Rz. 92

Die §§ 913 MuSchG haben einen engen Wirkungszusammenhang: Ergibt die Gefährdungsbeurteilung nach § 10 MuSchG, dass die Sicherheit oder Gesundheit der Frau gefährdet ist und dass diese Gefährdungslage Auswirkungen auf Schwangerschaft oder Stillzeit haben können, dann muss der Arbeitgeber zunächst versuchen, durch eine Änderung der Arbeitsbedingungen eine Gefährdung auszuschließen.

Dies kann eine

  • Änderung der Bedingungen am konkreten Arbeitsplatz (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG)
  • der Arbeitsumgebung/des Arbeitsplatzes oder
  • der Arbeitszeiten (Lage und Dauer, Vermeidung von Schichtarbeit)

sein, um zu verhindern, dass eine Gefährdungslage eintritt. Es geht also nicht um die Verringerung einer möglichen Gefahr, sondern um deren Ausschluss. Zu den Arbeitsbedingungen zählen die Umgestaltungsmöglichkeiten nach dem Stand der Technik, der arbeitsmedizinischen Erkenntnisse oder hygienischer Möglichkeiten (z. B. Schutzkleidung). Durch bauliche oder organisatorische Veränderungen kann eine Gefährdungslage verhindert werden.

 

Rz. 93

Der Arbeitgeber hat zunächst eine Auswahl sachgerechter Präventionsmaßnahmen vorzunehmen, um die Lösung einer bestimmten Gefährdungssituation zu gewährleisten. Dies kann mit Kosten für spezifische Schutzausrüstungen, mit organisatorischen Eingriffen in die Arbeitszeitregelung oder anderen Änderungen im Betriebsablauf verbunden sein. Diese Aufwände und Änderungen müssen jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Daher kommt mit § 13 Abs. 1 Nr. 2 MuSchG ein Arbeitsplatzwechsel in Betracht, um Gefährdungen für die zu schützende Person auszuschließen. Der Arbeitgeber muss jedoch den Aufwand nachweisen und den Arbeitsplatzwechsel erst nach Abwägung der zur Verfügung stehenden Reaktionsmöglichkeiten vornehmen. Es ist nicht möglich, ohne die Prüfung von Maßnahmen zur Gefährdungsvermeidung sofort eine Versetzung vorzunehmen. Die Schwangere hat Anspruch darauf, dass zunächst der Verbleib auf dem originären Arbeitsplatz und der Arbeitsumgebung durch eine Gefährdungsbeurteilung analysiert und geeignete Maßnahmen erwogen werden. Etwaige Anordnungen des Arbeitgebers zum Tragen von spezifischen Schutzkleidungen oder anderen organisatorischen Maßnahmen muss die Schwangere nachkommen.[1]

 

Rz. 94

Erst als letztes Mittel, wenn die vorgenannten Maßnahmen zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Zuweisung eines anderen zumutbaren Arbeitsplatzes nicht die Gefährdungslage beseitigen, die sich aus der Gefährdungsbeurteilung ergibt, kann ein betriebliches Beschäftigungsverbot nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG in Betracht gezogen werden. Es ist auszusprechen, wenn dies zum Schutz der Frau, ihrer Sicherheit und Gesundheit erforderlich ist. Dieses gilt solange, wie es zum Erreichen des Schutzzweckes notwendig ist. In der Praxis wird in diesen Fällen ein Beschäftigungsverbot in Betracht kommen.

[1] Ergibt sich aus der Unterstützungs- und Mitwirkungspflicht nach § 15 DGUV Regel 100-001 "Grundsätze der Prävention".

8.1 Möglichkeit einer Gefährdung

 

Rz. 95

Für die Gefährdungsbetrachtung und der Abschätzung der Folgen für die Frau reicht die Möglichkeit einer Gefährdung. Der Arbeitgeber hat daher bei seiner Gefährdungsbeurteilung nicht nur die systemkonformen Arbeitsschritte zu erfassen und zu beurteilen. Er muss auch systemwidrige Konstellationen etwa durch Fehlfunktionen, Fehlverhalten oder Versagen technischer Einrichtungen betrachten und dabei alle in Betracht kommenden Möglichkeiten erwägen. Eine "was wäre wenn" – Betrachtung kann dabei zum Entdecken möglicher indirekter Risiken führen. Es geht dabei nicht um die Verhinderung einer Produktion oder der Anwendung von Verfahren, sondern um das Erkennen von möglichen Gefährdungen und deren Reduzierung. Daher ist der Katalog nach § 11 auch nur eine Auflistung und nicht abschließend.

Eine Gefährdung im arbeitsschutzrechtlichen Sinn liegt vor, wenn eine gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist. Besondere Anforderungen an das Ausmaß der Gefährdung oder die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts bestehen nicht.[1] Eine Gefährdung ist unverantwortbar und damit vom Arbeitgeber auszuschließen, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit so hoch ist, dass sie wegen der Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist. Vorausgesetzt ist also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts im Zusammenwirken mit einer erhöhten Schwere der möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung.[2]

Nach § 11 Abs. 1 Satz 4 muss der Arbeitgeber die vom Ausschuss für Mutterschutz (AfMu) ermittelten wissenschaftlichen Erkenntnisse und die dazu entwickelten praxisgerechten Regelungen beachten. Nach § 9 Abs. 4 MuSchG müssen alle Maßnahmen des Arbeitgebers sowie die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 10 MuSchG dem Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und der Hygiene sowie den sonstigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen.

Der AfMu arbeitet eng mit den arbeitsschutzrechtlichen Ausschüssen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zusammen.

 
Praxis-Beispiel

Schutz Beschäftigter im Gesu...

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