Rz. 76

Bei dem Begriff des "besonderen Falles" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Würdigung durch die Verwaltungsbehörde in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.[1]

Ein "besonderer Fall" liegt vor, wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der vom Gesetzgeber als vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers rechtfertigen.[2] Er ist nicht mit dem "wichtigen Grund" in § 626 BGB identisch, sodass nicht jeder Fall einer außerordentlichen Kündigung die Erteilung der Erlaubnis rechtfertigt, umgekehrt die Kündigung auch in Fällen, die den Arbeitgeber nur zu einer ordentlichen Kündigung berechtigen, für zulässig erklärt werden kann.[3]

Die Behörde muss stets Interessenabwägung durchführen, bei der sowohl die Zielrichtung des mutterschutzrechtlichen Kündigungsverbots, der Arbeitnehmerin während der Schutzfristen soweit wie möglich ihre materielle Existenzgrundlage zu erhalten, als auch die verfassungsrechtlich geschützten Interessen beider Seiten aus Art. 6 Abs. 4 GG sowie Art. 12 Abs. 1 GG berücksichtigt werden müssen. Letztlich ist zu klären, ob der nach § 17 Abs. 1 besonders geschützten Arbeitnehmerin eine Kündigung zugemutet werden kann.

Die zuständigen Behörden wenden auch für die Entscheidung nach § 17 Abs. 2 die "Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Kündigungsschutz bei Elternzeit" vom 3.1.2007[4] an. Als nur verwaltungsinterne Vorschrift sind sie jedoch für die Verwaltungsgerichte im Rahmen der Überprüfung der Verwaltungsentscheidungen nicht bindend.[5]

 

Rz. 77

Ausgehend von dieser Grundwertung werden Gründe in der Person der Arbeitnehmerin einen "besonderen Fall" regelmäßig nicht begründen können. Dies gilt insbesondere für den Fall einer krankheitsbedingten Kündigung. Wenn eine Arbeitnehmerin aufgrund schwerer außerdienstlicher Verfehlungen ihre Eignung für den Arbeitsplatz verliert, so kann dies aber einen "besonderen Fall" begründen.[6]

Bei kirchlichen Arbeitgebern ist deren Tendenzschutz aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV zu berücksichtigen, sodass auch schwerwiegende Loyalitätsverstöße der Frau je nach den Umständen die Zulässigerklärung der Kündigung rechtfertigen können.[7] Auch soll ein besonderer Fall vorliegen, wenn aufgrund der personenbedingten Gründe die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers in die Nähe einer Existenzgefährdung rückt. Dies ist aber noch nicht der Fall, wenn dem Arbeitgeber aufgrund von Beschäftigungsverboten nicht einmal eine geminderte Arbeitskraft zur Verfügung steht[8], zumal er einen Ausgleich nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG)[9] erhält und ggf. befristet eine Vertretungskraft einstellen kann.

 

Rz. 78

Dagegen können Gründe im Verhalten der Arbeitnehmerin einen "besonderen Fall" darstellen, wenn ein schwerwiegendes, möglicherweise sogar wiederholtes Fehlverhalten vorliegt, und dem Arbeitgeber die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses schlechthin nicht mehr zugemutet werden kann. Allerdings darf das Verhalten nicht durch eine besondere seelische Verfassung als Folge der Schwanger- oder Mutterschaft ausgelöst sein.[10]

 
Praxis-Beispiel

Hierunter können strafbare Handlungen der Arbeitnehmerin wie Diebstahl[11], Unterschlagung, (Spesen-) Betrug[12], schwere Beleidigungen oder tätliche Bedrohungen von Vorgesetzten oder Kollegen, sexuelle Belästigungen sowie mehrere schwerwiegende Wettbewerbsverstöße fallen.

Auch erhebliche unentschuldigte Fehlzeiten[13] können die Zulassung der Kündigung rechtfertigen.

Allerdings darf die Kündigung nur das letzte Mittel darstellen. Stehen mildere Mittel (Abmahnung, Versetzung, Umsetzung) zur Verfügung, die eine ausreichende Sanktion für die Pflichtverletzung darstellen, so scheidet eine Zulassung der Kündigung aus.

Beispiel[14]:

Die schwangere Arbeitnehmerin F wird von ihrem Arbeitgeber, einem Sicherheitsunternehmen, bei dem Telefonprovider X als Sicherheitsmitarbeiterin im Empfangsbereich eingesetzt. Auf ihrem privaten Facebook-Account postet sie: "Boah kotzen die mich an von X, da sperren sie einfach das Handy, obwohl man schon bezahlt hat ... und dann behaupten die, es wären keine Zahlungen da. Solche Penner ... Naja ab nächsten Monat habe ich einen neuen Anbieter ...." Der Arbeitgeber beantragt die Zulassung einer außerordentlichen Kündigung.

Das Gericht lehnt die Zulassung der Kündigung ab, da die F auf einen Arbeitsplatz bei einem anderen Kunden hätte umgesetzt werden können. Zumindest bei Äußerungen, die nicht den Arbeitgeber selbst, sondern lediglich einen Kunden betreffen, sei es zumutbar, die Schwangere bei einem anderen Kunden einzusetzen.

Als nicht ausreichend für die Zulassung einer Kündigung wurden eine Indiskretion der Arbeitnehmerin über das Privatleben ihres Arbeitgebers trotz einer engen persönlichen Zusammenarbeit[15] oder die bewusste Entgegennahme von rechtsgrundlos zugewendeten Gehaltszahlungen ohne Mitteilung an den Arbeitgeber[16] angesehen.

Auch der bloße Verdacht einer strafbaren Handlung der Arbeitnehmerin soll hierfür nicht genügen.[17]...

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