Intelligenztests: Viel besser als ihr Ruf

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf und gibt Tipps für die Praxis. Heute: Warum Intelligenztests besser sind als ihr Ruf.

Seit mehr als 100 Jahren gibt es Intelligenztests. Kein Persönlichkeitsmerkmal ist so intensiv untersucht worden wie die Intelligenz. Gleichwohl wird man kaum ein diagnostisches Verfahren finden, das in der Personalarbeit ähnlich viel Unverständnis bis hin zu offener Ablehnung hervorruft wie der Intelligenztest.

Aus Sicht der Forschung ist die Frage, ob man in der Personalarbeit derartige Tests einsetzen sollte, eindeutig mit "Ja" zu beantworten. In Metaanalysen erweist sich die Intelligenz als dasjenige Persönlichkeitsmerkmal eines Menschen, mit dem sich berufliche Leistung über viele Berufsfelder hinweg am besten prognostizieren lässt. Mit zunehmender Intelligenz können sich Menschen schneller auf neue Sachverhalte einstellen, komplexe Probleme richtig erfassen und rational durchdenken. Sie kommen mit größerer Wahrscheinlichkeit zu besseren Lösungen, behalten mehr Details in ihrem Gedächtnis und lernen schneller sowie umfassender. All dies ist in sehr vielen beruflichen Positionen oder bestimmten Phasen des beruflichen Lebens von Vorteil, beispielsweise

  • wenn neue Mitarbeiter in relativ kurzer Zeit viel lernen müssen (Auszubildende, Trainees, Branchenfremde etc.),
  • wenn man Mitarbeiter mit breitem Lernpotential identifizieren möchte oder
  • wenn komplexe Aufgaben rational analysiert werden müssen (Experten, mittlere Führungspositionen bis hin zum Spitzenmanagement).

Graphologie bei Spitzenmanagern häufiger im Einsatz als Intelligenztests

Trotz dieser Fakten spielen Intelligenztests in der Personalarbeit deutscher Unternehmen keine herausragende Rolle. Eine Umfrage aus dem Jahre 2007 konnte zeigen, dass  zwar immerhin 31 Prozent der Unternehmen derartige Verfahren zur Auswahl kaufmännischer Azubis einsetzen, aber bereits bei der Auswahl von Trainees sinkt die Quote auf bedeutungslose vier Prozent.

Dort, wo offenkundig die wichtigsten Entscheidungen eines Unternehmens getroffen werden und die folgenschwersten Fehler auftreten können, sind Intelligenztests fast so selten wie lilafarbene Kühe: Weniger als ein Prozent der Unternehmen greifen bei der Auswahl der Mitarbeiter auf der oberen Führungsebene zum Test. Mehr noch, die Wahrscheinlichkeit, dass ein deutscher Spitzenmanager mit einem völlig absurden Verfahren wie dem der Graphologie ausgewählt wird, ist in Deutschland dreimal größer als die Wahrscheinlichkeit, dass ein Intelligenztest zum Einsatz kommt. Das mag so manche Milliarde erklären, die von Spitzenmanagern in den Sand gesetzt wurde.

Viele Gründe gegen die Tests basieren auf bloßer Augenschein-Validität

Doch warum scheuen viele Entscheidungsträger den Intelligenztest wie der Teufel das Weihwasser? Die Gründe sind ebenso vielfältig wie leicht zu entkräften.

  • Per Augenschein haben die Aufgaben eines Intelligenztests wenig bis gar nichts mit dem Berufsleben zu tun. Natürlich muss fast niemand im Berufsalltag Zahlenreihen ergänzen oder mental Würfel rotieren lassen. Doch darum geht es auch gar nicht. Das Abschneiden im Test ist ein Indikator für die kognitive Leistungsfähigkeit der Kandidaten und mit diesem Indikator lässt sich nachweislich gut berufliche Leistung prognostizieren. Per Augenschein kann man den Nutzen eines Testverfahrens leider nicht bestimmen. Diejenigen, die es dennoch tun, sollten konsequenterweise auch keine Medikamente einnehmen. Oder ist es etwa nicht völlig absurd, anzunehmen, dass eine kleine unscheinbare Tablette schlimme Krankheiten besiegen kann?
  • Manche Entscheidungsträger glauben, dass Menschen in unteren oder mittleren Führungspositionen ohnehin so intelligent seien, dass zwischen den Bewerbern für höhere Führungspositionen kaum noch Unterschiede festzustellen wären. Eine amerikanische Studie aus dem Jahre 2009 zeigt aber, dass es sich hierbei um einen Trugschluss handelt. Die Bandbreite der Intelligenzunterschiede in Führungspositionen ist nahezu ebenso groß wie in der Gesamtpopulation. Viele Mitarbeiter wird dieser Befund kaum überraschen.
  • Bei der Auswahl von Auszubildenden vertraut man lieber auf einzelne Schulnoten, da sie eine größere Nähe zu den Inhalten der Ausbildung aufweisen. Auch hier täuscht der Schein. Mit Hilfe des IQ lässt sich der Ausbildungserfolg besser prognostizieren als über die Schulnoten. Schulnoten spiegeln leider nur ansatzweise die Intelligenz der Schüler. In Deutschland leben etwa 1,5 Millionen intellektuell hochbegabte Menschen. Nur die wenigsten von ihnen wurden in unserem Schulsystem als solche identifiziert und gefördert.

  • Bei der Auswahl von Hochschulabsolventen könnte man glauben, sie hätten durch ihr Studium bereits eine hinreichende Intelligenz unter Beweis gestellt. Auch dies stimmt nur eingeschränkt. Zum einen benötigt man für so manchen Studiengang keine sonderlich ausgeprägte Intelligenz. Zum anderen lässt sich ein guter Abschluss auch mit sozialer Unterstützung und einem sehr hohen Arbeitseinsatz erzielen. Je weiter solche Absolventen später in der beruflichen Hierarchie aufsteigen, desto weniger wird sich beides weiterhin realisieren lassen.

  • Nicht wenige Entscheidungsträger meiden schließlich den Intelligenztest, weil er bei Bewerbern nicht gut ankommt. Besser wäre es, man würde Bewerber über die Sinnhaftigkeit solcher Verfahren aufklären.

Alles in allem spricht mithin viel dafür, in Zukunft etwas mutiger zu sein und aussagekräftige Instrumente in der Personalauswahl auch tatsächlich einzusetzen. Gute Bewerber müssen anspruchsvolle Auswahlverfahren nicht scheuen. Für Unternehmen, die attraktive Arbeitsplätze zu vergeben haben, gilt dies allemal.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.

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