Rz. 17

§ 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III sieht vor, dass die Zahlung einer laufenden Leistung ohne Erteilung eines Bescheids vorläufig eingestellt werden kann, wenn die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhält, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen und wenn der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist. Soweit die Kenntnis nicht auf Angaben desjenigen beruht, der die laufende Leistung erhält, sind dem Leistungsbezieher nach § 331 Abs. 1 Satz 2 SGB III unverzüglich die vorläufige Einstellung der Leistung sowie die dafür maßgeblichen Gründe mitzuteilen und es ist ihm Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Dabei ist nach § 331 Abs. 2 SGB III eine vorläufig eingestellte laufende Leistung unverzüglich nachzuzahlen, soweit der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, 2 Monate nach der vorläufigen Einstellung der Zahlung nicht mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben worden ist.

4.2.1 Bedeutungsgehalt der Norm

 

Rz. 18

Die Norm versetzt die mit der Ausführung des BEEG betrauten Behörden in die Lage, durch schlichten Realakt (vorläufige Zahlungseinstellung)[1] die Weitergewährung von Elterngeld auszusetzen, um so Überzahlungen vorzubeugen oder jedenfalls einzuschränken. Eines (Aufhebungs-)Bescheides bedarf es in diesem Stadium noch nicht.

4.2.2 "Kenntnis von Tatsachen"

 

Rz. 19

Erforderlich ist jedoch zunächst die Kenntnis von Tatsachen, die die Anspruchsvoraussetzungen kraft Gesetzes entfallen lassen.[1] Nicht ausreichend sind im Gegenschluss Verdachtsmomente oder schlichte Vermutungen.[2] Aufgrund des eindeutigen Wortlauts ("Tatsachen") ist § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III über § 26 bei (nachträglicher) Kenntnis von Rechtsfehlern des Ausgangsbescheides nicht anwendbar.

[1] S. hierzu Rz. 17; das "Ruhen" des Anspruchs ist vor dem Hintergrund des § 159 SGB III zu sehen und somit für das BEEG nicht relevant.
[2] HK-MuSchG/Conradis, § 26, Rz. 7; Schlegel/Voelzke/Schaumberg, jurisPK-SGB III, 3. Aufl. 2023, Stand: 20.2.2023, § 331 SGB III, Rz. 24.

4.2.3 Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen mit Wirkung für die Vergangenheit

 

Rz. 20

Die Tatsachen müssen – dem Gesetzeswortlaut entsprechend – zu einem Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen führen. Diese Wortwahl impliziert das Bestehen der Leistungsvoraussetzungen zum Bewilligungszeitpunkt, denn nur wenn diese zunächst gegeben waren, ist ein späterer Wegfall denklogisch möglich. Dies hätte zur Konsequenz, dass eine vorläufige Einstellung laufender Leistungen bei anfänglicher Rechtswidrigkeit – wenn also die Voraussetzungen für den Bezug von Elterngeld zu keinem Zeitpunkt vorlagen – nicht möglich wäre. Der zuständigen Behörde wäre mit anderen Worten ein Rückgriff auf § 26 Abs. 2 i. V. m. § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III demnach nur beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X (Aufhebung bei nachträglicher Rechtswidrigkeit) eröffnet; eine vorläufige Leistungseinstellung in den Fällen des § 45 Abs. 1 SGB X (Rücknahme bei anfänglicher Rechtswidrigkeit) würde indes ausscheiden. Diese sich hieraus ergebende Problematik wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet.

 

Rz. 21

So ist nach teilweise vertretener Auffassung in Literatur und Rechtsprechung der Anwendungsbereich des § 331 SGB III auf die Fälle des § 48 SGB X begrenzt. Eine Anwendbarkeit auf die von § 45 SGB X erfassten Konstellationen wird von dieser Auffassung abgelehnt. Dabei wird sowohl auf den Wortlaut des § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III als auch auf dessen terminologische Anknüpfung an § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 SGB X verwiesen. Des Weiteren wird die Intention des Gesetzgebers angeführt, wonach nur solche Sachverhalte erfasst werden sollten, die nachträglich einer Änderung unterliegen.[1]

 

Rz. 22

Nach der Gegenansicht soll die Formulierung des § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III regelmäßig so zu lesen sein, dass die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhalten muss, die ihr einen Grund für den Erlass eines Aufhebungsbescheides geben.[2] Abgesehen davon, dass der Begriff der Aufhebung auch in Vorschriften wie § 39 Abs. 2 SGB X oder § 50 Abs. 1 SGB X weit gefasst werde, sei auch nicht einzusehen, warum der Leistungsträger in den Fällen des § 45 SGB X nicht von einer vorläufigen Zahlungseinstellung Gebrauch machen dürfe.[3]

 

Rz. 23

Zwar ist letzterer Auffassung zuzugeben, dass der mit der Erstattung von Überzahlungen verbundene Aufwand für Leistungsempfänger und Verwaltung[4], der durch § 331 Abs. 1 SGB III vermieden werden soll, sich in den Fällen des § 45 SGB X nicht anders darstellen dürfte als in den Fällen des § 48 SGB X. Der eindeutige Wortsinn einer gesetzlichen Vorschrift ist aber die Grenze jeder Auslegung. Insoweit hat der Gesetzgeber mit seiner Wortwahl ("weggefallen") eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass die Anspruchsvoraussetzungen zunächst vorgelegen haben müssen, damit die Regelung des § 331 Abs. 1 SGB III nutzbar gemacht werden kann.

 

Rz. 24

 
Praxis-Beispiel

Falsche Angabe zur Erwerbstätigkeit – keine vorläufige Leistungseinstellung

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