2.2.1 Verlängerter Übertragungszeitraum

Ist der Arbeitnehmer infolge Krankheit nicht in der Lage, seinen Urlaub bis zum Jahresende oder bis zum Ablauf des gesetzlich vorgesehenen Übertragungszeitraums am 31.3. des Folgejahres zu nehmen, so gilt nach der Rechtsprechung des EuGH ein verlängerter Übertragungszeitraum.[1]

Das BAG hat mit Urteil vom 24.3.2009 als Reaktion auf die EuGH-Urteile aufgegeben § 7 Abs. 3 BUrlG wortgetreu anzuwenden und den Urlaubsabgeltungsanspruch erlöschen zu lassen, wenn der Urlaubsanspruch aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht erfüllt werden kann. Vielmehr führe eine gemeinschaftsrechtskonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG nach den Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG dazu, dass der Anspruch nicht erlösche.[2]

Der EuGH hat allerdings hinsichtlich der Länge des Übertragungszeitraums eine Lösung angeboten. In Anwendung eines deutschen Tarifvertrags hat der EuGH nunmehr anerkannt, dass der Jahresurlaub nach Überschreitung eines begrenzten Übertragungszeitraums seinen Erholungszweck verlieren würde. Ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer könne nicht berechtigt sein, seine Urlaubsansprüche unbegrenzt anzusammeln.[3] Der Übertragungszeitraum müsse die Dauer des Bezugszeitraums, für den der Urlaub gewährt werde, deutlich überschreiten. Dies sei bei einem Übertragungszeitraum von 15 Monaten der Fall, bei einem 6-monatigen Übertragungszeitraum wie in der vorgenannten Entscheidung Schultz-Hoff dagegen nicht. Ob auch Übertragungszeiträume, die zwar mehr als 12 Monate umfassen, aber weniger als 15 Monate, noch akzeptabel wären, lässt der EuGH offen. Der EuGH greift allerdings auf Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24.6.1970 zurück, auf das die europäische Arbeitszeitrichtlinie Bezug nimmt. Nach der IAO-Bestimmung verfallen ununterbrochene Teile des Jahresurlaubs nach Ablauf einer Übertragungszeit von 12 Monaten, der Rest nach Ablauf von 18 Monaten. Daher scheint nicht sicher, dass der EuGH generell auch kürzere Übertragungszeiträume als 15 Monate akzeptieren wird.

 
Praxis-Tipp

Übertragungszeitraum sollte nicht kürzer als 15 Monate sein

Im Interesse einer rechtssicheren Handhabung ist daher zu empfehlen, 15-monatige Übertragungszeiträume für im Urlaubsjahr dauerhaft arbeitsunfähige Arbeitnehmer vorzusehen.

Die nationale Rechtsprechung übernimmt zunehmend die Rechtsprechungsänderung des EuGH.[4] Damit dürfte für die Praxis einigermaßen gesichert feststehen, dass ein übertragener Urlaub spätestens 15 Monate nach Ende des Kalenderjahres entfällt, in dem er entstanden ist.

Zusammenfassend gelten nunmehr für den Zusammenhang von Urlaub und krankheitsbedingter Kündigung folgende Regeln:

  • Endet die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vor dem 31.3. des Folgejahres und kann bis zu diesem Zeitpunkt der übertragene Urlaub vollständig genommen werden, so findet § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG Anwendung: Der übertragene Urlaub verfällt mit Ablauf des 31.3. des Folgejahres (allerdings nur nach entsprechendem Hinweis des Arbeitgebers, s. o.).[5] Für eine Verlängerung des Übertragungszeitraums besteht in solchen Fällen kein Anlass.
  • Endet die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit später, so folgt die überwiegende Rechtsprechung und insbesondere das BAG der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zu dem 15-monatigen Übertragungszeitraum.[6] Die aus Sicht des EuGH unzulässig kurze gesetzliche Übertragungsfrist wird (mindestens) für Fälle dauerhafter Arbeitsunfähigkeit auf das zulässige Maß von 15 Monaten zurückgeführt. Damit verfiele Urlaub im Falle von dauerhafter Arbeitsunfähigkeit auch über den 31.3. des Folgejahres hinaus mit Ablauf des 31.3. des auf das Urlaubsjahr folgenden übernächsten Jahres.[7]

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In beiden Fällen können Arbeitgeber und Arbeitnehmer freilich vereinbaren, dass übertragener Urlaub später – ggf. bis zu einem späteren vereinbarten Zeitpunkt – zu nehmen ist.

Aus Begründungselementen der Urteile von EuGH[8] und BAG[9] erscheint es möglich, dass diese Rechtsprechung auch auf andere Fälle ausgeweitet wird, in denen der Urlaub wegen Umständen nicht genommen werden konnte, die vom Arbeitnehmer nicht zu vertreten sind. Das BAG hat die auf 15 Monate verlängerte Übertragungsfrist auch für den Fall angenommen, in dem ein Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht und ein Tarifvertrag für diese Zeit das Ruhen des Arbeitsverhältnisses anordnete.[10] Dauert ein Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses längere Zeit und wird dieser Streit durch arbeitsgerichtlichen Vergleich rückwirkend erledigt, ist jedenfalls allein dadurch in der Zwischenzeit kein Urlaub in Folgejahre zu übertragen oder nach Ende des Arbeitsverhältnisses abzugelten, wenn der Arbeitnehmer Urlaub nicht jeweils geltend macht.[11]

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