Fragen der Hilflosigkeit im Bewerbungsgespräch

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf. Heute: Warum soll ich Sie einstellen? - Fragen der Hilflosigkeit im Bewerbungsgespräch.

Einstellungsinterviews werden heute in nahezu 100 Prozent aller Auswahlverfahren eingesetzt. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine sehr sinnvolle Methode zur Feststellung der Eignung - sofern man die richtigen Fragen stellt. Im Lauf der Jahrzehnte haben sich aber in der Praxis einige Fragen etabliert, die immer wieder eingesetzt werden, obwohl ihr Nutzen doch eher fragwürdig ist.

Fragen nach Stärken und Schwächen sind nicht zielführend

So zum Beispiel die Frage "Was sind Ihre besonderen Stärken?": Diese Frage ist eher für die Berufsberatung als für die Personalauswahl geeignet. In der Personalauswahl geht es nicht darum, eine passende Stelle zu den Stärken des Bewerbers zu finden, sondern zu überprüfen, wie stark stellenrelevante Kompetenzen bei dem Bewerber ausgeprägt sind. Der Interviewer muss daher gezielt bestimmte Kompetenzen untersuchen und nicht darauf hoffen, dass der Bewerber etwas von sich gibt, das zufällig passt. Selbst wenn der Bewerber eine Kompetenz nennt, die stellenrelevant ist (zum Beispiel Teamfähigkeit), sagt dies wenig aus. Zum einen weiß man nicht, ob der Bewerber Teamfähigkeit so definiert, wie es für die Stelle notwendig wäre, zum anderen bleibt die Ausprägung der Kompetenz unbekannt. Selbst wenn die Teamfähigkeit zu den besonderen Stärken des Bewerbers gehört, kann sie für die konkrete Stelle immer noch zu gering ausgeprägt sein. Für Fußballmannschaften sucht man schließlich auch niemanden, der besser Fußball als Tennis spielt, sondern jemanden, der hinreichend gut Fußball spielen kann.

Für die Frage "Was sind Ihre größten Schwächen?" gilt dasselbe wie für die Frage nach den Stärken. Zudem ist zu bedenken, dass die allermeisten Bewerber auf diese Frage vorbereitet sind. Natürlich nennt man keine wirklichen Schwächen, sondern stellt Stärken als vermeintliche Schwäche dar oder gibt Banalitäten preis. Der typische Bewerber ist demnach zum Beispiel so leistungsorientiert, dass er schon in der Schule immer den Langsamen geholfen hat.

"Sind Sie teamfähig?": Diese oder ähnliche Fragen, in denen man die Bewerber explizit nach berufsrelevanten Kompetenzen fragt, beleidigen die Intelligenz der meisten Bewerber. Es ist eine Aufforderung, dem Interviewer nach dem Mund zu reden.

Der Interviewer muss selbst herausfinden, warum er jemanden einstellen sollte

Mit der Frage "Warum soll ich Sie einstellen?" kann ein Interviewer gar nicht besser seine eigene Hilflosigkeit zum Ausdruck bringen. Diese Frage zu beantworten ist die ureigenste Aufgabe des Interviewers. Der Bewerber kann die Frage gar nicht sinnvoll beantworten, da er die spezifischen Anforderungen der Stelle nicht kennt. Ebenso gut könnte ein Arzt seinen Patienten fragen, welche Krankheit er habe und wie sie behandelt werden müsse.

Kriterien für relevante Fragen im Bewerbungsgespräch

Fast hat man den Eindruck, dass viele Interviewer derartige Fragen stellen, weil sie schlichtweg keine anderen kennen und irgendwie die Gesprächszeit mit dem Bewerber hinter sich bringen müssen. So verstreicht die kostbare Zeit des Interviews oft weitgehend ungenutzt und außer einem diffusen Eindruck bleibt wenig Verwertbares zurück. Diagnostisch wertvolle Interviews sind unter anderem durch folgende Kriterien gekennzeichnet:

  • Grundlage für das Interview bildet eine Analyse der spezifischen Anforderungen des Arbeitsplatzes. Dabei geht es um die Definition der Kompetenzen sowie der Ausprägung, die jeweils notwendig ist.
  • Die allermeisten Fragen stehen vor dem Interview fest und werden allen Bewerbern in gleicher Weise gestellt.
  • Jede Frage bezieht sich gezielt auf konkrete Kompetenzen.
  • Jede Kompetenz wird mit mehreren Fragen untersucht.
  • Zu jeder Frage existiert ein konkreter Auswertungsschlüssel im Sinne eines Punktesystems, der festlegt, welche Antworten wie zu bewerten sind.
  • Die Antworten werden von mindestens zwei Personen unabhängig voneinander bewertet.
  • Es kommen bevorzugt Fragen zum Einsatz, bei denen man die Bewerber mit Situationen aus dem Berufsalltag konfrontiert.

Die Interviewpraxis in vielen Unternehmen zeigt, dass Traditionen oft in die Irre führen. Manchmal hilft es schon, sie ab und an in Zweifel zu ziehen. Schlechte Fragen werden leider nicht dadurch besser, dass man sie immer wieder stellt oder viele Kollegen dasselbe tun.

Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.