Rz. 33

Aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken des Bundesverfassungsgerichts[1] wurde die Vorgängerregelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 durch das Änderungsgesetz v. 3.7.1992[2] um den Halbsatz 2 erweitert. Diese Regelung wurde nun in § 17 Abs. 1 Satz 2 unverändert übernommen. Hiernach ist das Überschreiten der 2-Wochen-Frist für den Kündigungsschutz unschädlich, wenn es auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.

 

Rz. 34

Da es sich bei der Mitteilung um keine Rechtspflicht gegenüber dem Arbeitgeber handelt, sondern um eine im eigenen Interesse bestehende Obliegenheit, gilt nicht der übliche Verschuldensmaßstab. Die Fristüberschreitung ist von der Schwangeren dann zu vertreten, wenn sie auf einem gröblichen Verstoß gegen das von einem ordentlichen und verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartenden Verhalten zurückzuführen ist ("Verschulden gegen sich selbst"[3]). Unerheblich ist, durch welchen Umstand die Schwangere an der Fristeinhaltung gehindert ist, entscheidend ist nur, ob die Fristüberschreitung schuldhaft oder unverschuldet ist.[4]

 

Rz. 35

Hat die Schwangere durch ärztliches Zeugnis oder einen positiven Schwangerschaftstest positive Kenntnis von ihrer Schwangerschaft, so ist die unterlassene rechtzeitige Mitteilung schuldhaft.

Eine verschuldete Versäumung der 2-Wochen-Frist liegt auch vor, wenn zwar noch keine positive Kenntnis besteht, aber gleichwohl zwingende Anhaltspunkte gegeben sind, die das Vorliegen der Schwangerschaft praktisch unabweisbar erscheinen lassen. In einem solchen Fall einer zwingenden und unabweisbaren Schwangerschaftsvermutung ist die Arbeitnehmerin schon im eigenen Interesse gehalten, dem Arbeitgeber hiervon Mitteilung zu machen und sich durch eine geeignete Untersuchung (z. B. Schwangerschaftstest, ärztliche Untersuchung) Gewissheit über das Vorliegen einer Schwangerschaft zu verschaffen.[5] Dies wird etwa beim Ausbleiben zweier Regelblutungen angenommen.[6] Dagegen begründet ein Untätigbleiben der Arbeitnehmerin beim Vorliegen einer bloßen vagen Schwangerschaftsvermutung (etwa bei einmaligem Ausbleiben der Regelblutung) kein schuldhaftes Verhalten. In diesem Fall ist sie auch nicht verpflichtet, sich unverzüglich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, da das Ausbleiben der Regelblutung auf verschiedenen Ursachen wie etwa Zyklusschwankungen oder als Folge des Absetzens von Verhütungsmitteln beruhen kann.[7] Die Schwangere kann daher eine angemessene Zeit abwarten, bevor sie sich Klarheit über ihren Zustand verschafft.

 
Praxis-Beispiel

Am 18.6. stellte der Arzt anlässlich einer Untersuchung bei der Arbeitnehmerin das Bestehen einer Schwangerschaft fest und erteilte ihr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis 28.6., die am 19.6. beim Arbeitgeber einging. Von der Schwangerschaft sagt sie dem Arbeitgeber noch nichts. Erst am 28.6. übergibt sie die am gleichen Tag vom behandelnden Arzt anlässlich einer erneuten Untersuchung erstellte Schwangerschaftsbestätigung, in der als voraussichtlicher Geburtstermin der 15.2. des Folgejahres angegeben war.

Die Mitteilung wurde als rechtzeitig gewertet, da die Schwangere abwarten dürfe, bis sie Gewissheit über die Schwangerschaft erlangt habe.[8]

 

Rz. 36

Die Arbeitnehmerin hat eine Fristversäumung ferner nicht zu vertreten, wenn sie zwar Kenntnis von der Schwangerschaft hatte, aber aus anderen Gründen unverschuldet an einer rechtzeitigen Mitteilung gehindert war.

Fährt eine schwangere Arbeitnehmerin in den Urlaub, ohne ihrem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft vor Urlaubsantritt anzuzeigen und geht ihr noch während ihres Urlaubs eine Kündigung zu, so ist die Überschreitung der 2-Wochen-Frist nicht verschuldet, wenn sie dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft unverzüglich nach Rückkehr aus dem Urlaub mitteilt.[9]

 

Rz. 37

Zwar trägt die Arbeitnehmerin das Risiko für eine rechtzeitige Übermittlung der Mitteilung, sodass sie diese bei Verwendung des Postwegs rechtzeitig absenden muss. Es wird aber nicht als schuldhaft angesehen, wenn die Schwangere die Bescheinigung über die Schwangerschaft mit normaler Post an den Arbeitgeber versendet und der Brief dann aus ungeklärter Ursache verloren geht. Mit einem Verlust des Briefes auf dem Beförderungswege muss die Schwangere nicht von vornherein rechnen.[10] Etwas anderes gilt dann, wenn sie das Fehlen des Zugangs hätte bemerken müssen.

Entsprechendes gilt für die Mitteilung im Rahmen eines Schriftsatzes während eines gerichtlichen Verfahrens. Eine Zurechnung des Verschuldens Dritter erfolgt im Regelfall nicht, sodass sich die Schwangere Versäumnisse der Post, des Gerichts oder eines sorgfältig ausgesuchten Boten[11] nicht zurechnen lassen muss. Eine Zurechnung des Verschuldens Dritter nach § 278 BGB ist danach nicht möglich. Streitig ist, ob sie sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss. Das BAG[12] lehnt eine Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO auf die Frist des § 17 Abs. 1 Satz 1 und damit eine Zurechnung des Ver...

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