Rz. 71

Unverantwortbare – und damit nicht hinnehmbare – Gefährdungen der Frau oder ihres (ungeborenen) Kindes sind nach § 9 Abs. 2 Satz 1 durch den Arbeitgeber auszuschließen und können möglicherweise auch zu einem Beschäftigungsverbot nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG (bzw. – im Fall der Heimarbeit – zu einem Verbot der Ausgabe von Heimarbeit nach § 13 Abs. 2 MuSchG) führen. Der Maßstab für den maßgeblichen Gefährdungsschutz ergibt sich vor allem aus den §§ 11 und 12 MuSchG und den von vom Ausschuss für Mutterschutz ermittelten und nach § 30 Abs. 4 im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlichten Regeln.[1]

In § 9 Abs. 2 Satz 2 wird für das Mutterschutzrecht der Begriff der unverantwortbaren Gefährdung näher bestimmt. Der Begriff beschreibt die Gefährdungsschwelle, ab der der Arbeitgeber Gefährdungen zum Schutz der Mutter oder ihres Kindes auszuschließen hat. Eine Gefährdung ist unverantwortbar, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist. Es ist also abzuwägen zwischen der Eintrittswahrscheinlichkeit und den möglichen Gesundheitsschäden. In dem Moment, wo für Mutter oder (ungeborenes) Kind überhaupt Gesundheitsschäden denkbar sind, sind die Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit ausgesprochen gering.

Eine Gefährdung ist unverantwortbar und damit vom Arbeitgeber auszuschließen, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit so hoch ist, dass sie wegen der Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist. Vorausgesetzt ist also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts im Zusammenwirken mit einer erhöhten Schwere der möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung.[2]

Hinnehmbare Gefährdungen müssen hingegen nicht ausgeschlossen werden, da sie nicht mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eintreten oder selbst bei sicherem Eintritt weder für die Frau noch für ihr (ungeborenes) Kind eine nennenswerte gesundheitliche Beeinträchtigung darstellen. Für sie gilt aber das Gebot der Risikominimierung.

Wenn der Arbeitgeber jede mögliche gesundheitliche Beeinträchtigung in der Schwangerschaft und in der Stillzeit ausschließen müsste, würde dies dazu führen, dass eine Teilhabe von schwangeren und stillenden Frauen am Erwerbsleben nahezu unmöglich wäre.

 

Rz. 72

Hat der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung eine unverantwortbare Gefährdung ausgemacht, ist eine Beschäftigung der Arbeitnehmerin auf diesem Arbeitsplatz immer verboten. Der Arbeitgeber hat zunächst zu versuchen, die unverantwortbare Gefährdung durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen. Ist ihm dies nicht möglich oder wegen eines unverhältnismäßigen Aufwands unzumutbar, hat er die Frau auf einem anderen geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen.

Nach der Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitgeber in einem solchen Falle zur Vermeidung eines Beschäftigungsverbotes ein erweitertes Weisungsrecht.[3] Möglich ist damit der Einsatz auf Arbeitsplätzen, auf denen er sie nach seinem arbeitsvertraglichen Weisungsrecht nicht einseitig hätte einsetzen können. Voraussetzung hierfür ist die Zumutbarkeit, d. h. gleichwertige Tätigkeit für die Arbeitnehmerin angesichts ihres Zustandes.[4]

Nur dann, wenn der Arbeitgeber überhaupt keine geeignete Beschäftigungsmöglichkeit für die Arbeitnehmerin hat und diese auch nach zumutbarer Umorganisationsmaßnahme nicht zur Verfügung stellen kann, darf er sich darauf zurückziehen, dass er die Arbeitnehmerin nicht beschäftigen kann.

 

Rz. 73

Zur Beurteilung, ob die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist, ist entsprechend der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung[5] zu differenzieren: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden eintritt, muss umso größer sein, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden ist, und sie ist umso kleiner, je schwerer der etwaige Schaden wiegt. Wegen des hohen Ranges des vom Mutterschutz verfolgten Schutzziels der gesundheitlichen Unversehrtheit der Frau und ihres (ungeborenen) Kindes sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit grundsätzlich gering.

 

Rz. 74

Eine unverantwortbare Gefährdung gilt per gesetzlicher Definition nach § 9 Abs. 2 Satz 3 als ausgeschlossen[6], wenn Vorgaben eingehalten werden, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres (ungeborenen) Kindes nicht beeinträchtigt wird. Gesundheitsgefährdungen, die nicht nach den Maßstäben praktischer Vernunft ausgeschlossen sind, sondern nach diesen Maßstäben durchaus möglich, wenn auch nur gering wahrscheinlich bleiben, unterfallen demnach nicht dem Bereich des zu vernachlässigenden Restrisikos.[7]

 

Rz. 75

Im Bereich des mutterschutzrechtlichen Gefahrstoffrechts ist eine unverantwortbare Gefährdung einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres (ungeborenen) Kindes bspw. dann ausgeschlossen, wenn sichergestellt ist, dass Grenzwerte einge...

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