Rz. 31

Besteht kein Wohnsitz in Deutschland, so erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 dennoch, wer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Auch der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist im SGB I legaldefiniert. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist dabei weiter als der Wohnsitzbegriff des § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I.[1] Er stellt nicht nur auf einen konkreten (Wohn-)Ort ab, sondern lässt darüber hinaus das Verweilen in einem Gebiet – und damit einem weniger streng umrissenen Raum – ausreichen.

 

Rz. 32

Ob das Verweilen an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet als dauerhaft oder nur vorübergehend zu qualifizieren ist, bedarf einer Prognose unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse.[2] Dies macht verständlich, warum der Gesetzgeber von konkreten Vorgaben in zeitlicher Hinsicht abgesehen hat. So kommt es maßgeblich darauf an, dass "gewisse objektive Momente (...) vorliegen, die auf einen Zustand längeren Verweilens schließen lassen".[3] Mit in die Überlegung einzubeziehen sind subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche, bestehende wie künftig zu erwartende Umstände.[4] Allein der innere Wille reicht nicht[5], auf eine entsprechende Manifestation nach außen kann auch hier nicht verzichtet werden.[6]

 

Rz. 33

Ist ein "Ende des Aufenthalts absehbar oder zu erwarten"[7], kommt ihm lediglich vorübergehender Charakter zu. Andererseits kann von einem dauerhaften Aufenthalt ausgegangen werden, wenn gemessen am jeweiligen Bezugszeitraum keine Umstände ersichtlich sind, die auf ein Ende des Aufenthalts hindeuten[8], der Aufenthalt mit anderen Worten als zukunftsoffen[9] bezeichnet werden kann.

 

Rz. 34

Parallel zur Möglichkeit eines doppelten Wohnsitzes ist auch ein doppelter gewöhnlicher Aufenthalt denkbar.[10] Insoweit gelten die Ausführungen zum doppelten Wohnsitz entsprechend.[11] Konsequenterweise trifft auch bei der Frage nach dem gewöhnlichen Aufenthalt die objektive Beweislast denjenigen, der sich hierauf zu seinen Gunsten beruft.[12] Die in § 1 vorgesehenen Durchbrechungen des Territorialitätsprinzips finden an entsprechender Stelle Berücksichtigung.[13]

[1] Brose/Weth/Volk/Brose, § 1, Rz. 59.
[2] So etwa BayVGH, Urteil v. 21.5.2010, 12 BV 9.1973, juris, Rz. 28.
[3] BeckOGK/Spellbrink, § 30, Rz. 15 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG.
[5] BayVGH, Urteil v. 21.5.2010, 12 BV 09.1973, juris, Rz. 28.
[6] S. auch KKW/von Koppenfels-Spies, § 1, Rz. 5.
[7] BEEG-EStG-BKGG/Irmen, § 1, Rz. 29.
[8] S. BEEG-EStG-BKGG/Irmen, § 1, Rz. 29.
[9] BSG, Urteil v. 27.1.1994, 5 RJ 16/93, SozR 3-2600 § 56 Nr. 7, juris, Rz. 30.
[10] So BeckOGK/Spellbrink, § 30, Rz. 21; zur unterschiedlichen Bewertung in der Rechtsprechung vgl. u. a. BSG, Urteil v. 25.10.1977, 8/12 RKg 8/77, BSGE 45, 95, juris; BSG, Urteil. v. 27.4.1978, 8 RKg 2/77, juris, Rz. 20.
[11] S. Rz. 28.
[12] Vgl. Rz. 30.
[13] Vgl. Rz. 51 ff.

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