Rz. 1

§ 11 BetrVG behandelt einen seltenen Sonderfall. Die Regelung lässt unter engen Voraussetzungen Ausnahmen von der nach § 9 BetrVG an sich zwingenden Größe eines Betriebsrats zu. Danach soll von der nächstmöglichen Belegschaftsgröße ausgegangen werden, wenn am Tag des Erlasses des Wahlausschreibens im Betrieb nicht "die ausreichende Zahl" von wählbaren Arbeitnehmern zur Verfügung steht, damit der Betriebsrat entsprechend der Größe der Belegschaft nach § 9 besetzt werden kann. Ausreichend ist die Zahl dann, wenn es für die nach § 9 BetrVG zu bestimmende Mitgliederzahl des Betriebsrats genügend wählbare Arbeitnehmer gibt. § 11 enthält zwingendes Recht, kann mithin weder durch Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarung abbedungen werden.

 
Praxis-Beispiel

Der einzig realistische Anwendungsfall könnte in einem Betrieb von mehr als 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern gegeben sein, von denen aber weniger als fünf wählbar sind. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn im Betrieb ganz überwiegend wahlberechtigte Leiharbeitnehmer (§ 7 Satz 2 BetrVG) beschäftigt sind, denen jedenfalls dann die Wählbarkeit fehlt, wenn sie Leiharbeitnehmer i. S. d. Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sind (§ 14 Abs. 2 Satz 1 ArbeitnehmerüberlassungsG). Die Änderung des AÜG zum 1.4.2017 hat daran nichts geändert, § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG, der die Wählbarkeit von Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb ausschließt, gilt unverändert fort.

 

Rz. 2

In Fällen, in denen keine hinreichende Zahl von wählbaren Arbeitnehmern zur Verfügung steht, ist für die Bestimmung der Zahl der Betriebsratsmitglieder auf die nächst niedrigere Betriebsgröße zurückzugreifen. Außerhalb der Staffelung kann die Betriebsratsgröße nicht festgelegt werden. Im Beispielsfall oben wäre also auf einen dreiköpfigen Betriebsrat zurückzugehen. Reicht auch diese Zahl nicht aus, ist auf die nächst niedrigere Stufe zu gehen. Allerdings ist zu beachten, dass bei weniger als drei wählbaren Arbeitnehmern nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Betriebseigenschaft entfällt und gar kein Betriebsrat zu wählen ist.

 

Rz. 3

Die aufgrund von § 11 BetrVG am Tag des Erlasses des Wahlausschreibens festgelegte Betriebsratsgröße ist für die Amtszeit des BR bindend. Erhöht sich während der Amtszeit in der Belegschaft die Zahl der wählbaren Arbeitnehmer, kommt eine Nachwahl grundsätzlich nicht in Betracht. Lediglich im Fall des § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, wenn die Belegschaft sich 24 Monate nach der Wahl um die Hälfte, mindestens aber um 50 % der Arbeitnehmer vermehrt oder verringert, kann es eine Nachwahl des Betriebsrats geben.

 

Rz. 4

Praktische Bedeutung erlangt § 11 BetrVG dadurch, dass seine analoge Anwendung auf ähnlich gelagerte Fälle diskutiert und überwiegend bejaht wird. Dabei geht es um folgende Fallkonstruktionen: Der Betriebsrat kann nicht mit der nach § 9 BetrVG vorgesehenen Mitgliederzahl besetzt werden, weil

  • nach erfolgter Wahl nicht genügend Gewählte die Wahl annehmen
  • die vorgeschriebene Mitgliederzahl deshalb nicht erreicht werden kann, weil (trotz ordnungsgemäßem Wahlausschreiben) die Wahlvorschläge nicht genügend Bewerber aufweisen
  • bei Mehrheitswahl nicht genügend Arbeitnehmer überhaupt eine Stimme erhalten haben.
 

Rz. 5

In derartigen Fällen ist nach weit verbreiteter Ansicht für die Bestimmung der Zahl der Betriebsratsmitglieder auf die nächst niedrigere Betriebsgröße zurückzugreifen, vgl. Rz. 2. Das BAG hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1958 diese Analogie allerdings erst ein einziges Mal für den Fall, dass nicht genügend Arbeitnehmer zur Übernahme des Amts bereit waren, angewendet (BAG, Beschluss v. 11.4.1958, 1 ABR 4/57). Diese Rechtsprechung hat das LAG Düsseldorf bestätigt.[1] Folgt man dieser Ansicht nicht "– etwa mit dem guten Argument, es sei etwas Anderes, ob der Betriebsrat in der vorgeschriebenen Größe nicht gewählt werden kann oder nicht gewählt werden will[2]-" bleibt nur noch übrig, die ordnungsgemäße Wahl des Betriebsrats für gescheitert zu erklären. Es ist dann abzuwarten, ob sich eine Initiative zur Neuwahl bildet. Da die Vorschrift ihrer Zweckrichtung nach den Arbeitgeber vor den Kosten einer Neuwahl schützen will, macht es Sinn, diese Entscheidung dem Arbeitgeber zu überlassen und ihm anheim zu stellen, ob er sich auf die Analogie berufen will oder nicht.

 

Rz. 6

§ 11 BetrVG ist dagegen nicht entsprechend anwendbar, wenn das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, nicht eine dem Verhältnis des § 15 BetrVG entsprechende Zahl wählbarer oder zur Übernahme des Betriebsrats-Mandats bereiter Mitglieder hat. Die von ihm nicht besetzten Sitze werden vom Vertreter des anderen Geschlechts vereinnahmt. Nur, wenn auch das andere Geschlecht die Lücke nicht ausfüllt, greift § 11 BetrVG mit der Folge, dass sich die Zahl der Betriebsratsmitglieder insgesamt reduziert.

 

Rz. 7

Ist umstritten, ob § 11 BetrVG anwendbar ist, entscheidet das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren.

[1] LAG, Düsseldorf, Urteil v. 4.7.2014, 6 TaBV 24/14.
[2] So GK-BetrVG Kreutz § 11 Anm. 11.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge