Rz. 72

Die notwendigen Aktionen des Arbeitgebers setzen sich aus der Gefährdungsbeurteilung nach Satz 1 Nr. 1 und der Bestimmung der Schutzmaßnahmen nach Satz 1 Nr. 2 zusammen. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, ob für eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind voraussichtlich keine Schutzmaßnahmen erforderlich sein werden. Der Gesetzgeber verpflichtet den Arbeitgeber, ausdrücklich festzustellen, wenn er zum Ergebnis kommt, dass für die Zielgruppe des MuSchG keine Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Der Begriff "Erforderlichkeit" ist dabei weit gefasst. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, "erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes" zu treffen, ist darüber hinaus in § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG verankert.[1]

Diese Entscheidung hat für den Arbeitgeber Folgen, weil er die Haftung für die Feststellung übernimmt, dass Schutzmaßnahmen nicht erforderlich sein werden. Dies kann nur in eindeutig klaren Fallkonstellationen gegeben sein.

 

Rz. 73

Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber ohnehin schon alle Maßnahmen zur Beseitigung oder Verringerung der Gefahrenlage getroffen hat. Nach § 4 ArbSchG ist dabei von folgenden allgemeinen Grundsätzen auszugehen:

  1. Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird. Dazu kommen in Betracht:

    • Technische Maßnahmen, z. B. konstruktiv-technische Lösungen wie die Verkleidung von Antrieben,
    • Organisatorische Maßnahmen, z. B. die Vorgehensweise nach festgelegten Prozeduren mit zugehöriger Aufzeichnung; die Durchführung von Prüfungen,
    • Personenbezogene Maßnahmen, z. B. der Einsatz von persönlicher Schutzausrüstung; Unterweisung.
  2. Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen.
  3. Bei den Maßnahmen sind der Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen.
  4. Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen.
  5. Individuelle Schutzmaßnahmen und die Verwendung persönlicher Schutzausrüstung sind nachrangig zu anderen Maßnahmen.
  6. Spezielle Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen sind zu berücksichtigen.
  7. Den Beschäftigten sind geeignete Anweisungen zu erteilen.
  8. Mittelbar oder unmittelbar geschlechtsspezifisch wirkende Regelungen sind nur zulässig, wenn dies aus biologischen Gründen zwingend geboten ist.
  9. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass im Zuge der weiteren Planung, Beschaffung, Auslieferung und ggf. Montage der Arbeitsmittel und deren künftiger Benutzung die festgelegten Maßnahmen mindestens den geltenden gesetzlichen Vorschriften, den Unfallverhütungsvorschriften und, im Falle der Bereitstellung von Arbeitsmitteln, dem Stand der Technik und den im BMAS verabschiedeten und vom BMA veröffentlichten Regeln und Erkenntnissen entsprechen.
  10. Erforderlichenfalls ist bei der Klärung dieser Fragen sachkundiger Rat einzuholen.
 

Rz. 74

Sowohl die zuständigen Aufsichtsbehörden und Berufsgenossenschaften als auch sicherheitstechnische Dienste, Sachverständige und Fachfirmen können als Experten hinzugezogen und beauftragt werden. Ferner haben die Aufsichtsbehörden einen Beratungsauftrag: Die Aufsichtsbehörde berät den Arbeitgeber bei der Erfüllung seiner Pflichten nach diesem Gesetz sowie die bei ihm beschäftigten Personen zu ihren Rechten und Pflichten (§ 29 Abs. 4 MuSchG).

Nicht nur die tatsächlichen Gefährdungen, sondern auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Belastungen und Gefährdungen bestimmen die Anforderungen an einen effektiven Mutterschutz. Daher sind die regelmäßig aktualisierten Informationsangebote der Krankenkassen und der Berufsgenossenschaften sowie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (BAUA) zu beachten.[2]

 

Rz. 75

In der Praxis begegnet man all diesen Maßnahmen nebeneinander. In der Regel ergänzen sie sich und greifen ineinander, manche Maßnahmen müssen auch gleichzeitig getroffen werden. Dies gilt insbesondere für technische und organisatorische Maßnahmen. Technische Lösungen für die Beseitigung von Gefahren oder deren Verringerung auf ein ungefährliches Maß sind vorzuziehen.

[2] BT-Drucks. 18/8963 S. 33.

4.1 Arbeitsorganisation außerhalb der Betriebssphäre des Arbeitgebers

 

Rz. 76

Die Anforderungen nach § 10 richten sich an den Arbeitgeber als Adressaten und Verantwortlichen für die Arbeitsbedingungen. Problematisch wird dies, wenn die Arbeitsleistung außerhalb der Sphäre des Arbeitgebers erbracht werden kann, z. B. bei der Erbringung von Arbeitsleistung im Homeoffice, oder bei wechselnden Einsatzstellen. Solche modernen Arbeitsformen ohne konkreten (dauerhaften) Arbeitsplatz oder Arbeitsort sind nur schwer zu bewerten. Hier fehlt dem Arbeitgeber der direkte Zugriff zur Anordnung von personellen oder organisatorischen Maßnahmen. Gleiches...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge