Rz. 60

Der Arbeitgeber hat – nicht nur für Schwangere und Stillende – die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Gefährdungen möglichst vermieden werden. Dazu dienen die umfangreichen Arbeitsschutzvorschriften, wie oben[1] dargestellt. Darüber hinaus konkretisiert § 9 Abs. 2 Satz 1 die Anforderungen an die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und führt den Begriff der Gefährdung ein. Satz 2 bestimmt den Begriff der unverantwortbaren Gefährdung. Satz 3 bestimmt Voraussetzungen, unter denen eine unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen gilt.

 

Rz. 61

In den Regelungen des MuSchG zum betrieblichen Gesundheitsschutz ist die Gefährdung ein zentraler Begriff. Der Begriff der "Gefährdung" bezeichnet – im Unterschied zum Rechtsbegriff der "Gefahr" – die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimmte Anforderungen an ihr Ausmaß oder ihre Eintrittswahrscheinlichkeit.[2] Dieser aus dem Arbeitsschutz bekannte Gefährdungsbegriff gilt grundsätzlich auch im Mutterschutzrecht. Entsprechend muss der Arbeitgeber bspw. im Rahmen der mutterschutzrechtlichen Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 10 MuSchG prüfen, ob und welche Gefährdungen einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres (ungeborenen) Kindes vorliegen. Dabei erfolgt die Abwägung unter Berücksichtigung der mutterschutzrechtlichen Zielsetzung und in systematischer Zusammenschau mit den arbeitsschutzrechtlichen Regelungen zur Gefährdung einer schwangeren oder stillenden Frau in folgenden Schritten[3]:

 

Rz. 62

1. Abstrakte Gefahrenlage

Zunächst muss die Möglichkeit bestehen, dass die festgestellten schädlichen Einwirkungen die schwangere oder stillende Frau bzw. das ungeborene oder zu stillende Kind gesundheitlich beeinträchtigen. Bei der Prüfung einer Gefährdung sind damit auch Schadfaktoren zu berücksichtigen, die nur möglicherweise eine gesundheitliche Beeinträchtigung herbeiführen können oder denen die Frau nur möglicherweise ausgesetzt ist (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 MuSchG). Zudem können grundsätzlich auch Arbeitsbedingungen, die nach dem Stand der Wissenschaft lediglich im Verdacht stehen, gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorzurufen, eine Gefährdung darstellen (wie etwa Verdachtsstoffe i. S. v. § 11 Abs. 1 Satz 2). Es genügt dabei eine abstrakte Gefahrenlage, die sich aus den konkreten Umständen des Arbeitsplatzes ergibt.

 

Rz. 63

2. Gefahrenrelation zur Tätigkeit

Ferner setzt der Begriff der Gefährdung einen hinreichenden Bezug zur ausgeübten Tätigkeit und zu den mit ihr verbundenen Arbeitsbedingungen voraus. Dieser Bezug muss nicht notwendigerweise im Sinne einer Kausalität begründet sein. Vielmehr genügt es, dass eine im Vergleich zu Frauen, die den betreffenden Arbeitsbedingungen nicht ausgesetzt sind, signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung eintritt (z. B. bei einer Lärmbelastung am Arbeitsplatz). Der erforderliche Bezug zur Beschäftigung ist nicht gegeben, wenn die Gefährdung außerhalb des Arbeitsumfelds in gleicher Weise besteht.

 
Praxis-Beispiel

Keine Gefährdung bei allgemeiner Erkrankungswahrscheinlichkeit

Die Möglichkeit, dass die Frau an einer Grippe erkrankt, löst keine mutterschutzrechtlichen Schutzmaßnahmen aus, soweit die Erkrankungswahrscheinlichkeit am Arbeitsplatz gegenüber der Erkrankungswahrscheinlichkeit außerhalb des Arbeitsumfelds nicht erhöht ist. In diesen Fällen stellt sich die Gefährdung als allgemeines Lebensrisiko dar, deren Vermeidung grundsätzlich außerhalb der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers liegt.

 

Rz. 64

3. Konkreter Bezug zur Schwangerschaft

Schließlich muss die Gefährdung einen konkreten Bezug zur Schwangerschaft oder zur Stillzeit aufweisen. Dieser Bezug ist dann gegeben, wenn die Gesundheit der Frau mutterschutzspezifisch während der Schwangerschaft oder des Stillens oder die Gesundheit des (ungeborenen) Kindes beeinträchtigt werden könnte. Eine wissenschaftlich nachgewiesene Kausalität zwischen den Arbeitsbedingungen und der jeweiligen gesundheitlichen Beeinträchtigung ist dazu nicht erforderlich. Die mutterschutzspezifische gesundheitliche Beeinträchtigung der Frau kann sich aus einer signifikant erhöhten Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bei schwangeren oder stillenden Frauen ergeben (z. B. erhöhte Thrombosewahrscheinlichkeit bei langem Stehen infolge der schwangerschaftsbedingt veränderten Blutgerinnung) oder aber auch daraus, dass die etwaige Erkrankung nach Art, Ausmaß und Dauer während der Schwangerschaft oder in der Stillzeit besonders schwerwiegende Auswirkungen hat (z. B. besonders schwerer Verlauf einer Leberentzündung vom Typ Hepatitis E infolge des veränderten Immunstatus der Frau in der Schwangerschaft).

Soweit kein besonderer Bezug gegeben ist (etwa bei der Gefährdung, sich die Hand zu klemmen), bedarf es auch keines besonderen Schutzes durch das Mutterschutzrecht. Wie für die übrigen nicht schwangeren Frauen und alle Beschäftigten gelten die Vorschriften des Ar...

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