:

  • In sozialen Gruppen übernehmen einzelne Personen leicht die Führung und dominieren mit ihrer Meinung das ganze Geschehen. Ein solcher Prozess steht der freien Entfaltung vieler Ideen entgegen.
  • Viele Menschen haben Furcht vor der Bewertung durch andere. Sie trauen sich nicht, ihre gegebenenfalls auch guten Ideen in einer Gruppe zu äußern. Würde man sie allein befragen, gingen ihre Vorschläge nicht verloren.
  • Wer anderen aufmerksam zuhört und sich mit deren Argumenten auseinandersetzt, hat weniger Kapazitäten für die Entwicklung eigener Ideen.
  • Die gegenseitige Unterbrechung in der Diskussion führt dazu, dass Gedankengänge nicht zu Ende gebracht werden können und dadurch Informationen verloren gehen.
  • In Gruppen legen sich manche Mitglieder gern in eine imaginäre Hängematte und lassen die anderen für sich arbeiten, solange niemand auf die Einzelleistung der Gruppenmitglieder achtet.

Brainstorming generiert weniger Ideen als gewollt

Doch wer hat nun Recht, die Alltagsplausibilität oder die Bedenkenträger? Zwei Metastudien kommen zu sehr eindeutigen Ergebnissen. Vergleichen wir Brainstorming-Gruppen mit sogenannten Nominalgruppen – dies sind imaginäre Gruppen gleicher Größe, bei denen die einzelnen Teilnehmer einander nicht sehen und sich nicht über die Ideen austauschen können –, so zeigt sich eine klare Überlegenheit der Nominalgruppen. Das Brainstorming führt dazu, dass die Gruppe weniger Ideen und darüber hinaus auch qualitativ schlechtere Ideen generiert. Die Leistungsverluste bei der Quantität liegen zwischen 30 und 43 Prozent, bei der Qualität sogar zwischen 35 und 50 Prozent. Der Schaden des Brainstormings ist dabei umso größer, je größer die Gruppe ausfällt.

Wer Brainstorming betreibt, erzeugt letztlich das Gegenteil von dem, was er eigentlich erreichen möchte. Die Forschung spricht dabei nicht grundsätzlich gegen die Beteiligung von mehreren Menschen bei der Lösung komplexer Probleme. Sie sollten ihre Ideen jedoch isoliert voneinander generieren.

Wieder einmal hat sich die Alltagsplausibilität nicht als guter Ratgeber erwiesen. Mehr noch, sie konterkariert die Realität. Ab und zu ist es eben doch besser, sich wirklich schlau zu machen.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist oder was Sprachanalysen über die Persönlichkeit aussagen können.

Schlagworte zum Thema:  Personalarbeit